Zensus fragen online per Brief
Bundesweit sind seit Mai rund 100.000 Erhebungsbeauftragte für den Zensus 2022 im Einsatz.
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Softwareprobleme

Kommunen sehen Ergebnisse des Zensus 2022 in Gefahr

Kommunale Spitzenverbände sehen den Zensus 2022 wegen bislang nicht lösbarer Probleme mit der Software in der Gefahr zu scheitern. Bei nicht belastbaren Ergebnissen könnte auf den Bund eine Klagewelle aus den Kommunen zukommen. Bürger hingegen beschweren sich immer wieder über für sie unpassende Fragen. So erhalten sogar Tote die Aufforderung, Auskünfte zu erteilen. Das Statistische Bundesamt hat zwei Monate nach dem Start der groß angelegten Befragung in Deutschland dennoch eine positive Bilanz gezogen. Bei KOMMUNAL finden Sie den alarmierenden Brief an das Bundesinnenministerium als PDF!
Aktualisiert am 20. Juli 2022

In den deutschen Städten und Landkreisen bestehen offenbar erhebliche Bedenken, ob der aktuell laufende Zensus 2022 erfolgreich zu Ende geführt werden kann. "Gegenwärtig erreicht uns eine Vielzahl von Problemanzeigen aus verschiedenen Bundesländern zur Durchführung des Zensus 2022", heißt es in einem gemeinsamen Brief des Deutschen Städtetags und des Landkreistages. Das Hautproblem sei die für den Zensus entwickelte Software. 

Scheitert der Zensus 2022?

Den Brief, der KOMMUNAL vorliegt und der am Ende des Artikels verlinkt ist, haben die kommunalen Spitzenverbände an den für Digitalisierung zuständigen Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Markus Richter, geschickt. Die Kommunen kritisieren, dass die für den Zensus entwickelte Software trotz entsprechender Angebote der Kommunen nicht "ausreichend und belastbar erprobt worden ist".  Die Software zeige in der praktischen Anwendung erhebliche "Performanceprobleme". Über den Brief hatte zuerst das Nachrichtenportal "The Pioneer" berichtet.

Seit 15. Mai läuft der Zensus 2022. Wer angeschrieben wird, ist verpflichtet, umfangreiche Fragen zu beantworten: Denn auf Grund dieser Datenbasis soll herausgefunden werden:  Wie viele Menschen leben in den Städten und Gemeinden Deutschlands? Gibt es genügend Wohnraum für alle Bürgerinnen und Bürger? Brauchen wir mehr Schulen, Studienplätze oder Altenheime? Wo muss der Staat zukünftig mehr investieren?

Um diese und andere Fragen zu beantworten  zu können und dann Planungen darauf abzustimmen, wollen die Statistischen Ämter des Bundes und der Länder von ausgewählten Bürgern Auskunft bekommen. Die Erhebung wird alle zehn Jahre durch die Statistischen Ämter des Bundes und der Länder gemeinsam durchgeführt. Der letzte Zensus fand 2011 statt. Wegen der Corona‐Pandemie wurde der geplante Zensus in das Jahr 2022 verschoben. Bürger beklagen schon kurz nach dem Start der Befragung am 15. Mai, dass sie bei Fragen die Ämter nicht erreichen, da die Hotlines überlastet seien. Ein Leser des Tagesspiegel berichtete, dass die die Post für den bereits 2020 verstorbenen Vater ankam und auch noch für den Großvater, der bereits seit 1969 tot ist. Der Fall war bei weitem nicht der einzige.

Programm für den Zensus bricht  ab

Was sind die jetzt von den Kommunen und Kreisen beklagten Probleme? Das Programm des zentralen Erhebungsunterstützungssystems EHU breche immer wieder ab, die Datenerfassung laufe dadurch langsam. Städtetag und Landkreistag befürchten dem Schreiben zufolge, dass damit ein zeitlich geordneter Ablauf und Abschluss des Zensus  in Frage gestellt sei. Es bestehe die Sorge, dass auch "das Ergebnis des Zensus beeinträchtigt und verzerrt wird". Die örtlichen Erhebungsstellen seien gezwungen, sich mit eigenen, flexiblen Anpassungen und Umgehungen zu behelfen. Dies habe unter anderem zur Folge, dass die Kapazitäten in den Erhebungsstellen über Gebühr gebunden sind. Dies bedeute einen  erheblichen Zeitverzug.  Zudem seien "zum Teil Softwarelösungen mit den praktischen Anwendungen ganz inkompatibel (z. B. Probleme bei der Bearbeitung von erfassten Haushalten, die dazu führen, dass unrichtige Angaben nicht nachträglich korrigiert werden können).  

Ehrenamtliche Helfer bei Zensus frustiert

Schließlich gebe es auch erhebliche Probleme bei der Durchführung des Mahnverfahrens, wenn Angeschriebene nicht fristgerecht Auskünfte zum Zensus 2022 erteilen. "So wurden Mahnverfahren an Auskunftspflichtige eingeleitet, deren Erfassungsbögen bereits vorliegen, aber deren Eingabe sich - aufgrund der beschriebenen Probleme im EHU - verzögert hat." Und weiter heißt es: "Auch die Funktion der Abrechnung der Erhebungsbeauftragten über das System ist mit Fehlern behaftet und frustriert die ehrenamtlichen Helfer, aber auch die Erhebungsstellen vor Ort.

Klagewelle der Gemeinden

Der Geschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindesbundes, Gerd Landsberg, betonte gegenüber KOMMUNAL: "So kann der Prozess nicht weiterlaufen, der Bund ist verantwortlich und muss dafür sorgen, dass der Zensus 2022 ordnungsgemäß abläuft und ordentliche Ergebnisse bringt." In den vergangenen Wochen hätten sich Meldungen und Beschwerden aus den örtlichen Zensus-Erhebungsstellen der Kommunen über Fehler in der Erhebungssoftware, mangelndem Support und Material beim Zensus 2022 gehäuft. "Nur belastbare Ergebnisse dürfen zählen", fordert Landsberg. Da die Zensusergebnisse und vor allem die dabei ermittelten Einwohnerzahlen oftmals in den Bundesländern die Grundlage für die Finanzzuweisungen des Landes an die Städte und Gemeinde seien, erwarten die Kommunen zu Recht, dass die Organisationsmängel des Zensus 2022, die zu Ungenauigkeiten führen können, schnellstmöglich behoben werden. "Der Zensus 2022 muss weiter gehen und zu ordnungsgemäßen Zahlen führen", so Landsberg. "Nur so können Klarheit und Gerechtigkeit erzielt werden." Gelinge es nicht, Zweifel an der Genauigkeit auszuräumen, müsse mit einer Klagewelle von Kommunen gegen die Zensusergebnisse gerechnet werden, betonte der Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes. Denn Gemeinden könnten sich durch falsche Einwohnerzahlen benachteiligt sehen. Darüber hinaus würde das Vertrauen der Bevölkerung in die staatliche Leistungsfähigkeit des Staates empfindlich Schaden nehmen.

Bundesinnenministerium: Zensus nicht gefährdet

Eine Sprecherin des Bundesinnenministerium sagte KOMMUNAL auf Anfrage: "Wir sehen den Zensus nicht als gefährdet an."  Das Statistische Bundesamt wies in einer Mitteilung die Kritik zurück. Bei einzelnen Funktionalitäten in der Software zur Unterstützung der Haushaltebefragung komme es "punktuell zu Einschränkungen, die den Ablauf jedoch nicht beeinträchtigen". Diese Einschränkungen seien vielfach bereits gelöst oder würden in den nächsten Wochen durch neue Software-Veröffentlichungen behoben. "Die Kommunen und statistischen Ämter sind arbeitsfähig", heißt es in der Mitteilung. "Bereits über 60 Prozent der Befragten haben bereits erfolgreich an den Zensus-Befragungen teilgenommen“, sagte Georg Thiel, Präsident des Statistischen Bundesamts. „Insbesondere die Online-Befragung wird von der Bevölkerung sehr gut angenommen. Jeden Tag werden von unseren Systemen tausende von Datensätzen aus den Kommunen und der Bevölkerung verarbeitet.“

Bei  einer ersten Zwischenbilanz hatte das Bundesamt  von einem Erfolg des Zensus 2022 gesprochen. Seit dem Start vor zwei Monaten im Mai seien beim Zensus 2022 bereits 20,3 Millionen Fragebögen ausgefüllt worden und die Meldungen eingegangen. Bundesweit werden über 30 Millionen Menschen online und in persönlichen Interviews befragt.

An der Gebäude- und Wohnungszählung haben sich laut Statistischem Bundesamt nach zwei Monaten bereits knapp 74 Prozent der zu Befragenden beteiligt. In den einzelnen Ländern liege die Teilnahme zwischen 62 Prozent und 79 Prozent. Bundesweit wurden schon 17,6 Millionen Fragebogen von den angeschriebenen Eigentümerinnen und Eigentümern von Wohnraum, also etwa 23 Millionen Auskunftspflichtige beantwortet. Die Befragungen zur Gebäude- und Wohnungszählung werden noch bis November 2022 dauern, teilte das Bundesamt mit.  Mindestens 2,7 Millionen Bürgerinnen und Bürger haben den Angaben zufolge Fragebogen zur Haushaltebefragung ausgefüllt.

Ansprechpartner für organisatorische Fragen zu den persönlichen Befragungen, zum Beispiel für Terminverschiebungen, sind die Interviewer sowie die kommunalen Erhebungsstellen. „Die Interviewerinnen und Interviewer vor Ort leisten einen wertvollen Beitrag zum Zensus 2022“, sagt Katja Wilken, Gesamtprojektleiterin des Zensus beim Statistischen Bundesamt. „Viele Menschen haben uns positive Rückmeldungen zum kurzen und freundlichen persönlichen Kontakt mit den Erhebungsbeauftragten gegeben.“ Es war zunächst schwer für die Kommunen gewesen, sogenannte Erhebungsbeauftragte zu finden.

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