Solarzellen auf dem Dach werden angebracht.
Bottrop hat die höchste Photovoltaik-Dichte pro Einwohner.
© FOTOS / Ralph Lueger

Strukturwandel

Eine Kohlestadt wird klimagerecht umgebaut

Der klimagerechte Stadtumbau – ausgerufen von einem Wirtschaftsverband. Das Ziel: keine negativen Folgen für Wirtschaft und Arbeitsmarkt. Eine ehemalige Kohlestadt hat das geschafft. Bottrop hat seine CO2-Emissionen innerhalb von zehn Jahren um fast 50 Prozent gesenkt. Eine Erfolgsstory.

Die kreisfreie Stadt im Ruhrgebiet gilt nicht gerade als Touristenmagnet. Auf dem „Gipfel“ der ehemaligen Bergbauhalde Haniel auf 185 Metern Höhe genießt der Wanderer einen schönen Rundblick über das Ruhrgebiet und Film-Fans können im Movie Park Germany Kulissen ansehen, in denen Film- und Fernsehgeschichte geschrieben wurde. Was Bottrop aktuell besonders macht, lässt sich am besten in Zahlen ausdrücken: Die Kommune hat innerhalb von zehn Jahren ihre CO2-Emissionen um 49 Prozent reduziert.

Einstige Kohlestadt klimagerecht umbauen

Diese beeindruckende Zahl hat das mit der Prüfung beauftragte Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie errechnet. Zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum wurden deutschlandweit 19 Prozent eingespart. Damit ist die ehemalige Stadt der Kohle-Kumpel auf dem besten Weg, sich in eine klimaneutrale „Stadt von morgen“ zu wandeln.

Ausgerufen wurde das ehrgeizige Ziel vor zehn Jahren von einem Wirtschaftsverband. Die Initiativkreis Ruhr GmbH hat in mehr als drei Jahrzehnten ihres Wirkens schon einige Bildungs-, Kultur- und Innovationsprojekte initiiert. Eines der ambitionierteren: Im Städtewettbewerb „Blauer Himmel, grüne Stadt“ wurde die Modellstadt „InnovationCity Ruhr“ gesucht. Eine Stadt, die sowohl den Klimawandel als auch den Strukturwandel erfolgreich managt. Ziel des ehrgeizigen Unterfangens: die CO2-Emissionen um 50 Prozent reduzieren.

Projekt InnovationCityRuhr

Anette Bickmeyer, Geschäftsführerin der Initiativkreis Ruhr GmbH: „Mit dem Projekt InnovationCity Ruhr sind alle Beteiligten ins Risiko gegangen. Zehn Jahre später können wir auf jeden Fall eine positive Bilanz ziehen. Bezüglich der eingesparten Emissionen, aber auch bezüglich des bürgerschaftlichen Engagements. Die Bottroper haben deutlich gemacht: Mit neuen, attraktiven Konzepten und gewollter Teilhabe lassen sich auch die Bürger für groß angelegte Infrastrukturprojekte begeistern.“ Das sieht der Oberbürgermeister der Stadt, Bernd Tischler, ganz ähnlich. „Was wir in den vergangenen zehn Jahren in über 30 Einzelprojekten geschaffen haben, ist eine enorme Leistung und nur mit der Power unzähliger Menschen zu meistern.“

Höchste Photovoltaik-Dichte pro Einwohner

Zum Erfolg des Projektes haben die Bürger sogar maßgeblich beigetragen. Mehr als 11.000 Menschen nahmen in den vergangenen Jahren an über 400 Projekt-Veranstaltungen teil. Viele Hausbesitzer haben ihre Dächer mit Photovoltaik versehen. So zahlreich, dass Bottrop unter allen Großstädten in NRW die höchste Photovoltaik-Dichte pro Einwohner hat. 30 Prozent aller Immobilienbesitzer nahmen das Angebot für eine Energieberatung an. 36 Prozent des gesamten Hausbestandes wurden innerhalb von zehn Jahren teilweise oder komplett energetisch modernisiert.  Burkhard Drescher, Geschäftsführer der deutschlandweit tätigen und in Bottrop federführenden Beratungs- und Projektmanagementgesellschaft „Innovation City Management GmbH“, nennt weitere beeindruckende Zahlen: „Die CO2-Emissionen der öffentlichen Gebäude sind in Bottrop um 40 Prozent, die von Wohngebäuden sogar um 47 Prozent gesunken.“

Solardächer in Bottrop

Bürger beim klimagerechten Umbau einbeziehen

Den ehemaligen Oberbürgermeister von Oberhausen holte der Initiativkreis Ruhr 2011 mit ins Boot. Burkhard Drescher erinnert sich: „Damals machte sich nach der ersten Euphorie in der Kommune gerade Ernüchterung breit. Die Stadt brauchte einen Masterplan. Analyse, Beratung, Finanzierung sowie die partnerschaftliche Zusammenarbeit sehr unterschiedlicher Akteure: In all diesen Bereichen hat unser interdisziplinäres Team reichlich Erfahrung. Gerne übernahm ich mit meinem Team die Leitung und die Steuerung des ehrgeizigen Projektes.“ Das angestrebte Ziel hielt er damals für durchaus machbar. Wichtig sei allerdings, dass die Kommune das Projekt priorisiere und die Einbindung der Bürgerinnen und Bürger gelänge. Ebenso bedeutsam sei eine gute und konstruktive Kommunikation aller Beteiligten. Burkhard Drescher schmunzelt: „Politiker, Dezernenten, Verwaltungsfachleute, Unternehmer und Wissenschaftler an einem Tisch: Diese Kommunikationsprozesse zu moderieren, das war mitunter wirklich nicht einfach. Es ging ja nicht nur um unterschiedliche Interessen, sondern auch um unterschiedliche Blickwinkel und teilweise sogar um eine sehr unterschiedliche Sprache“, unterstreicht der Geschäftsführer.

Strukturwandel vorangetrieben

Insgesamt wurde in den vergangenen zehn Jahren in Bottrop die gewaltige Summe von 732 Millionen Euro in die Hand genommen. 70 Prozent wurden privat investiert, 30 Prozent steuerte die Kommune bei. Gut investiertes Geld findet Burkhard Drescher: „Mit der Kohle ist in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur in Bottrop die Existenzgrundlage vieler weggebrochen. Für den noch andauernden Strukturwandel braucht das Ruhrgebiet eine Vision. Unsere lautet: Klimaneutralität. Ich denke, wir haben mit diesem erfolgreichen Projekt hinreichend bewiesen, dass sich Klimaschutz lohnt. Auch volkswirtschaftlich betrachtet. Bei uns sind in den vergangenen Jahren nicht nur keine Arbeitsplätze vernichtet worden, es wurden sogar neue geschaffen. Und die Bürger werden mittelfristig nicht be- sondern entlastet.“

Starker Verkehr in Bottrop

Ein Bereich ist und bleibt allerdings problematisch: der Verkehr. Im Norden der Stadt rollen – gemessen in der Nachbarstadt Oberhausen – täglich im Durchschnitt mehr als 100.000 Fahrzeuge vorbei. Im Süden – auf der A42 – sind es kaum weniger. Burkhard Drescher: „Die Emissionen aus dem Verkehr können wir im bevölkerungsreichen Ruhrgebiet nur im Verbund lösen. Für Bottrop tun wir, was getan werden kann: Fahrradwege ausbauen, Fahrrädern Vorfahrt einräumen, die E-Ladestationen in den Stadtquartieren ausweiten.“ Ausbaufähig sei, so der Leiter des Projekts, das Engagement von Wohnungsbesitzern und Unternehmen, auf deren Grund und Boden es bisher kaum Ladestationen gebe.  Ebenso wie die teilweise ungenutzten Einsparungspotenziale in der Wirtschaft.

Zwar sank im Laufe der vergangenen zehn Jahre auch im Sektor Arbeit und  Industrie der CO2-Ausstoß um beeindruckende 56 Prozent. Allerdings mehrheitlich durch einen besonders engagierten Akteur. Burkhard Drescher: „Die Emschergenossenschaft hat umfangreiche Mittel in die Modernisierung ihres Klärwerks investiert. Aus diesem Engagement entwickelte sich dann aber ein Dominoeffekt. Gerade kleinere Firmen haben vorbildlich zur Senkung beigetragen. Etwa eine Schlosserei, die zu einem Betrieb umgebaut wurde, der mehr Energie gewinnt als verbraucht.“

Mobilitätswende integrieren

Trotz der beeindruckenden Zahlen sieht auch Oberbürgermeister Bernd Tischler „seine“ Stadt noch lange nicht am Ziel. „Wir hören mit den Themen Energieeffizienz und Klimaschutz nicht auf, wir machen weiter und integrieren vor allem die Mobilitätswende. Wir entwickeln die InnovationCity Bottrop zur Klimastadt Bottrop. Man wird noch viel von uns hören.“

Fotocredits: Ralph Lueger (Auftakt), KlimaExpoNRW-ICM