Nächtliche Ausgangssperre leere Städte
Die Ausgangssperre sorgt für leere Städte. Das geplante Infektionsschutzgesetz sieht dafür bundeseinheitliche Regelungen vor.
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Infektionsschutzgesetz

Ausgangssperre: Warum zwei Landräte klagen

Die im neuen Infektionsschutzgesetz geplante nächtliche Ausgangssperre sorgt für Proteste. Zwei Landräte gehen juristisch gegen die eigene Corona-Regelung vor. „Nächtliche Ausgangsbeschränkungen sind für ländliche Räume absolut unverhältnismäßige Maßnahmen. Kontaktverbote sehe ich als besser geeignet", sagte der Landrat des Eifelkreises Bitburg-Prüm, Joachim Streit, zu KOMMUNAL.

Die sogenannte Bundesnotbremse sieht nächtliche Ausgangssperren vor, wenn in dem Landkreis oder der kreisfreien Stadt innerhalb einer Woche mehr als 100 Corona-Neuinfektionen an drei nacheinanderfolgenden Tagen registriert werden. Diese Verschärfung, die bisher nicht in allen Bundesländern gilt, sorgt für Proteste. Mit Klagen ist zu rechnen. Auch viele Kommunen sehen die geplante Regelung kritisch. Das Bundeskabinett hat das veränderte Infektionsschutzgesetz bereits beschlossen, doch nun ist der Bundestag gefragt, der Bundesrat wird sich auch damit befassen, die Länderkammer muss aber nicht zustimmen. Der Landrat des Eifelkreises Bitburg-Prüm,  Joachim Streit, sieht eine Ausgangssperre als nicht verhältnismäßig an und versuchte sie deshalb in mehrmaligen Versuchen zu verhindern. „Nächtliche Ausgangsbeschränkungen sind für ländliche Räume absolut unverhältnismäßige Maßnahmen. Kontaktverbote sehe ich als besser geeignet", sagte er zu KOMMUNAL.

Nächtliche Ausgangssperre beschäftigt Gerichte

Das Sozialministerium in Rheinland-Pfalz verpflichtete Landrat Streit per Erlass, die Muster-Allgemeinverfügung des Landes einschließlich der Ausgangssperren von 21 Uhr bis 5 Uhr zu erlassen. Er ging juristisch dagegen vor. Das Verwaltungsgericht Trier hat zwar in der Hauptsache keinen Erfolg gebracht, der Punkt Ausgangsbeschränkungen wird aber in der Hauptsache weiterbehandelt", sagte Sprecher Thomas Konder auf Anfrage von KOMMUNAL. Ob die Ausgangssperre rechtmäßig und vor allem verhältnismäßig sei, bedürfe einer vertieften Prüfung und könne daher nicht im Eilverfahren geklärt werden, so die Richter. 

Den Beschluss des Gerichts können Sie hier im Original noch einmal nachlesen. Wir haben Ihnen den Beschluss als PDF im Wortlaut verlinkt: 

Inzwischen hat sich das Problem zumindest in der Praxis geklärt: Die Inzidenz im Landkreis fiel unter die 100er-Marke, so dass die nächtlichen Ausgangssperren wieder aufgehoben sind. Dennoch will der Landrat eine juristische Klärung herbeiführen - und setzt nun nach Angaben seines Sprechers auf die Hauptverhandlung.

Landrat des Rhein-Hundsrück-Kreises: Ansteckungen meist tagsüber

Auch der Landrat des Rhein-Hundsrück-Kreises, Marlon Bröhr, ist als Privatperson gegen die von ihm zwangsweise erlassene Ausgangsbeschränkung vorgegangen. Wie das Verwaltungsgericht Koblenz nach einem Bericht der ZEIT mitteilte, hatte Bröhr in einem Eilverfahren Widerspruch gegen die nächtliche Ausgangsbeschränkung eingelegt, die er wegen hoher Corona-Fallzahlen im Rhein-Hunsrück-Kreis vorerst bis zum 20. April verfügt hatte.

An fünf aufeinanderfolgenden Tagen wurde die Inzidenz-Grenze von 100 überschritten - daraufhin  verpflichtete das rheinland-pfälzische Gesundheitsministerium den Landrat zu der Ausgangsbeschränkung verpflichtet. "Trotz mehrmaliger Versuche von Landrat Dr. Marlon Bröhr insbesondere Ausgangssperren für den Rhein-Hunsrück-Kreis zu verhindern, wurde er per Erlass des Ministeriums für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie vom 6. April 2021 verpflichtet, die Muster-Allgemeinverfügung des Landes – einschließlich der Ausgangssperren – zu erlassen", heißt es auf der Homepage des Landkreises. Die Alllgemeinverfügung gelte bis  zum 20. April.

Bürger dürfen nun nach 21 Uhr nur noch bei bei triftigen Gründen  ihre Häuser verlassen. "Da wird eine rote Linie überschritten", kritisiert  Landrat Bröhr. Die Ausgangsbeschränkung sei nicht zweckmäßig. Er verweist darauf, dass im ländlich geprägten Rhein-Hunsrück-Kreis bislang keine einzige Corona-Infektion in der Nacht nachgewiesen worden. Die Ansteckungen passierten tagsüber.

Berlins Regierender Bürgermeister gegen Ausgangsbeschränkungen

Während Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher die in seiner Stadt geltende nächtliche Ausgangssperre für wirkungsvoll und in der jetzigen Phase der Corona-Pandemie für angemessen hält, ist Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller dagegen. Er kritisiert den Beschluss des Bundeskabinetts zur Bundesnotbremse. Mit ihr gebe es zwar einen „anderen Rechtsrahmen“, der „auch ein Stück mehr juristische Sicherheit“ gibt.  „Wir müssen aber doch sehen, dass wir ein Stück Normalität zurückgewinnen", sagte Müller in der Sendung RBB Spezial. Es seien wichtige Erfahrungen zu sehen, wie etwas in der Gastronomie oder in der Kultur funktioniere. "Richtig ist mit Sicherheit, die Kontakte so weit es geht drinnen wie draußen zu reduzieren und auf das Nötigste zu beschränken", betonte Müller. Er argumentiere aber gegen eine harte Ausgangssperre. "Abends alleine oder zu zweit spazieren zu gehen, ist keine große Gefahr", zeigt sich der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz überzeugt. Um die Pandemie in den Griff zu bekommen, müsse man den Menschen klarmachen, dass die Gefahr drinnen lauere. Auch Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte sieht große rechtliche Probleme bei der Ausgangssperre.

Landkreistag sieht Ausgangssperren kritisch

Der Deutsche Landkreistag nennt den Entwurf des Infektionsschutzgesetzes ein Misstrauensvotum gegenüber Ländern und Kommunen. Denn damit würden auch einzelne verantwortbare Modellversuche über einer Inzidenz von 100 praktisch unterbunden, hinzu kommen vom Bund über den Kopf der Länder hinweg angeordnete Schulschließungen. "Ausgangssperren sind für die Landkreise ebenfalls sehr kritisch zu hinterfragen", betonte Präsident Landrat Reinhard Sager.

Städte- und Gemeindebund: Verfassungsrechtlich bedenklich

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg,  sieht Ausgangsbeschränkungen ebenfalls kritisch. Er sagte zu KOMMUNAL: "Die im Beschluss des Kabinetts vorgesehenen Ausgangsbeschränkungen ab einem Inzidenzwert von 100 ist verfassungsrechtlich problematisch." Ein derartiger Eingriff müsse befristet und genau begründet werden. In Deutschland gebe es dafür keine wissenschaftlichen Erkenntnisse.  Sollte das Gesetz am 26. April in Kraft treten, wäre bei den derzeitigen Inzidenzen mindestens die Hälfte Deutschlands betroffen. Landsberg hält es für notwendig, zu dem Mittel erst ab höheren Inzidenzwerten zu setzen. Ausgangsbeschränkungen seien erst ab Inzidenzwerten von mehr als 200 denkbar. Anders als der Präsident des Landkreistages sieht er durch das veränderte Infektionsschutzgesetz die Länder und Kommunen nicht entmachtet. "Es geht allein um die Festlegung von Leitplanken, die bundeseinheitlich gelten sollen."

In Schleswig-Holstein haben die Vorsitzenden der Kommunalen Landesverbände in Schleswig-Holstein haben einen bundeseinheitlichen Lockdown abgelehnt, der allein an die vorgesehenen Inzidenzwert-Grenzen gekoppelt sein soll.

Amtsgerichtsdirektor warnt vor Änderungen im Infektionsschutzgesetz

Jens Gnisa, Amtsgerichtsdirektor in Bielefeld  und früherer Vorsitzender des Deutschen Richter-Bundes,  sagte dem Westfalenblatt: „Ich bin fassungslos. Dieses Gesetz stellt unsere Verwaltungsgerichte weitgehend kalt."  Komme das Gesetz durch, könnten Bürger nicht mehr mehr wie bisher vor Gerichte ziehen, um sich gegen einzelne Corona-Maßnahmen zu wehren.

Eine nächtliche Ausgangssperre ist derzeit bereits in mehreren Bundesländern verpflichtet, wenn innerhalb einer Woche mehr als 100 Neuinfektionen registriert werden, darunter in Bayern, Bremerhaven und Niedersachsen.

Unterdessen übten führende Forscherinnen und Forscher der Gesellschaft für Aerosolforschung (GAeF) Kritik an Ausgangsperren. Sie fordern in einem Offenen Brief einen Kurswechsel.