Mutter mit Kind Armut
Vor allem Alleinerziehende sind armutsgefährdet.
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Unterstützung

Warum Armut auf dem Land weniger sichtbar ist

Armut auf dem Land ist weniger sichtbar als in der Stadt, doch immer mehr Menschen brauchen Unterstützung – wie Kommunen helfen können – und warum der Selbstversorgungsgarten nicht reicht.

Wer im mecklenburgischen Faulenrost zu einer Behörde muss, nimmt am besten das Auto. Denn in der 700 Einwohner zählenden Gemeinde im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte fährt nur wenige Male am Tag ein Bus. Doch manche Menschen haben kein Auto und müssen zur Behörde – zum Beispiel, weil sie im Sozialamt des Landkreises im fernen Neubrandenburg Hilfen beantragen müssen. In Faulenrost geht das oft nur mit Nachbarschaftshilfe. „Einer ist mobil und nimmt den anderen mit“, sagt Bürgermeister Claus-Dieter Tobaben. „Es wäre ein Traum, wenn bei uns entsprechende Busse fahren könnten.“ Aber danach sieht es im ländlichen Mecklenburg nun gar nicht aus.

Armut im ländlchen Raum

Doch Armut im ländlichen Raum, die gibt es in Mecklenburg. „Das spielt bei uns schon eine Rolle“, sagt Tobaben. „Wir stellen fest, dass es Menschen gibt, die wirklich Schwierigkeiten haben, finanziell klarzukommen.“ Was es in der 700-Einwohner-Gemeinde kaum gibt: Etablierte Strukturen, die den Menschen Hilfe leisten. „Auch bei uns sind Menschen darauf angewiesen, dass sie finanziell untergehakt werden“, so der Bürgermeister. „Aber der Vorteil des Dorflebens ist, dass man sich kennt und aufeinander achtet.“ Auf dem Land geschehe vieles noch nach dem Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe. Das hat auch Andreas Klärner beobachtet.

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Wissenschaftler: Armut weniger sichtbar auf dem Land

Der Wissenschaftler des Braunschweiger Thünen-Instituts für Lebensverhältnisse in ländlichen Räumen forscht bereits seit einigen Jahren zu der Frage, wie man auf dem Land mit Armut umgeht. In einem gemeinsam mit der Universität Rostock durchgeführten Projekt untersuchte er, wie groß das Ausmaß von Armut auf dem Lande ist, und wie von Armut betroffene Personen in Dörfern und kleinen Orten ihr Leben bewältigen. „Es ist charakteristisch, dass die Armut in den Dörfern weniger sichtbar ist als in den Städten“, sagt Klärner. „Denn sie ist verdeckter und gerade in kleineren Dörfern auch mit Scham behaftet.“ Man habe Angst vor dem Tratsch der Nachbarn.

Je kleiner die Gemeinde, desto weniger Hilfsangebote

Gleichzeitig erschwerten die Bedingungen auf dem Land auch die Unterstützung für Betroffene: „Das Jobcenter, karitative Einrichtungen oder Tafeln sind im ländlichen Raum nicht um die Ecke erreichbar“, sagt Klärner. „In kleineren Städten oder in Mittelzentren sieht das anders aus – aber generell gilt: Je kleiner die Gemeinden werden, je weniger Einwohner die Ortschaft hat, desto weniger Hilfsangebote gibt es da.“ Menschen in Armutssituationen seien in ländlichen Räumen im Alltagsleben deswegen auf ein Auto angewiesen. „Und die in meinen Projekten befragten armutsbetroffenen Menschen haben in der Regel auch ein Auto“, sagt Klärner. „Das Auto ist daher im Vergleich zu armutsbetroffenen Menschen in Städten ein zusätzlicher Kostenfaktor.“ Was angesichts steigender Benzinpreise für viele Menschen auch zu einem zusätzlichen Problem wird. Mobilitätsangebote im ländlichen Raum täten daher Not.

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In Dörfern helfen die Menschen sich oft gegenseitig



In Faulenrost seien es vor allem die Vereine, die den Menschen helfen, sagt Bürgermeister ClausDieter Tobaben. „Bei uns gibt es die Kirchengemeinde und eine Ortsgruppe der Volkssolidarität, die die älteren und einsamen Menschen im Blick haben.“ Einige von denen seien Menschen, die seit der politischen Wende 1989 noch nicht richtig ihren Platz gefunden hätten. „Sie werden von Nachbarn an die Hand genommen, etwa, wenn sie mit ihren finanziellen Angelegenheiten nicht klarkommen.“ „In Dörfern helfen die Menschen sich oft selbst“, sagt auch der Thünen-Wissenschaftler Klärner. „Die Selbsthilfe ist weit verbreitet: Man versucht, sich Unterstützung bei der Familie, bei Freunden und Bekannten zu rekrutieren.“ In landwirtschaftlich geprägten Regionen spiele auch die Selbstversorgung noch eine gewisse Rolle - „Wer einen Gemüsegarten hat, der nutzt ihn auch.“ Aber auch das habe Grenzen: Völlig autark leben könne wohl niemand.

Kommunen - wie sie helfen können

Was also können Kommunen im ländlichen Raum für Menschen in Not tun? Klärner verweist auf Tafeln und Vereine. „Solche Organisationen spielen auch auf dem Land eine große Rolle“, sagt Klärner. „Eine Kommune tut gut daran, sie zu unterstützen – zum Beispiel, in dem den Tafeln Räume für ihre Ausgabestellen oder Fahrzeuge zur Verfügung gestellt werden.“ Zwar könne es nicht in jedem kleinen Dorf eine Tafel geben. Aber zumindest in den kleinen und mittleren Städten, wo die Menschen ohnehin zum Einkaufen hinführen, gebe es sie. „Und da sind die Tafeln auch unverzichtbar“, sagt Klärner. Gleiches gilt für die Arbeiterwohlfahrt, die Kirchen und andere Organisationen.

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Günstigen Wohnraum organsieren

Generell müssten die Kommunen aber bereit sein, sich mit dem Thema Armut überhaupt erst einmal auseinanderzusetzen. „Wir haben Interviews mit Bürgermeistern geführt“, sagt Klärner. Das Ergebnis: „Armut ist kein Thema, mit dem man sich profilieren kann oder das besonders sexy ist.“ Aber es sei wichtig, das Problem wahrzunehmen und anzusprechen. Die Menschen vor Ort müssten eingebunden werden. „Wichtig ist, dass die Bekämpfung von Armut nicht dazu führt, dass man Bedürftige als Fürsorgeempfänger sieht, die selbst nicht handlungsfähig sind.“

Wichtig sei, dass es etwa in den Kommunen weiter günstigen Mietwohnraum gebe. Wo nur Neubaugebiete für Einfamilienhäuser ausgewiesen würden, blieben Menschen am Rande der Gesellschaft oft auf der Strecke. „In den östlichen Bundesländern spielt hier auch die Sanierung der DDR-Plattenbauten eine wichtige Rolle“, sagt Klärner. „Hier sollten Kommunen schon im Vorfeld darauf achten, dass die Sanierung nicht dazu führt, dass die Mieten zu sehr steigen – und es sich manche Bewohner vielleicht nicht mehr leisten können, dort zu leben.“

Bürgermeister vermittelt Experten



In Faulenrost leistet Bürgermeister Claus-Dieter Tobaben unterdessen auch ganz praktische Hilfe für Menschen, die von Armut betroffen sind. „In der Verwaltung unserer Amtsgemeinde haben wir Ansprechpartner für Wohngeld und Sozialhilfe“, sagt Tobaben. „Ich höre oft in meiner Bürgersprechstunde von den Problemen, die die Menschen mit sich herumschleppen – als Bürgermeister kann ich sie dann zu den Experten vermitteln.“ Und weil das Dorf in der Nähe von Waren an der Müritz so klein ist, dient die Bürgermeistersprechstunde zuweilen auch der Absprache: Mit Kirchengemeinde und Volkssolidarität zusammen achtet Tobaben darauf, dass in seinem Dorf niemand verlorengeht. Man koordiniert ein bisschen, wer sich um wen kümmert und wer Hilfe gebrauchen kann. „Das ist ein Vorteil des Dorflebens“, meint der Bürgermeister. „Man kennt einander und man hilft einander.“ Auch wenn es um die Fahrten in die nächstgrößere Stadt geht, organisiert er zuweilen Mitfahrgelegenheiten. „Aber das funktioniert meistens in der eigenen Nachbarschaft“, sagt Tobaben.



Für die Zukunft hofft der Bürgermeister, dass sich manche praktischen Probleme für die Menschen in seinem Dorf mit Hilfe der Digitalisierung lösen lassen. „Es wird auch im Sozialbereich eine Zeit geben, in der man nicht mehr für alle Dinge persönlich aufs Amt muss“, sagt der Bürgermeister. „Am Ende aber wird es gerade im ländlichen Raum auch weiter darauf ankommen, dass sich Menschen ehrenamtlich für das Gemeinwohl engagieren und um ihre Mitmenschen kümmern.“

 

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