Wohnung Neubau
Die Häuser punkten mit einer klimapositiven Bilanz.
© Gewobau Bad Kreuznach

Quartier

So baut Bad Kreuznach nachhaltig

Mit einem neuen Quartier zeigt Bad Kreuznach, wie sich die Herausforderungen gebündelt angehen lassen. Das Ergebnis: Umweltfreundliche Materialien, günstige Heizung, eigene Energieversorgung und ein bezahlbarer Quadratmeterpreis.

Bis 2040 will Rheinland-Pfalz klimaneutral sein. Allein bei Wohnungsbau ist das eine Herausforderung. Die Eckdaten des neuen Solarquartiers im Bad Kreuznacher Neubauviertel „In den Weingärten“ versprechen bei diesem Projekt sogar eine klimapositive Bilanz: Die 28 Häuser verfügen über eine integrierte Sole-Wärmepumpenanlage, die mit Photovoltaik vom Pultdach betrieben wird. Anders als üblich haben die Dächer statt einer 34-Grad- nur eine 17-Grad-Neigung. Die damit produzierte Strommenge ist so groß, dass die Überschüsse – mehr als doppelt so viel wie benötigt – in einem eigenen Quartierspeicher gebunkert werden.

Strom-Überschüsse für E-Mobilität nutzen

Das Stromplus, die Bauherren rechnen mit etwa 150.000 Kilowattstunden pro Jahr, wird etwa für die E-Mobilitätsstation und die sechs öffentlichen Ladestationen eingesetzt. Die Bewohner können die angeschafften E-Autos drei Jahre nutzen und nach Ablauf der Frist mieten. Auch E-Bikes und ein E-Lastenfahrrad gehören zum Quartier. „Mobilität dient damit nicht länger zur Status-Symbolik, sondern wird Teil eines Sharing-Gedankens, der die Gemeinschaft und das Miteinander im Quartier im Sinne einer guten Nachbarschaft fördert“, heißt es bei der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft.

Smart-Home-System in den Häusern

Integriert in die Häuser ist ein digitales Smart Home-System mit CO₂- und Feuchtwerte-Sensorik. Damit können die Bewohner die eigene Energiebilanz überwachen. Die Heizung wird vollautomatisch eingestellt, die Fenster öffnen sich bei Bedarf selbstständig und auch die Rollläden folgen automatischen Einstellungen. Weitere zukunftsweisende Highlights: Die Wände der Häuser wurden direkt vor Ort von einem Partner produziert. Die Außenwände, aber auch die tragenden Innenwände, bestehen aus einem modernen Holzspanstein, bei dessen Herstellung recycltes Holz als Verschalung Verwendung findet. Der hohe Holzanteil soll einen effizienten Feuchteaustausch sicherstellen und für eine gute Raumluft sorgen. Zusammen mit einer styroporfreien Zusatzdämmung und dem Betonkern soll so eine bestmögliche Wärmespeicherung sichergestellt werden.

Green Tech Award für Solarquartier-Konzept

Bereits das Konzept des Solarquartiers hatte bundesweite Aufmerksamkeit auf sich gezogen und wurde mit dem zweiten Platz beim Green Tech Award 2018 belohnt. Zu Recht findet Gewobau-Geschäftsführer Karl-Heinz Seeger. „Zusammen mit unseren Partnern aus Industrie und Handwerk verstehen wir uns als eine Art Reallabor für die Zukunft des Wohnens. Wir arbeiten mit großem Erfolg an experimentellem, bezahlbarem Wohnraum.“

Nur drei der 28 Häuser hat die Wohnungsbaugesellschaft selbst gebaut und an sechs Mietparteien vermietet. 25 Häuser in unterschiedlichen Größen sind an Eigenheiminteressenten verkauft worden. „Wir wollten nicht komplett vermieten, um das Risiko für uns als kleine kommunale Wohnungsbaugesellschaft in Grenzen zu halten und eine gute soziale Mischung der Bewohner hinzubekommen“, sagt Karl-Heinz Seeger. Das Interesse, sagt er, sei riesengroß gewesen. Man hätte leicht mehr Wohnraum an den Mann oder an die Frau bringen können.

Wohnung

Was kosten sie, die Häuser und Mietwohnungen im Stil der neuen Zeit? Schließlich hieß eines der anvisierten Ziele: bezahlbaren Wohnraum schaffen. Günstig, aber nicht billig, seien die Häuser und Mieten, sagt der Geschäftsführer. Mit 9,50 Euro pro Quadratmeter liegt die Miete knapp über dem durchschnittlichen Mietspiegel in Bad Kreuznach, der derzeit mit 8,97 Euro angegeben wird. Die verkauften Häuser kommen auf einen Preis zwischen 2.600 und 2.800 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche. Das sei angemessen, findet Seeger, zumal bei Betrachtung der sinkenden Nebenkosten: „Statt 2 bis 3 Euro pro Quadratmeter kommen die Bewohner des neuen Solarquartiers auf etwa einen Euro pro Quadratmeter. Ein Neubau in der Zukunft kann gerne etwas mehr kosten, wenn dabei sichergestellt wird, dass die Nebenkosten für Strom und Wärme in den Jahrzehnten der Nutzung – sofern die politische und gesamtwirtschaftliche Lage es zulässt – entsprechend niedrig sind.“

Es geht darum, im gesamten Wohnungsbau umzudenken.“

Karl-Heinz Seeger, Geschäftsführer der kommunalen Wohnungs­gesellschaft in Bad Kreuznach

Modultechnik: Niederlande macht es vor

Gerade in der Bau- und Wohnungspolitik hatte sich die Ampel-Koalition besonders viel vorgenommen: 400.000 neue Wohnungen pro Jahr und ein höherer Anteil von Sozialwohnungen. Stattdessen, sagt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, sei das reale Bauvolumen 2022 um etwa zwei Prozent gesunken. Das liegt auch an den hohen Baukosten, an Material- und Handwerker-Engpässen und den Zinssteigerungen.   „Vieles ist bei uns noch immer nur sehr mühselig umzusetzen, obwohl es in anderen Ländern längst funktioniert“, beklagt Karl-Heinz Seeger. „Ein Beispiel: In den Niederlanden ist eine klimafreundliche Bauweise in Modultechnik bereits Alltag. Bei uns ist das noch selten, aber wir haben es gemacht. Die vorgefertigten Wände, aber auch die Fenster, Rollläden und die Wärmedämmung, kamen aus einer Entfernung von gerade einmal zwei Kilometer zu uns." So könne die sogenannte graue Energie aus Transportwegen so klein wie möglich gehalten werden.

Wohnung

Neben dem Solar-Quartier gibt es noch ein zweites Projekt, auf das man in Bad Kreuznach stolz ist. Im Musikerviertel ist das KUB entstanden, ein Mehrfamilienhaus in Massivbauweise, errichtet mit nachhaltigen Materialien und absolut barrierefrei. Auch hier wurden die E-Mobilität als Sharing-Objekt als auch die intelligente Nutzung erneuerbarer Energien mitgedacht.

„Wir wollen vom Solar-Quartier in absehbarer Zeit den Sprung ins grüne Wasserstoff-Quartier schaffen“, kündigt Seeger an. „Natürlich weiß ich, dass das Thema noch Zukunftsmusik ist und es bis zur Umsetzung noch viel technischer Innovation bedarf.“ Man wolle sofort am Start sein, sobald  die umgesetzt werden könne. Er betont: „Es geht um so viel mehr als nur ein paar neue Häuser und Wohnungen. Es geht um ein Umdenken im gesamten Wohnungsbau, es geht darum, Häuser zu bauen, die einen sehr langen Lebenszyklus haben und letztendlich geht es sogar darum, in eine Kreislaufwirtschaft einzusteigen – nicht nur in diesem Bereich der Wirtschaft.“