Raum in der Offenen Schule Köln
Helle und multifunktionale Räume finden sich in der Offenen Schule Köln.
© Simon Veith

Architektur

Neue Unterrichtskonzepte, neue Schulbauten

In Ruinen lernt es sich schlecht. Auf Deutschlands Kommunen kommt mit der Erneuerung von Schulbauten eine große Aufgabe zu. Wir zeigen gelungene Beispiele und wie die Schule von heute aussehen sollte.

Die Klassenzimmer haben mobile Trennwände. Die Unterrichtsräume sind in „Jahrgangsclustern“ angeordnet. Die neuen Schulen sind lichtdurchflutet, hell und offen. Wer sich die Website des „Schulbaupreises NRW“ im Internet anschaut, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Weite, von Oberlichtern geprägte Treppenhäuser, flexibel möblierte Fachräume und moderne Sporthallen prägen die Bilder.

 Schulbauten passen sich an

„Das Aufgabenfeld Schulbau hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen“, sagt Christof Rose, Sprecher der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen. Zusammen mit dem Bildungsministerium hat die Kammer zum vierten Mal nach 2008, 2013 und 2018 den Schulbaupreis ausgelobt. Denn das Thema Schulbau ist in vielen Kommunen höchst aktuell. „Bestehende Gebäude müssen überarbeitet werden“, sagt Rose. „Vielerorts gibt es einen jahrzehntelangen Sanierungsstau – bis das Wasser durch das Dach läuft.“ Gleichzeitig kämen neue pädagogische Herausforderungen auf die Schulen zu: „Die Klassen sollen kleiner werden, Inklusion und neue Lehrkonzepte sind große Themen in den Schulen.“ Auch in der architektonischen Fachwelt sei man sich einig, dass man die Schulgebäude anpassen müsse, sagt Rose.

„Der klassische Bau der Jahrhundertwende ist nicht mehr tragfähig.“ Die backsteinernen, neogotischen Schulgebäude, die von ihrer äußeren Anmutung eher an eine Kaserne als an eine Bildungseinrichtung erinnern, sind von ihrem Raumzuschnitt auf Frontalunterricht ausgerichtet. „Heute zählen eher Konzepte des verstorbenen Architekten Hans Scharoun – kleinteilige Einrichtungen, Wabenstrukturen, multicodierte Räume, die unterschiedliche Nutzungssituationen zulassen“, sagt Rose.  

Grundschule Bleibergquelle in Velbert Treppenhaus
Treppenhaus der Grundschule Bleibergquelle in Velbert. Foto: Marcus Schwier

Dass ein Architektenvertreter dafür argumentiert, mehr neue Schulen zu bauen, überrascht nicht sonderlich. Doch seine Argumente werden auch in den Kommunen geteilt – zum Beispiel von Johannes-Jürgen Laub, dem Ersten Stadtrat im niedersächsischen Gifhorn. Der Politik- und Sozialwissenschaftler beschäftigt sich schon länger mit der Ausgestaltung des Schulsystems, war selbst Gymnasiallehrer und lehrt auch an der Kommunalakademie in Rheinland-Pfalz. „In Deutschland haben wir die Aufteilung in die innere und die äußere Schulträgerschaft“, sagt Laub. „Das Land ist für die Lerninhalte verantwortlich, die Kommunen dagegen für die räumliche und sächliche Ausstattung: die bauliche Qualität, die Ausstattung, die Digitalisierung, Glasfaser und W-LAN.“ Doch viele Schulen in Deutschland wurden in den 1950er- und 1960er-Jahren gebaut. „Damals gab es ganz andere Vorstellungen von gutem Unterricht“, sagt Laub. „Es gab große Klassen mit geringerem Platzbedarf – denn wenn alle in Reihen sitzen und nur nach vorne gucken, benötigt man weniger Platz.“

Veränderter Unterricht, veränderte Räume

Heute hätten sich die Anforderungen an den Unterricht völlig verändert. „Sie brauchen viel mehr Differenzierungsräume: Orte, an denen geteilte Gruppen unterrichtet werden können, wo Projekte und Lerngruppen stattfinden.“ Mittlerweile finde mancher Unterricht sogar im Schulflur statt, dafür braucht es allerdings breite und lichtdurchflutete Fluren mit entsprechender Möblierung und Arbeitsmöglichkeiten.  Modern seien auch Clusterschulen, wo es für jede Klassenstufe eine organisatorisch geschlossene Einheit gibt: Alle Klassenräume der ersten Klassen gruppierten sich um einen gemeinsam genutzten Bereich herum.  Zusätzlich gibt es weitere Funktionsräume wie Differenzierungsräume, Lehrer-Teamräume oder Besprechungsräume. Alle Räume stehen mit Sichtbeziehungen zueinander in Verbindung. Eine weitere moderne Organisationsform sind die Offenen Lernlandschaften, die schulorganisatorisch und bauliche Voraussetzungen benötigen, die sich deutlich von den bekannten Flurschulen unterscheiden.

Offene Schule Köln
Die offene Schule Köln wurde mit dem Schulbaupreis 2023 ausgezeichnet. Foto: Simon Veith.

Was heißt das nun für die Städte, Gemeinden und Landkreise? „Es ist eine Riesenaufgabe, die da auf die Kommunen zukommt“, sagt Laub. „Wir haben in Deutschland die Herausforderung, dass man früher zwar jede Menge neue Schulen gebaut hat – aber man sich nie Gedanken darüber gemacht hat, ab wann bestehende Schulen ersetzt werden müssen und wie dort neu im Sinne der Schulorganisation und der Pädagogik geplant werden muss.“ Laub vergleicht die Situation mit jener bei den freiwilligen Feuerwehren: „Es wird niemand sagen, dass ein Feuerwehrauto, das die Kommune vor 30 Jahren gekauft hat und das damals modern war, heute immer noch modern ist“, sagt Laub. „Das heißt: Bei den Feuerwehren versteht man zum Glück, dass sich die Bedarfe und Anforderungen im Laufe der Zeit verändert haben.  Es gibt Feuerwehrbedarfspläne, in denen Ersatzbeschaffungen langfristig geplant werden.“ Das müsse im Bildungsbereich auch geschehen: Die Schule, die vielleicht gut und auf der Höhe der Zeit war, als die heutigen Stadt- oder Gemeinderäte dort zur Schule gingen, ist es heute eher nicht mehr. „Es muss bei den Menschen ankommen, dass das, was wir als gute Bildung bezeichnen, heute etwas anderes ist als vor 30 Jahren“, sagt Laub.

Ganztagsbetreuung mit neuen Bedarfen

Dazu kommt das Thema Ganztagsbetreuung: Ab 2026 hat jedes Kind im ersten Schuljahrgang einen Rechtsanspruch darauf. Viele Schulgebäude sind dafür aber nicht geeignet. „Für Ganztagsangebote brauchen Sie zum Beispiel eine Schulmensa“, sagt Laub. Es müssten zwar nicht grundsätzlich alle Grundschulen sofort zu Ganztagsgrundschulen umgebaut werden, weil sicher nicht alle Familien diesen Rechtsanspruch wahrnehmen wollen. „Aber wir werden in relativ kurzer Zeit erleben, dass 85 bis 90 Prozent der Schüler einen solchen Platz nachfragen werden.“  Auch in den nächsten 10, 15 Jahren wird die offene Ganztagsschule dabei die dominierende Schulform im Grundschulbereich bleiben.  In Gifhorn hat die Stadt als Kooperationspartner der Schulen daher bereits Ganztagskoordinatoren für alle Ganztagsschulen als ständige Mitarbeiterin eingestellt.  Sie soll den Ganztag leiten und die Schulleitungen entlasten. „Grundsätzlich ist das eine Landesaufgabe“, sagt Laub.  Aber die Stadt Gifhorn habe ein großes Interesse an guter Qualität ihrer Schulen.

Christof Rose

Vielerorts gibt es einen jahrzehntelangen Sanierungsstau.“

Christof Rose, Sprecher der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen

Auch Christof Rose von der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen hofft darauf, dass sich noch mehr Kommunen für zeitgemäße Schulgebäude engagieren. „Wer Kinder und Jugendliche nicht angemessen beschult, hat später die Probleme“, sagt Rose. Aus seiner Sicht ist die Architektur der „dritte Pädagoge“, mit dem es die Kinder zu tun haben: „Der erste Pädagoge ist das soziale Umfeld, der zweite Pädagoge die Lehrerin oder der Lehrer und der dritte Pädagoge ist der Raum, in dem sie lernen – in schlechten Räumen und vor sich hin bröckelnden Gebäuden lernt man am Ende nämlich schlecht.“

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