Thomas Kubendorff während einer Rede.
Nachhaltigkeitsexperte Kubendorff: Handlungsspielraum für Kommunen erweitern.
© LAG 21 NRW

Interview

Zu viel Bürokratie Gift für den Klimaschutz

Thomas Kubendorff will Nachhaltigkeit und Klimaschutz in den Kommunen voranbringen. Der ehemalige Landrat des Kreises Steinfurt und Nachhaltigkeitsbotschafter in Nordrhein-Westfalen weiß, wo es in der Praxis dabei hakt und was man tun könnte. Ein Gespräch über komplizierte Förderanträge, dringend nötige Nachhaltigkeitskoordinatoren und die erstaunliche Tatsache, dass Windräder besser aussehen, wenn man damit Geld verdient.

KOMMUNAL: Herr Kubendorff, wenn Ihnen Kommunen sagen: Nachhaltigkeit und Klimaschutz sind wichtig und gut – aber uns fehlen Geld und Personalressourcen, um das richtig anzugehen. Was entgegnen Sie?

Thomas Kubendorff: Dass die meisten recht haben! Genau das fehlt: Geld und Ressourcen. Deshalb sollte jede Kommune einen Nachhaltigkeitskoordinator haben, der zumindest in der Anfangsphase vom Land bezuschusst wird. Wobei kleine Kommunen vielleicht eine halbe Stelle brauchen, Großstädte dagegen drei bis vier. Sie stellen die Verbindung zwischen Verwaltung, Politik, der Bürgerschaft und den gesellschaftlichen Akteuren her. Es braucht einfach zusätzliche, gute Leute, die das Thema intensiv behandeln. Das kann mit dem vorhandenen, oft überlasteten Personal in der Regel nicht gemacht werden.

Können Sie ein Beispiel nennen, wo das gut funktioniert?

Das für mich naheliegendste Beispiel ist der Kreis Steinfurt, dessen Landrat ich 16 Jahre lang war. Ich habe dort 2009 das erste Amt für Klimaschutz und Nachhaltigkeit in NRW aufgebaut. Wohlgemerkt: Kein Umweltamt, sondern nur Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Es hat 22 Mitarbeiter, die alle in ihren Themenfeldern auch als Nachhaltigkeitskoordinatoren tätig sind. Nachhaltigkeit war damals schon ein Leib- und Magenthema von mir. Als Nachhaltigkeitsbotschafter der LAG 21 NRW habe ich dann nach meiner Zeit als Landrat einen sehr guten Überblick über die Verhältnisse in NRW bekommen. Und zurzeit arbeite ich gemeinsam mit der Bertelsmann-Stiftung im Kreis Soest und entwickle mit der Kreisverwaltung eine Nachhaltigkeitsstrategie.

Der Rat für Nachhaltigkeit hat Sie 2021 als Experten für eine Studie dazu befragt, welche Rahmenbedingungen sich verändern müssen, damit die Daseinsvorsorge zum zentralen Faktor für mehr gesellschaftliche Resilienz und Nachhaltigkeit werden kann. Was muss sich denn in erster Linie ändern?

Vor allen Dingen die überbordende Bürokratie, die den Handlungsspielraum der Kommunen immer stärker eingrenzt. Wir brauchen endlich einen Bürokratieabbau! Es würde Verwaltungskraft sparen, aber auch Handlungsspielräume eröffnen. Außerdem müssen die Förderbestimmungen vereinfacht werden. Einen Förderantrag zu stellen ist mittlerweile so kompliziert und aufwendig, dass man dafür wirklich Experten haben muss. Ich kenne genug Verbände und Institutionen, die gar keine Förderanträge mehr stellen. Es überfordert sie einfach, vor allem im Hinblick auf die nachgelagerten Abrechnungsmodalitäten, Zwischenberichte und sonstiges, was da alles geliefert werden muss.

Wie behindert diese Bürokratie denn konkret den Weg zu mehr Nachhaltigkeit?

Nehmen Sie zum Beispiel LEADER, ein sehr kompliziertes Förderprogramm der EU zur Entwicklung des ländlichen Raumes. Selbst die geförderten LEADER-Manager, die sich um diese Dinge kümmern, haben große Schwierigkeiten, die Anträge fertig zu bekommen. Danach dauert es fast zwei Jahre, bis sie loslegen können, weil diese Anträge und Verfahren von vier oder fünf verschiedenen Stellen geprüft werden. Später folgen komplizierte Abrechnungsverfahren, die nochmal detailliert geprüft werden. Da wird man verrückt!

Würde es der Transformation helfen, wenn Kommunen ihre Organisation agiler aufstellen könnten?

Es gibt jetzt schon Kommunen, die ausgesprochen agil sind. Das hängt immer von den Mitarbeitern ab und davon, wieviel Freiheit die Verwaltungsspitze zulässt und ob sie auch ein echtes Interesse an Klimaschutz und Nachhaltigkeit hat. Im Rahmen der bisherigen Verwaltungsstrukturen kann man agil handeln und viele Dinge gut bewegen. Ich beobachte aber zunehmend, dass diese vielen Vorschriften und intensiven Prüfverfahren - und gewisse Gerichtsentscheidungen - die Mitarbeiter in den Verwaltungen stark verunsichern. Sie sichern sich deshalb zu allen Seiten hin ab und lassen so natürlich Agilität vermissen. Es fehlt die Entscheidungsfreude, auch mal gewisse Risiken einzugehen. Das ist zum Teil verständlich, weil die Gerichte Fehler relativ unnachsichtig ahnden, Rechnungsprüfungsämter immer noch einen draufsatteln - und die Medien gerne mitmachen und die Verwaltung in den Boden stampfen. So ist mittlerweile eine Kultur entstanden, die für eine agile Verwaltung nicht sehr gut ist.

Sie haben als Anreiz für die Einführung einer Nachhaltigkeitsstrategie einen „Transformationzuschlag“ angeregt. Was steckt dahinter?

Kommunen mit einer gelebten Nachhaltigkeitsstrategie sollte man vorrangig fördern. Etwa durch einen Transformationszuschlag bei den Schlüsselzuweisungen für Kommunen. Wenn sie eine Nachhaltigkeitsstrategie haben, dann haben sie natürlich auch den entsprechenden Aufwand dafür. Da fände ich einen Zuschlag absolut gerechtfertigt, um damit die Mehrkosten aufzufangen.

Würde mehr Bürgerbeteiligung für mehr Nachhaltigkeit sorgen?

Ja, und um das zu bewerkstelligen, brauchen die Kommunen eben einen Nachhaltigkeitskoordinator. Mindestens einmal im Jahr sollte in jeder Kommune ein Bürgerforum stattfinden, wo die Bürger sich insbesondere zu Fragen des Klimaschutzes und Nachhaltigkeit äußern können. Jede Kommune sollte als Pflichtausschuss einen Nachhaltigkeitsbeirat mit eigenen Kompetenzen und eigenem Budget installieren.

Welche Aufgabe hat denn ein solches Bürgerforum?

In der Anfangsphase dient es als Ideenbörse. Wenn Sie eine Nachhaltigkeitsstrategie entwickeln, müssen Sie erstmal mit allen relevanten Akteuren reden. In der weiteren Entwicklung der Nachhaltigkeitsstrategie folgen Veranstaltungen, wo Bürger sagen können, ob ihnen der Prozess gefällt oder ob sie neue Anregungen haben. Manchmal haben Mitarbeiter Angst davor, weil sie sagten, ach, da wird ja nur gemeckert! Aber es hat sich gezeigt, dass die Leute richtig konstruktiv mitarbeiten. So hat man eine ganz andere Akzeptanz für das Thema.

Bei welchen Themen hakt es noch besonders auf einem Weg zu mehr Nachhaltigkeit?

Ein großes Thema, das oft nicht erkannt wird, ist die Gebäudesanierung. Sie müssen, um die Klimawende zu schaffen, 50 Prozent CO2-Einsparungen generieren – und da ist der größte Teil nicht beim ÖPNV, sondern bei der Gebäudesanierung nötig. Da sind wir im Augenblick bei einem jährlichen Sanierungsprozentsatz von etwas über 1 Prozent. Wenn Sie das hochrechnen, brauchen Sie fast 90 Jahre, bis sie den Bestand saniert haben. Das wird nicht wichtig genug genommen.

Wie sieht es mit den Erneuerbaren Energien aus?

Da sind die Kommunen besonders gefordert. Jetzt gilt es eben, die entsprechenden Flächen bereitzustellen und das in die Wege zu leiten. Die kommunale Planungshoheit ist ein hohes Gut.

Wenn es beispielsweise um die Aufstellung von Windrädern geht, sind aber längst nicht alle Bürgerinnen und Bürger begeistert. Was können Kommunen dann tun?

Wir haben mit einer Idee hervorragende Erfahrungen im Kreis Steinfurt gemacht: Bürgerwindparks. Da investiert nicht ein einzelner Investor oder ein einzelner Landwirt. Sondern, es gibt grundsätzlich viele Beteiligte – Landwirte, Nachbarn oder andere Bürger der Stadt. Es ist auch sehr zu empfehlen, wenn die örtliche Kommune oder die Stadtwerke beteiligt sind. Dann haben sie nämlich das Problem nicht, das Nachbarn gegen das Windrad vorgehen. Wenn sie nicht nur ein Windrad, sondern einen Windpark aufbauen, lohnt sich das. Da haben sie gleich ein Investitionsvolumen im zweistelligen Millionenbereich und es können sich viele Mitbürger beteiligen. Das vermindert auch Proteste: Wenn die Leute damit Geld verdienen, dreht sich für sie das Windrad gleich schöner, leiser und der störende Anblick ist irgendwie weg.

Zur Person: Thomas Kubendorff war Rechtsrat in Ratingen, 11 Jahre Beigeordneter der Stadt Hattingen und 16 Jahre lang Landrat des Kreises Steinfurt in NRW, wo er das landesweit erste Amt für Klimaschutz und Nachhaltigkeit aufbaute. Im Anschluss engagierte er sich als Nachhaltigkeitsbotschafter für die Landesarbeitsgemeinschaft Agenda 21 NRW e.V. (LAG 21 NRW). Heute arbeitet Kubendorff als Lehrbeauftragter der Hochschulen Bochum und Münster und als Berater u.a. für Nachhaltigkeitsfragen. Als Experte war er 2021 an der Studie "Stellenwert der Daseinsvorsorge für die sozial-ökologische Transformation" des Rats für Nachhaltigkeit beteiligt.