Wir sollten beim Klimaschutz mehr auf Technologieoffenheit als auf Verbote setzen, fordert unser Zukunftsforscher
Wir sollten beim Klimaschutz mehr auf Technologieoffenheit als auf Verbote setzen, fordert unser Zukunftsforscher
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Technologieoffenheit

Klimaschutz: Zukunftsforscher plädiert für weniger Verbote

Mehr Technologieoffenheit und weniger Verbote – das ist der Schlüssel im Klimaschutz. Denn Menschen ändern ihr Verhalten nicht, wenn sie dazu gezwungen werden, meint unser Zukunftsforscher Daniel Dettling.

Nicht einmal jeder Fünfte der wahlberechtigten Berliner hat im März für den Volksentscheid „Klimaneutral 2030“ gestimmt. Das Ergebnis entsprach damit dem Stimmenanteil der Grünen bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus wenige Wochen zuvor. Ein neuer Riss spaltet die Hauptstadt: Die Zustimmung zu drastischen Klimamaßnahmen ist in der Innenstadt deutlich höher als jenseits des S-Bahn-Rings. Fast eine halbe Million Menschen machte sich an einem Sonntag auf, um gegen den Volksentscheid zu stimmen. Die Mobilisierung gegen eine allzu radikale Klimapolitik nimmt auch in anderen Ländern zu. Was vor wenigen Jahren in Frankreich mit den „Gelbwesten“ begann, ereilte auch unser Nachbarland Niederlande. Dort kam die bislang eher randständige Bürger- und Bauernpartei auf fast 20 Prozent der Stimmen, in ländlichen Regionen teilweise auf 30 Prozent. Ursache für den plötzlichen Wahlerfolg waren die Pläne der Regierung, den Nitratausstoß der heimischen Landwirtschaft drastisch zu reduzieren. Für viele Niederländer, deren Land fast so viel Agrarprodukte exportiert wie die USA, sind die Klima- und Umweltpläne der Regierung ein Angriff auf ihr Lebensmodell.

Klimaschutz darf nicht als Angriff auf das eigene Lebensmodell wahrgenommen werden 

Auch in Deutschland wird der Widerstand größer. Als Angriff auf das eigene Lebensmodell werden hierzulande auch die inzwischen modifizierten Pläne des Bundeswirtschaftsministers empfunden, den Einbau von Öl- und Gasheizungen in den Häusern der Republik zu verbieten oder auszutauschen. Die politische Lehre aus Frankreich, den Niederlanden und Berlin lautet: Es reicht nicht, radikale Ziele für die Zukunft zu setzen, wenn ihre Umsetzung in der Gegenwart nicht überzeugt. Im Heizungskeller und in der Garage hat die Klimakrise nicht zu suchen. Mit dem Verbot von Verbrennerautos und Öl- und Gasheizungen haben die Grünen dem Klimaschutz einen Bärendienst erwiesen. Das Private ist eben nicht politisch und schon gar nicht unmoralisch. Wenn wir die unkonstruktive Spaltungsdynamik der aktuellen Klimadebatte überwinden wollen, müssen wir die Klimakrise dort verhandeln, wo sie hingehört: in Parlamenten und Bürgerversammlungen.

Eine freiwillige und erhebliche Absenkung des eigenen Lebensstandards wird nicht funktionieren. Ein permanenter Klima-Lockdown hätte Folgen für Wohlstand und sozialen Frieden. „Degrowth untergräbt die Demokratie, ohne das Klima zu retten“, sagt der ökolibertäre Vordenker der Grünen Ralf Fücks. Nach dem ökologischen kommt der politische Ausnahmezustand. Das Volk wäre dann nicht mehr der Souverän, sondern die „letzte Generation“. Wir brauchen keine Öko-Diktatur, sondern einen Öko-Kapitalismus: Technologien für den bevorstehenden Wandel und Innovationen, Erfindungen in allen Bereichen, von der Materialtechnik über die Speichertechnik bis zur Infrastruktur. Längst gibt es neuen Formen von Nukleartechnik, die ganz anders funktionieren als die alte, die wir derzeit nicht ohne Grund verschrotten.

Freiheit betrifft nicht nur die ökologische, sie umfasst auch die soziale und ökonomische Zukunft. Wer den Klimakampf eindimensional führt, wird beides verlieren: Klimaschutz und Demokratie. Das Grundübel ist, dass die Klima-Debatte ausschließlich unter der Devise des Verlustes geführt wird. Es geht darum, was man nicht mehr darf, was nicht mehr gehen soll, was wir verlieren könnten und vor allem: wer schuld daran sein muss. Diese Selbstverzwergung erzeugt eine bösartige Panik, die in Leugnung und Denunziation umschlägt. Verhandelt werden nur Ideologien, die mit der Frage des notwendigen und sinnvollen Wandels im Grunde nichts zu tun haben. Auf diese Weise stirbt die Zukunft. Menschen brauchen aber eine positive Vorstellung von Zukunft, um sich verändern zu können. Eine bessere Zukunft wird dann möglich, wenn wir daran glauben, dass sie möglich ist und entsprechend handeln.

zitat

Klimaschutz: "Menschen ändern ihr Verhalten nicht, wenn sie dazu gezwungen werden"

Der Psychologe und Philosoph Paul Watzlawick sagte, dass man echte Probleme nicht auf derselben Ebene lösen kann, auf der sie entstanden sind. Wenn man immer nur MEHR von den alten Mitteln und Methoden einsetzt, wird das Ergebnis immer schlechter. Wo die Klimaleugner MEHR Öl, Gas und Kohle verfeuern und auf den alten fossilen Kapitalismus setzen, setzen die Klimaaktivisten auf MEHR Angst und Panik und ein Ende des Kapitalismus. Beide eint die Gewissheit des Unzweifelhaften. Tertium non datur, es gibt kein alternatives Paradies. Die einen setzen auf immer MEHR vom alten Wachstum, die anderen auf MEHR Verzicht und Verbote.

Menschen ändern ihr Verhalten aber nicht, wenn sie dazu gezwungen, sondern motiviert wurden. Das zeigen auch internationale Studien wie die der Harvard-Ökonomin Stefanie Stantcheva. Ihr Team untersuchte die Einstellungen der Bürger zum Klimaschutz in 20 Ländern. Die Akzeptanz von Maßnahmen hängt danach von drei Faktoren ab: Die Bürger müssen glauben, dass diese tatsächlich helfen. Sie müssen zweitens überzeugt sein, dass sie auch gut für Ärmere sind und sie müssen drittens davon ausgehen könne, dass sie selbst nicht allzu sehr von ihnen negativ betroffen sind. Angewandt auf das geplante Verbot von Öl- und Gasheizungen oder von Verbrennerautos heißt das: „Die Wende muss sich für alle lohnen“. Während in Deutschland die maximale Förderquote derzeit bei 45 Prozent bei Sanierungen und Heizungsaustausche liegt, werden in Österreich die Kosten für einen Heizungsaustausch je nach Einkommen zu 75 oder gar zu 100 Prozent vom Staat übernommen.

Klimaschutz braucht Technologieoffenheit statt Verbote 

Effektiver und akzeptierter Klimaschutz braucht mehr Offenheit für Technologien. Neue Verhaltensweisen, Denkweisen und Gewohnheiten. Dazu gehört auch intelligenter Verzicht, der nicht als Verlust empfunden wird. Wenn wir weniger Fleisch essen, steigt der Genuss. Wer weniger exzessiv reist, erkennt die Landschaft wieder, in dem er unterwegs ist.  Es ist weder gesund noch stil-noch wirklich lustvoll, ausschließlich exzessiv zu leben. Begrenzungen sind nicht nur sinnvoll, sie sind auch in vielen Bereichen unseres Lebens nützlich und selbstverständlich. In der Demokratie verzichten wir auf Bürgerkrieg und Lynchjustiz. An der Ampel verzichten wir bei Rot auf das Fahren. Das macht andere Dinge möglich. Dem Fahrer oder der Fahrerin im Auto neben uns zuzulächeln oder unserem Beifahrer mehr Aufmerksamkeit zu widmen.

Die Grunderwartung des fossilen Zeitalters war das ständige MEHR. Mehr von allem. Mehr Wachstum. Mehr Konsum, mehr Geschwindigkeit.  Das hat uns in einen nervösen, angstvollen Überdruss und zu einer Spaltung der Gesellschaft geführt. In Zukunft geht es nicht mehr um das Mehr, sondern um das BESSERE – das Versöhnen von scheinbaren Gegensätzen und Widersprüchen.