Das Einfamilienhaus wird künstlich teurer gemacht, hatte Christian Erhardt behauptet - die Bundesstiftung Baukultur sieht das anders - eine Replik!
Das Einfamilienhaus wird künstlich teurer gemacht, hatte Christian Erhardt behauptet - die Bundesstiftung Baukultur sieht das anders - eine Replik!
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Diskussion

Einfamilienhaus: Die Grenzen des Siedlungswachstums?

1. Juni 2021
Ein besseres Geschenk, als Bauland zu verknappen, kann Politik reichen Menschen nicht machen. Wenn Kommunen dann mit preisgebundenen Wohnungen gegensteuern, wird die Mittelschicht ein zweites Mal geschröpft. So hatte Christian Erhardt in seinem jüngsten Leitartikel zum neuen Baugesetz argumentiert. Der Artikel hat viele positive Reaktionen hervorgerufen, zwei Leser übten aber auch Kritik. Eine Replik und ein Beitrag zum Meinungspluralismus!

"Niemand hat die Absicht, das Einfamilienhaus zu verbieten". Das war die Überschrift im Leitartikel der aktuellen Ausgabe der KOMMUNAL. Der Artikel ist auch online bei uns veröffentlicht worden. "Danke", schrieb etwa Klaus-Peter Hesse darauf "für den zutreffenden Kommentar über Regulierungswut und Ideologie. Ein wenig mehr Vertrauen in unsere Kommunen und Unterstützung von Wohneigentum wäre wünschenswert", schreibt er. Etwas polemischer stimmte Hans Kuhn unserem Chefredakteur zu. "Das ist doch die Taktik. Sie wollen die Einfamilienhäuser nicht verbieten weil das unpopulär wäre, aber sie werden es genau mit den Mitteln der Verknappung unmöglich machen. Alle hinein in die DDR-Legebatterie", schrieb er in einem Kommentar.

Patrick Dürholdt schickte uns eine E-Mail mit folgendem Inhalt: "Niemand hat die Absicht...ist ein richtiger guter Beitrag. Was noch gar nicht beleuchtet wird ist die Bedeutung für das lokale Handwerk. Gerade Häuslebauer greifen auf Zimmermann, Flaschner und Fliesenleger vor Ort zurück, auch wenn der Rohbau meist von einem externen Unternehmen gemacht wird." 

Kritik kam derweil von der Bundesstiftung Baukultur. In einer ausführlichen Replik schreibt ihr Vorsitzender Reiner Nagel über die "Grenzen des Siedlungswachstums". Die Replik enthält durchaus richtige Zahlen und Fakten. KOMMUNAL-Chefredakteur Christian Erhardt kommentiert ihn mit den Worten: "Die genannten Beispiele wie etwa Jung kauft Alt sind absolut richtig und auch von uns mehrfach positiv herausgestellt worden, auch die Bestandsimmobilien in den Blick zu nehmen empfehlen wir immer wieder. Dass der Unterhalt von Straßen und die Trinkwasserversorgung teurer ist als in Städten ist auch logisch, das halte ich aber unter dem Gesichtspunkt der gleichwertigen Lebensverhältnisse in Deutschland für einen falschen Denkansatz. Trotzdem eine lesenswerte Replik und ein guter Beitrag zum Meinungspluralismus, den wir gerne abdrucken", so Erhardt.

Der Leitartikel von Christian Erhardt im Original

Die Replik auf den Leitartikel im Wortlaut (leicht gekürzt)

In Deutschland sind bereits 14% des Bodens durch Siedlungs- und Verkehrsflächen belegt, Tendenz weiter steigend. Unbestritten ist auch, dass allein der Bausektor für ca. 40 % aller bundesdeutschen Treibhausgas-Emissionen verantwortlich ist. Von den tägliche 54 Hektar Flächenneuausweisung, überwiegend für neue Baugebiete, müssen wir deshalb schrittweise bis 2050 zu einer Flächenkreislaufwirtschaft kommen. Das heißt, es sollen dann netto keine weiteren Flächen für Siedlungs- und Verkehrszwecke beansprucht und auch die Versiegelung heruntergefahren werden.

Tatsächlich gibt es in Deutschland so viele leerstehende Wohnungen und Häuser, wie wir sie vom Bedarf her brauchen, etwa 2 Millionen Wohnungen. Auch wenn sie scheinbar an der falschen Stelle stehen, müssen wir alle Kraft in die Reaktivierung ihrer Nutzung stecken. Für diese Bestandsaktivierung kann der Aufruf von Herrn Erhardt für das Land vielleicht hilfreich sein. Zum Glück werden alte Häuser heute neu gesehen und ihr Umbau wird auch für junge Familien zunehmend attraktiv. Viele schaffen es, die sogenannte Graue Energie der im Bestand gebundenen Baustoffe in „Goldene Energie“ umzuwandeln und damit in charaktervolle Häuser für intaktes Ortsbild. 2018 und 2019 gingen etwa 80% des Baukindergeldes in den Bestand und dessen Sanierung. Kommunale Initiativen wie beispielsweise das Projekt „Jung kauft Alt“ schaffen hier zusätzliche Anreize für einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Bestand.

Die vergangenen Monate zeigen, dass sich viele Menschen ein Leben auf dem Land wünschen. Hier sind die Kommunen aufgefordert Angebote zu machen, die jenseits monofunktionalen Schlafstätten am Ortsrand liegen. Innenentwicklung muss hier als Chance begriffen werden, im Einzel- oder Mehrfamilienhaus und gern auch im Eigentum. Das stärkt die Gemeinden. Gerade in strukturschwachen Regionen bleiben die Themen Leerstand, Stagnation und Aufrechterhaltung der Daseinsvorsorge weiterhin als zentrale Herausforderungen bestehen. Produktive und soziale Innovationen finden oft in baukulturell wertvollen Bestandsgebäuden einen neuen Standort und beleben damit die Kommune und beugen dem Donut-Effekt vor.

Zahlen zeigen aber auch, dass 84% der deutschen Gemeinden weiterhin neue Baugebiete für Einfamilienhauswohnen ausweisen. Und 65 % tun dies, obwohl sie in schrumpfenden oder stark schrumpfenden Regionen liegen. Aufgrund des Erschließungsaufwands und der Kosten durch den dauerhaften Unterhalt der Infrastruktur wundert es hier kaum, dass ein Drittel dieser Projekte ein ökonomisches Verlustgeschäft für die Kommunen darstellt. Die Kosten für die erstmalige Herstellung und den dauerhaften Unterhalt von Straßen, Kanalarbeiten, Trinkwasser- und Stromversorgung liegen nämlich im Bereich der EFH-Gebiete um ein Vielfaches höher als beim Wohnen in integrierten Lagen.

Heute lässt sich gesamtgesellschaftlich ein Trend hin zu nachhaltigeren Verhaltensweisen ablesen. Es wird zunehmend auf etwas verzichtet oder dort investiert, wo sich der persönliche Fußabdruck minimieren lässt. Es wird Zeit, dass wir damit auch beim Bauen und Wohnen anfangen.

HINWEIS: Leserbriefe geben nicht zwingend die Meinung der Redaktion wieder sondern sind - ebenso wie unsere Kommentare - persönliche Meinungen des jeweiligen Autors.