Tübingen
Kommunen - hier im Bild Tübingen - sollen mehr eigene Entscheidungen treffen können.
© AdobeStock

3 Forderungen

Kommunale Selbstverwaltung stärken

20. November 2023
Was vor Ort entschieden werden kann, das soll auch vor Ort entschieden werden. Dies ist der Leitgedanke der kommunalen Selbstverwaltung. Die Realität sieht jedoch anders, sagt Steffen Jäger, Präsident und Hauptgeschäftsführer des Gemeindetags Baden-Württemberg. Welche drei Dinge es braucht!

Das Recht der Städte und Gemeinden, die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung zu regeln, wird durch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland garantiert und knüpft an die verfassungsrechtlichen Traditionen des frühen 19. Jahrhunderts an.

Gemeinsam mit Karl August von Hardenberg gilt Karl Freiherr vom und zum Stein als Verfechter und Vordenker der Preußischen Reformen. Er begründete mit der Preußischen Städteordnung, deren Inkrafttreten sich im November 2023  zum 215. Mal jährt, das verfassungsrechtliche Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung. In Baden-Württemberg ist dieses in Form der Süddeutschen Ratsverfassung umgesetzt.

Mehr Entscheidungsgewalt für Städte und Gemeinden

In Preußen ging es seinerzeit in einer Staatskrise um nichts weniger, als Staat und Gesellschaft zu verbinden und das Gemeinwesen auf der Grundlage bürgerlicher Freiheit neu zu begründen. Mehr Entscheidungsgewalt für die Städte und Gemeinden und zugleich eine größere Identifikation der Bürgerinnen und Bürger mit ihrem Staat sollten dazu beitragen.

Vor Ort entscheiden

Reformbedarf gibt es auch heute. Und bei aller Kritik am Föderalismus ist unser Staatsaufbau die Gewähr dafür, dass Bürgernähe, Beteiligung, Mitwirkung und Identifikation gewährleistet werden. Was vor Ort entschieden werden kann, das soll auch vor Ort entschieden werden. Dies ist der Leitgedanke der kommunalen Selbstverwaltung.

Die Realität sieht jedoch anders aus. Zweifellos begründet durch die Krisen der zurückliegenden Jahre. Eine weitere Ursache ist aber die staatliche Überregulierung. Mit stetigem Ausweiten von Ansprüchen, stetigem Erhöhen von ohnehin hohen Standards und dem Ziel eines einzelfallgerechten Fürsorgestaats. Das kann kein Staat leisten, noch nicht einmal die Bundesrepublik Deutschland.

Steffen Jäger

Das Dilemma zwischen Gesetzgebungskompetenz und Umsetzungsverantwortung wird immer mehr zum Dilemma zwischen Anspruch und Wirklichkeit."

Steffen Jäger, Präsident und Hauptgeschäftsführer des Gemeindetags Baden-Württemberg

Drei Forderungen

Und daher braucht es nun drei Dinge: politische Prioritäten, eine moderne Gesetzgebung und ein neues gesellschaftliches Bewusstsein.  

Politische Prioritäten: Wir haben schlicht nicht das Personal und das Geld, um den breiten „Gemischtwarenladen“ Staat dauerhaft zu gewährleisten. Die Haushaltsberatungen des Bundes zeigen: Eine politische Priorisierung ist dringend notwendig. Die Kommunen mahnen schon länger einen Fokus auf das Leistbare.

Moderne Gesetzgebung: Beim Bürokratieabbau gibt es – glaubt man den öffentlichen Debatten – kein Erkenntnisproblem. Der Reformbedarf ist jedoch zu groß, um nur Symptome anzugehen. Nicht der einzelne Paragraf muss diskutiert werden, sondern ganze Gesetze müssen hinterfragt werden.

Bewusstsein: Wir brauchen wieder mehr Eigenverantwortung, eine Belebung des Gemeingeistes und des Bürgersinns, und das Verständnis dafür, dass ein Staat nicht jedes Lebensrisiko absichern kann. „Der Staat ist nicht die Mutti“ hat Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann zutreffend formuliert, das betrifft auch Haftungsfragen und Einzelfallgerechtigkeit.

Staatliche Zuständigkeit verringern

Bei all diesen Punkten gilt es auch darüber zu diskutieren, ob nicht die staatliche „Zuständigkeit“ wieder reduziert werden muss. Der Staat als „eierlegende Wollmilchsau“ mag auf den ersten Blick ein verlockendes Bild sein. Die Grundlage für unseren heutigen Wohlstand wurde jedoch durch Eigenverantwortung und Leistungsbereitschaft geschaffen.

Es geht um die Zukunftsfähigkeit des Landes und die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit unserer heimischen Wirtschaft. Und es geht um unser gesellschaftliches Miteinander. Der Staat braucht jetzt und ganz besonders nach der Zeitenwende mutige Lösungen: Alles muss auf den Prüfstand.

Staatliche Zusagen einhalten

Statt immer weiterer politischer Leistungsversprechen zu geben, muss es darum gehen, das staatlich Zugesagte wieder verlässlich zu gewährleisten. Denn das Dilemma zwischen Gesetzgebungskompetenz und Umsetzungsverantwortung wird immer mehr zum Dilemma zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Dabei darf es nicht um Parteipolitik, Wahltermine oder eingeübte Reflexe von Opposition und Regierung gehen. Wer populistischen, extremistischen und antidemokratischen Kräften die Stirn bieten will, der muss die Realität der Menschen ernst nehmen. Dazu gehört das Bekenntnis der Grenzen des staatlich Leistbaren, die tagtäglich erlebbar sind.

Kommunale Selbstverwaltung stärken

Was Freiherr vom und zum Stein vor mehr als 200 Jahren als Antwort auf eine Staatskrise erfolgreich entwickelt hat, ist auch der Lösungsansatz für die Gesellschaftskrise von heute: Die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung. Denn die Städte und Gemeinden bilden ein stabiles und kräftiges Fundament, um tragfähige Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit zu finden. Sie können auch künftig das Fundament für eine gute Zukunft unserer Demokratie sein. Ein Fundament darf aber nicht überlastet werden. Und deshalb braucht es jetzt einen scharfen Blick für das Machbare und das Erforderliche. Denn eine starke kommunale Selbstverwaltung ist der Schlüssel für eine freiheitliche, wohlständige und nachhaltige Zukunft – und das seit 215 Jahren.

Steffen Jäger ist Präsident und Hauptgeschäftsführer des Gemeindetags Baden-Württemberg. Er ist Vizepräsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB)

Fotocredits: Steffen Jäger: Gemeindetag Baden-Württemberg