Ferda Ataman Antidiskriminierungsbeauftragte
Die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman, fordert mehr Schutz vor Benachteilung.
© Steffen Kugler/Bundespresseamt

Forderung

Diskriminierungsverbot auch für Behörden

Momentan stellt der Staat an sich selbst niedrigere Standards gegen Diskriminierung als an die Privatwirtschaft, beklagt die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman. Das schwäche das Vertrauen. Kommunen können viel dazu beitragen, gegen Diskriminierung vorzugehen, so Ataman im Interview mit KOMMUNAL.

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) ist 2006 gegründet worden. Damals trat auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Kraft. Die Stelle unterstützt nicht nur Betroffene, sie informiert die Öffentlichkeit über das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und vergibt Forschungsvorhaben. Immer mehr Menschen melden der Antidiskriminierungsbeauftragten Ferda Ataman, dass sie diskriminiert werden.

KOMMUNAL: Frau Ataman, wie viele Beratungsanfragen gab es im vorigen Jahr bei der Antidiskriminierungsstelle?

Ferda Ataman: Bei uns sind  insgesamt  8.827 Beratungsanfragen eingegangen. Im Vergleich zum Vorjahr entspricht das einem Anstieg um 14 Prozent. Im Vergleich zu 2019 – dem Jahr vor der Pandemie – haben sich die Anfragen sogar verdoppelt. Die große Mehrheit, über 6.600 Fälle, betrafen mindestens ein im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz geschütztes Diskriminierungsmerkmal. Auch das ist ein absoluter Rekordwert. Die Zahlen machen mir als Antidiskriminierungsbeauftragte Sorge. Gleichzeitig sehe ich darin aber auch eine positive Entwicklung. Denn die Zahlen zeigen: Immer mehr Menschen lassen sich Diskriminierung nicht einfach gefallen. Sie informieren und wehren sich.

In welchen Bereichen sehen die Menschen sich in Deutschland vor allem diskriminiert?

Die meisten Anfragen gab es  im Jahr 2022 zu Diskriminierungen bei der Jobsuche oder am Arbeitsplatz selbst. Danach kommen Fälle, die sich beim Zugang zu „Gütern und Dienstleistungen“ ereigneten, also bei sogenannten Alltagsgeschäften. Das bedeutet, Menschen wurden zum Beispiel beim Restaurantbesuch oder bei der Eröffnung eines Bankkontos benachteiligt. Am häufigsten haben sie uns von rassistischer Diskriminierung berichtet. 43 Prozent der Beratungsanfragen kamen dazu. 27 Prozent der Menschen haben sich bei uns gemeldet, weil sie aufgrund einer Behinderung Diskriminierung erlebt haben. 21 Prozent der Menschen wurden wegen des Geschlechts oder der Geschlechtsidentität diskriminiert.

Wie sieht es in den Behörden aus?

Rund ein Fünftel aller Diskriminierungsfälle, die bei uns eingehen, geht von staatlichen Stellen aus. Im Jahr 2022 haben sich über 1000 Menschen bei uns gemeldet, die bei Ämtern und Behörden diskriminiert wurden. Anders als in der Privatwirtschaft greift der Diskriminierungsschutz des Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) hier aber nicht.

 Was fordern Sie?

Das Diskriminierungsverbot sollte auch für staatliches Handeln gelten – also auch für Ämter, Behörde, Justiz und Polizei. Momentan stellt der Staat an sich selbst niedrigere Standards als an die Privatwirtschaft. Das ist für die Bevölkerung kaum nachvollziehbar. Es schwächt das Vertrauen in den Staat, der in Sachen Antidiskriminierung Vorbild sein sollte. Auch deshalb brauchen wir eine Reform des Diskriminierungsschutzes in Deutschland.

Welchen Regelungsbedarf sehen Sie noch im Gleichstellungsgesetz?

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz  ist seit 2006 in Kraft. Es war von Anfang an eines der schwächsten Antidiskriminierungsgesetze in der EU und wurde bis heute nicht reformiert. In seiner jetzigen Form macht das Gesetz es den Menschen schwer, gegen Diskriminierung vorzugehen. Eine Hürde stellt die knappe Klagefrist dar. Wer diskriminiert wird, hat laut dem AGG nur zwei Monate Zeit, um vor Gericht zu ziehen. Wir möchten, dass die Frist auf ein Jahr erhöht wird. Außerdem möchten wir weitere Schutzgründe in das Gesetz aufnehmen, zum Beispiel das Merkmal sozialer Status. Auch Eltern und Menschen, die familiärer Fürsorgeverantwortung übernehmen, erleben Benachteiligungen – vor allem am Arbeitsmarkt. Hier braucht es einen besseren Diskriminierungsschutz. Ich gehe davon aus, dass die Reform des AGG noch in diesem Jahr angegangen wird. Das hat die Bundesregierung im Koalitionsvertrag festgelegt.

Wie ist es um die Diversität der Mitarbeiter in kommunalen Verwaltungen bestellt?

Kommunen sind enorm wichtig und nah an den Menschen dran. Umso sinnvoller ist es, dass sie die Gesellschaft und Perspektivenvielfalt der Bevölkerung in der Verwaltung vor Ort abbilden. Ich bin dafür, dass wir für den öffentlichen Dienst ein Gebot zur Wertschätzung von Vielfalt und Diskriminierungsschutz im AGG verankern. Damit das gelebte Realität wird, braucht es Aus- und Weiterbildungen, bei denen Beschäftigte Diversity-Kompetenzen und Grundlagen des Antidiskriminierungsrechts kennenlernen. Menschen in Führungspositionen tragen eine besondere Verantwortung. Für sie sollten solche Qualifizierungsmaßnahmen verpflichtend sein.

Was muss an den Schulen passieren, um rechtsextreme Vorgänge wie an einer Brandenburger Schule zu vermeiden? Was können Kommunen tun?

Rechtsextreme Vorfälle an Schulen sind ein Alarmsignal. Es ist wichtig, dass sich Kommunalpolitiker und Kommunalpolitikerinnen hinter die Menschen stellen, die solche Vorfälle bekannt machen. Und vor allem: das die Vorfälle nicht konsequenzenlos bleiben. Gegen Straftaten müssen rechtsstaatliche Mittel ergriffen werden. Diskriminierung beginnt aber viel früher. Da Bildung Ländersache ist und Schulen meistens staatlich, brauchen wir Landesantidiskriminierungsgesetze. Das hat bisher nur Berlin. Überall sonst gilt tatsächlich kein Diskriminierungsverbot an Schulen und es fehlt der rechtliche Rahmen, an dem sich Schulpersonal und Betroffene orientieren können.

Sie planen eine Informationskampagne gegen Diskriminierung. Wo sehen Sie da die Rolle der Kommunen?

Wir planen zum Herbst eine bundesweite Kampagne, die nicht nur in die Städte, sondern weit in die Fläche wirken soll. Unser Ziel ist es, mehr Menschen für das Thema Diskriminierung zu sensibilisieren. Wir wollen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz bekannter machen und Menschen, die Diskriminierung erleben über ihre Rechte aufklären. Die Kommunen sind dabei ein ganz wichtiger Bündnispartner. Schon jetzt gibt es auf kommunaler Ebene viele Antidiskriminierungsstellen. Die möchte ich in meine Informationskampagne ausdrücklich einbinden.

Die Antidiskriminierungsbeauftragte spricht beim Kongress Demografie und Nachhaltigkeit“. Er findet am 14. September in Berlin statt. Die Teilnahmegebühr liegt inklusive Verpflegung bei 360 Euro.

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