Das Landleben wird immer beliebter
Das Landleben wird immer beliebter
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Wohnungsnot

Umdenken: Politik wirbt für das Landleben

In Deutschland gibt es rund 1,7 Millionen leer stehende Wohnungen, die meisten davon in ländlichen Regionen. In den Städten hingegen explodieren die Kaufpreise und Mieten. Bauministerin Klara Geywitz wirbt nun für ein Umdenken in der Förderpolitik. Zeit wird es, meint Christian Erhardt.

Ja, es mag ein hipper Wunsch für viele 20 jährige sein, im 200 Meter Umkreis der eigenen Wohnung zehn schicke Cafes und Bars zu haben. Der Traum von Familien sieht aber meist anders aus: Hund, Katze, Garten, möglichst viel Grün. Ja, auch mal das Kino oder das Konzerthaus in erreichbarer Nähe. Wichtiger aber noch ist der fußläufige Supermarkt. Gerade mal elf Prozent der Familien in Deutschland wollen laut Umfrage in einer Großstadt leben. Und trotzdem titeln die Medien immer wieder Schlagzeilen, wie: „Menschen werden wegen explodierender Mietpreise aus der Stadt verdrängt“. 

Ist das wirklich so?

Diese Zeilen habe ich vor der Corona-Krise im Jahr 2019 verfasst. Damals schon hatte ich - wiederholt - den Großstadtfetischismus der Politik beklagt. Es geht um die einseitige Förderung des Wohnungsbaus in Städten. Damals hatte die Vorgängerregierung eine Kommission für "Gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land" eingerichtet. Ergebnis war jedoch, dass Bund und Länder damals die Anreize für den Bau von Wohnungen in Städten noch gefördert haben. Unsere Forderung damals, Zitat: "Dabei wäre das Geld für die Sanierung und den Neubau von Wohnungen in ländlichen Regionen weit sinnvoller angelegt. Die Hauptstadt Berlin geht noch einen Schritt weiter und will zurück in die DDR durch die Enteignung von Wohnungsbaugesellschaften. Dass der Staat selbst wesentlicher Kostentreiber auf dem Wohnungsmarkt ist, verschweigt er da lieber. Was wir brauchen ist nicht die Renaissance von Staatsunternehmen, sondern von Wohnungsbaugenossenschaften."

Das Landleben war übrigens auch in der Kommission damals kaum ein Thema. HIER finden Sie den damaligen Beitrag noch einmal zum Nachlesen: 

Macht Ministerin Geywitz in Sachen Landleben nun alles besser? 

Nun unternimmt Bauministerin Klara Geywitz einen neuen Vorstoß. Auch sie betrachtet aber das Thema leider wieder aus Sicht der Großstädte und nennt als primäres Ziel ihrer Aktion, die Wohnungsnot in Städten zu lindern. Vom Wohnwunsch der allermeisten Deutschen vom Landleben ist eher am Rande die Rede. 

Aber immerhin, sie ergänzt auch: "Wir wollen das Leben auf dem Land attraktiver machen". Dazu hat sie nun eine Verwaltungsvereinbarung zur Städtebauförderung unterzeichnet. Darin zu finden: 790 Millionen Euro um Projekte zum Erhalt von Innenstädten und Ortskernen zu finanzieren und, so wörtlich: "die Städte und Gemeinden lebenswerter zu gestalten". Für sie im Fokus: Mehr Digitalisierung und die noch stärkere Verbreitung von Homeoffice. Viel konkreter wurde sie jedoch noch nicht. 

Um zu verstehen, was wirklich passieren muss, um das Landleben attraktiver zu machen, braucht es jedoch mehr als zusätzliche Anreize für Homeoffice und schnelle Internetanbindungen. Lesen Sie - ebenfalls aus dem Jahr 2019 - an dieser Stelle noch einmal den Leitartikel von Christian Erhardt, der damals unter der Überschrift: "Schluss mit jammern - zieht aufs Land" erschienen ist.



Tenor: Das Landleben fördern statt die Großstädte künstlich zu finanzieren - warum die Mär vom Wunsch der Urbanisierung verlogen ist! Im folgenden dokumentieren wir Ihnen die Ideen von damals, die noch immer Handlungsfaden für Bund, Länder und Kommunen sein sollten: 

So leben die Deutschen - Landleben versus Städte

Heute lebt jeder Deutsche statistisch betrachtet auf mehr als 45 Quadratmetern, Tendenz seit Jahren weiter steigend. Und dann das Gejammer vieler Menschen, früher hätte man sich seine Immobilie sogar noch mit nur einem Gehalt leisten können. Stimmt, meine Eltern sind so ein Beispiel. Mit einem Gehalt haben Sie sich in einer kleinen Vorstadt ihr Haus gebaut, meine Mutter war Hausfrau, sorgte sich um meine Schwester und mich. Das ist der eine Teil der Geschichte. Zur Story vom gemütlichen Landleben gehört aber auch, wie mein Vater nach Feierabend direkt zum Rohbau des Hauses fuhr: Fliesen legen, Wasserrohre installieren, der Neffe war glücklicherweise Elektroinstallateur. Alle haben mit angepackt. Sobald das Haus bewohnbar war, wurde eingezogen, der Rest wurde nach und nach fertiggestellt. Mit knapp 120 Quadratmetern war das Haus für vier Personen nach heutigem Maßstab übrigens eher klein. 

Und wir? Haben unser Haus von Spezialisten bauen lassen, sind eingezogen nachdem auch die letzte Tapete fest an der Wand klebte, leben zu dritt auf über 150 Quadratmetern. Zugegeben, dafür braucht es dann zwei Einkommen. Aber sollten wir darüber jammern?  

DAS macht das Wohnen wirklich teuer 

Wer sich auf die Suche nach den Kostenfressern bei Immobilien macht, wird neben den beschriebenen anderen Ansprüchen und der Bequemlichkeit an vielen weiteren Stellen fündig. Da ist etwa die fiskalische Droge des Höchstpreisverfahrens auch bei Kommunen bei Grundstücksvergaben. Die Stadt Münster geht hier einen besseren Weg. Dort gibt es einen Wettbewerb nach unten bei den Wohnungspreisen. Denn Grundstücke der Stadt bekommt dort nicht der Meistbietende, sondern derjenige, der sich vertraglich zu den niedrigsten Startmieten verpflichtet. Übrigens sind die Baupreise in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren um 33 Prozent gestiegen, in unserem Nachbarland, den Niederlanden, nur um fünf Prozent. Hier kamen alle Verordnungen auf den Prüfstand, Baustandards wurden vereinfacht, Gesetze fielen weg. Es geht also!

So funktioniert Wohnraum schaffen erfolgreich und günstig 

Wegweisend ist auch das Beispiel der Stadt Ulm.Seit über 100 Jahren kauft die Stadt Flächen auf Vorrat auf, um sie eines Tages für Wohngebiete einzusetzen. Damit gewinnt sie Planungshoheit und aus einzelnen Grundstücken entsteht langfristig zusammenhängendes Bauland. Nebenbei verhindert die Stadt noch Spekulationsblasen, denn gekaufte Grundstücke können ausschließlich zum Erwerbspreis an die Kommune zurückverkauft werden. Es lohnt sich also nicht, Bauland zu kaufen und auf höhere Preise zu warten. Geschieht der Weiterverkauft dann auch noch nach Erbbaurecht, bleiben auch künftige Generationen von Stadtplanern flexibel bei der Entwicklung der Stadt. 

Die Baupreise in Deutschland sind um ein Drittel gestiegen, im gleichen Zeitraum in den Niederlanden nur um 5 Prozent. Das hat Gründe"

Christian Erhardt

Die `68er Generation vererbt ihren Kindern so viel Wohnraum, wie keine Generation davor. Es sind Grundstücke und Häuser, wie das meiner Eltern, die irgendwann zum Verkauf stehen. Das Landleben hat also eine Zukunft. Über Projekte wie „Jung kauf Alt“ etwa berichten wir in dieser Ausgabe der KOMMUNAL als ein Beispiel. Wichtig aber: statt Milliarden in angeblich sozialen Wohnungsbau in Städten zu investieren, täten wir gut daran zu überlegen, wie wir nicht nur das Wohnen, sondern auch das Arbeiten auf dem Land vereinfachen. Home-Office und Co-Working-Spaces, Digitalisierung, mehr kulturelle Angebote vor Ort sind hier nur einige Schlagwörter. Hier wäre das Geld wirklich gut investiert. Die Mär vom Wunsch der Urbanisierung ist derweil ein stückweit verlogen!