Forsa Aktuell
Vertrauenskrise: Worauf die Kommunen vorbereitet sein sollten
Die Vertrauenskrise in die Politik lässt sich immer deutlicher an Zahlen ablesen. Der von forsa seit fast zwei Jahrzehnten jedes Jahr für den dbb durchgeführte „Öffentliche Dienst-Monitor“ zeigte jüngst, wie drastisch das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des Staates aktuell zurückgegangen ist. Glaubte im Jahr 2020 noch eine Mehrheit aller Bundesbürger, dass der Staat trotz aller durch die Corona-Pandemie ausgelösten Probleme und Ängste in der Lage sei, seine Aufgaben erfüllen zu können, glaubt das im Sommer 2022 noch nicht einmal mehr ein Drittel. Zwei Drittel sind davon nicht mehr überzeugt und halten den Staat für überfordert. An der Leistungsfähigkeit des Staates zweifeln nicht nur fast alle der den Staat und seine Institutionen verachtenden Anhänger der rechtsradikalen AfD, sondern auch die überwiegende Mehrheit der Anhänger der FDP – immerhin eine der drei Regierungsparteien auf Bundesebene. Und selbst eine Mehrheit der Anhänger der beiden anderen Parteien der Berliner „Ampel“ – SPD und Grüne – bezweifelt, dass der Staat noch in der Lage ist, seine Aufgaben zu erfüllen.
Die Vertrauenskrise ist seit Beginn der Ampelkoalition massiv angewachsen
Die Zweifel an der Leistungsfähigkeit des Staates sind vor allem durch das Agieren der sich selbst immer noch als „Fortschritts-Koalition“ feiernden Bundesregierung in der Corona-, Ukraine- und vor allem der Energiekrise gewachsen. So hatte der Kanzler zur Bekämpfung der Corona-Pandemie die Impfung von 80 Millionen bis Weihnachten letzten Jahres und die Einführung einer Impfpflicht bis Februar dieses Jahres verkündet. Doch die Zahl der Impfverweigerer ist im Herbst 2022 nicht wesentlich niedriger als im Herbst letzten Jahres und eine Impfplicht wurde und wird trotz der Ankündigung durch den Kanzler nicht eingeführt. Und in der Ukraine-Politik gab es radikale, für die Mehrheit der Bürger schwer nachzuvollziehende Kehrtwenden: Erst sollten keine Waffen in das Kriegsgebiet geliefert werden, dann plötzlich zunächst leichte und dann in immer schnellerer Folge auch immer mehr schwere Waffen.
Besondere Verwirrung stiftete schließlich die Politik in der Energiekrise – zuletzt durch den Beschluss zur Einführung der Gas-Umlage, die eine große Mehrheit der Bundesbürger für nicht nachvollziehbar und falsch hält. Und nur ein Zehntel der Gaskunden glaubt der Zusicherung des Kanzlers, die Senkung der Mehrwertsteuer würde in etwa der Höhe der Gasumlage entsprechen. Und auch nach dem dritten, von der Regierung verkündeten Entlastungspaket glaubt so gut wie niemand, dass sich die eigene finanzielle Lage durch die beschlossenen Entlastungsmaßnahmen wesentlich verbessern werde.
Das Vertrauen in die Politik wird auch dadurch stark beeinträchtigt, dass nur wenige Bürger den Eindruck haben, dass die verschiedenen Entlastungsmaßnahmen aufeinander abgestimmt sind.
Einen Entfremdungsprozess gibt es schon länger - eine so massive Vertrauenskrise nicht!
Der schon länger zu beobachtende Entfremdungsprozess zwischen den Bürgern und den politisch Verantwortlichen hat sich durch das von den Bürgern für unzureichend erachtete Krisenmanagement vor allem in der die Bürger mit großer Sorge erfüllenden Energiekrise weiter verfestigt und vertieft. Ob aber deshalb im Herbst wirklich – wie von manchen in Politik, Medien und auch Wissenschaft verkündet - Massenproteste zu erwarten sind, ist zweifelhaft. Statt laustarkem Aufbegehren ist aber auf jeden Fall mit immer größerem Unmut und einer weiter um sich greifenden Resignation zu rechnen. Deutliche Auswirkungen davon dürften sich bei den kommenden Wahlen zeigen.
Schon die letzten Wahlen auf Landes- und kommunaler Ebene haben das klar angedeutet. So war bei den Landtagswahlen im Mai in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen die „Partei der Nichtwähler“ die mit Abstand größte Gruppe der Wahlberechtigten. In Schleswig-Holstein beteiligten sich 40 Prozent der Wahlberechtigten nicht an der Wahl, während der Wahlsieger – die CDU – nur von 26 Prozent der Wahlberechtigten gewählt wurde. Und in NRW gab es gar fast 45 Prozent Nichtwähler, während der Wahlsieger CDU nur von knapp 20 Prozent aller Wahlberechtigten gewählt wurde. An Rhein und Ruhr war der Anteil der Nichtwähler, einschließlich der ungültigen Stimmen, im Übrigen im ländlichen Raum nicht mehr wie früher niedriger, sondern genauso hoch wie in den größeren Städten und urbanen Metropolen. Vom immer größer gewordenen Unmut vieler Bürger haben aber in beiden Ländern nicht die Parteien am linken und rechten Rand des Parteienspektrums profitiert.
Und auch bei den in einigen Kreisen Sachsens im Juni stattgefundenen Landratswahlen wurde in keinem der neun Landkreise – wie von vielen Medien vorhergesagt – ein AfD-Landrat gewählt. Im Gegenteil: Die AfD konnte überall nur einen Bruchteil ihrer Wähler der Bundestagswahl vom September letzten Jahres bei den Landratswahlen wieder mobilisieren. Der Unmut der Bürger führte also auch im Osten des Landes nicht zu einer Stärkung des rechtsradikalen Wählerlagers, sondern äußerte sich in massiver Wahlenthaltung.
Die Kommunen, die den Bürgerwillen nicht in ausreichendem Maße in ihrer Politik vor Ort berücksichtigen, dürften den Unmut der Bürger auch entsprechend bei den demnächst anstehenden Wahlen in Form großer Wahlverweigerung erfahren.