Mit Hilfe des Krümelmonstrs lässt sich der Bürokratie-Irrsinn der EU besonders gut beschreiben, meint Christian Erhardt
Mit Hilfe des Krümelmonstrs lässt sich der Bürokratie-Irrsinn der EU am Beispiel Mehrwertsteuer besonders gut beschreiben, meint Christian Erhardt
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Leitartikel

Bürokratie-Irrsinn Mehrwertsteuer: Mit besten Grüßen vom Krümelmonster

Das Krümelmonster aus der Sesamstraße und das Bürokratie-Monster aus Brüssel haben einiges gemeinsam: Sie sind indirekt Teil einer Rundverfügung des Landes Rheinland-Pfalz. Es geht um die Mehrwertsteuer, die auf Kekse und Kuchen fällig wird und um deren Berechnung bei Schulfesten. „Das jüngste EU-Bürokratiemonster gefährdet sogar die interkommunale Zusammenarbeit von Kommunen“, erklärt Christian Erhardt und zeigt weitere Bürokratie-Monster auf.

Das Krümelmonster liebt bekanntlich Kekse. Und Kinder lieben sowohl das Krümelmonster als auch Kekse. So ist es nur logisch, dass beim Schulfest der Klasse 3a von den Kindern auch Kekse verkauft werden. Oft zuvor daheim gebacken von der Oma in dem guten Glauben, damit auch den nächsten Klassenausflug ins Landschulheim mitzufinanzieren. Denn der Erlös des Keksverkaufs beim Schulfest kommt der Klassenkasse zugute. Bisher! Denn ab dem nächsten Jahr greift das EU-Bürokratie-Monster ein und will vom Kekserlös seinen Anteil abhaben. Im Namen der Digitalisierung!

Gelebter Bürokratie-Irrsinn per EU-Verordnung 

Ja, richtig gehört, es geht um die Richtlinie 2006/112/EG „in Bezug auf die Mehrwertsteuervorschriften für das digitale Zeitalter!“ An sich schon ein Wortmonster. Nun ist zwar unklar, inwieweit Omas Kekse die EU in Sachen Mehrwertsteuer im digitalen Zeitalter wesentlich voranbringen. Aber die Wege der Bürokraten sind bekanntlich unergründlich.

Konkret geht es in der Richtlinie darum, zu verhindern, dass private Unternehmen im Wettbewerb benachteiligt werden. Denn: Wenn die Eltern oder die Oma für das Schulfest Kekse backen, hätte diese ja auch ein Bäcker liefern und damit Geld verdienen können. In einem solchen Fall hätte er einen Nachteil, weil er für die Kekse Mehrwertsteuer abführen müsste. Und darum soll die Schule das künftig auch müssen. Ich stelle mir schon den vor Existenzangst zitternden Bäcker  in seiner Backstube vor, wenn er erfährt, dass die Klasse 3a der örtlichen Schule heute auf dem Schulfest Kekse verkaufen will…

Die Mehrwertsteuer und ihre Fallstricke - Bürokratie zum Abgewöhnen

Aber zurück zur Sache: Weil diese Mehrwertsteuerregel nicht nur die örtlichen Schulen sondern auch viele Kommunen vor massive Herausforderungen stellt, spielte die EU bisher auf Zeit – so wurde die geplante Richtlinie, die schon im Jahr 2023 in Kraft treten sollte, auf das Jahr 2025 verschoben. Damit die Bürokratie-Monster in Deutschland genügend Zeit haben, Rundverfügungen mit genauen Erläuterungen auszuarbeiten (denn wieder einmal legen nur die Juristen in Deutschland die EU-Richtlinie so rigoros und eng aus). 

Gesagt, getan. Baden-Württemberg war besonders schnell und erklärte den Schulen auf elf Seiten haargenau, wie wann mit der Mehrwertsteuer zu verfahren sei. Das Landesamt für Steuern in Rheinland-Pfalz zog nun nach und schaffte es unbürokratisch auf nur vier Seiten mit sechs Beispielen, genau darzulegen, was unter welchen Umständen bei Keksverkauf und Co. gilt.

Ein Beispiel: „Der Elternbeirat verkauft auf dem Sommerfest Getränke und Kuchen. Zielgruppe sind Kinder, Eltern und Großeltern. Der Elternbeirat wird somit nicht nachhaltig tätig. Insbesondere liegt keine Beteiligung am Markt vor“. Glück gehabt, dann wird keine Mehrwertsteuer fällig.

Schlechter läuft es in diesem Beispiel aus der Rundverfügung: „Der Elternbeirat betreibt alljährlich einen Glühweinstand auf dem gemeindlichen Weihnachtsmarkt. Damit tritt der Elternbeirat am Markt auf und wird somit nachhaltig tätig“. Im Ergebnis muss auf den Glühwein Mehrwertsteuer abgeführt werden.

Lasst dem Krümelmonster seinen kleinen Wohlstandsbauch, aber setzt endlich das EU-Bürokratie-Monster auf Diät!

Christian Erhardt, Chefredakteur

Kekse sollten eine Spende sein - so umgehen Sie den Bürokratie-Irrsinn angeblich 

Exakte neue Regeln gibt es übrigens auch für die Kaffeekasse im Lehrerzimmer und für Flohmärkte von Fördervereinen. Als ein mögliches Schlupfloch wird dann noch die Spende genannt. Die Kekse werden also nicht verkauft, sondern gegen eine freiwillige Spende abgegeben. Wobei auch das schon einen Bäcker aus Leipzig vor einiger Zeit in arge Probleme brachte. Bei ihm war es nämlich Steuerhinterziehung, weil „Schwarzspende“. Er hatte der Tafel übriggebliebenes Brot gespendet. Das Gericht verwies in seinem Fall auf das Umsatzsteuergesetz, wonach bei Geschenken die Herstellungskosten der Steuer unterliegen. 5000 Euro Strafe wurden fällig. Seither verkaufen viele Bäcker ihre übriggebliebenen Waren offiziell für einen symbolischen Euro, um die Spendensteuer zu umgehen. Merke: Auch von altem Brot will der Fiskus noch eine Scheibe abhaben. 

Und besonders kompliziert wird es für Kommunen. Beispiel Feuerwehr: Wird sie etwa gerufen, um bei einem Verkehrsunfall technische Hilfe zu leisten, sagen wir um einen Baum aus dem Weg zu räumen oder eine Ölspur zu beseitigen, dann könnte das theoretisch ja auch ein Privatunternehmer machen. Also muss die Kommune genau prüfen, ob hier künftig Umsatzsteuer anfällt oder nicht. Ähnlich sieht es aus mit dem Sportplatz, den der Bauhof der Nachbargemeinde im Rahmen der interkommunalen Zusammenarbeit mitpflegt. Im örtlichen Schwimmbad hat die Gemeinde Glück, wenn es sich „nur“ um ein Sportbad handelt, dann ist nur der ermäßigte Satz fällig. Schwimmt der Gast hingegen im „Spaßbad“ eine Runde, wird der volle Satz fällig.

Krümelmonster

Und noch ein Bürokratie-Irrsinn - die EU und das E-Auto 

Jüngster Irrsinn: Die EU-Bestimmung in Paragraf 7c des Energiewirtschaftsgesetzes. Sie sieht ab dem kommenden Jahr eine Trennung von Stromnetz und Ladesäulenbetrieb vor. Viele Stadtwerke fühlen sich daher gezwungen, ihre teuer aufgebauten E-Ladesäulen wieder zu verkaufen. „Damit schießt uns die Politik mal wieder gesellschaftlich ins Knie“ kommentiert es etwa der Chef der Energieversorgung Selb/Marktredwitz, Klaus Burkhardt. Der Energieversorger umgeht gerade, wie zahlreiche andere Kommunen auch, die Verordnung mit einem Trick. Die Versorger verkaufen ihre Ladepunkte jeweils an Tochterfirmen der Stadtwerke, teils werden dafür eigens Unterfirmen gegründet. Das sorgt zwar für deutlich mehr Bürokratie und vermutlich weiter steigende Preise für E-Auto Strom, aber es ist EU-konform.

Mein Vorschlag: Lasst dem beliebten Krümelmonster seinen kleinen Wohlstandsbauch aber setzt das EU-Bürokratiemonster endlich auf Diät!