Zurückgetretener Gemeinderat und Bürgermeister Freisbach
Der Gemeinderat von Freisbach und Bürgermeister Peter Gauweiler (2.v.r., hintere Reihe) sind aus Protest zurückgetreten.
© Gemeinde Freisbach

Protest-Aktion

Nach Rücktritt: Freisbachs Gemeinderat tritt wieder an

In Freisbach sind der komplette Gemeinderat und Bürgermeister Peter Gauweiler jüngst aus Protest zurückgetreten. Um zu verhindern, dass die AfD die Situation nutzt, haben sich die Mitglieder des Gemeinderates dazu entschieden, erneut zu kandidieren. Und was ist mit Bürgermeister Gauweiler?

Der Rücktritt des Gemeinderates und des Bürgermeisters in Freisbach haben bundesweit für Aufmerksamkeit gesorgt. Seit Jahren fühlen sich Gemeinderat und Bürgermeister von der "großen Politik" im Stich gelassen. Im KOMMUNAL-Interview sagt Bürgermeister Peter Gauweiler, wie er die Aktion rückwirkend bewertet und wie es nun weitergehen soll.

KOMMUNAL: Herr Gauweiler, warum sahen Sie und der komplette Gemeinderat keinen anderen Ausweg als von ihren Ämtern zurückzutreten?

Peter Gauweiler: Es war eine rein rationale Entscheidung. Wir sind nicht aus Wut und Empörung zurückgetreten, sondern weil uns nichts anderes mehr übrigblieb. Die Kommunalaufsicht wollte den vom Gemeinderat verabschiedeten Haushalt nicht genehmigen. Seit Mai muss in Rheinland-Pfalz laut einem neuen Landesgesetz jede Kommune einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Das ist aber ein Ding der Unmöglichkeit. Wir haben 1,6 Millionen Schulden am Haken und machen 640.000 Euro Minus. Da hilft auch kein Sparen. Selbst wenn wir alles zusperren würden und kein Licht mehr anknipsen, würden wir noch Schulden machen.

Die Kommunalaufsicht hat gefordert, dass die Gemeinde mehr Steuern und Abgaben von den Bürgern einnehmen soll.

Das würde unser Problem nicht lösen. Eine Steuererhöhung belastet die Bürger nur noch mehr, unser Haushalt wäre aber auch dann nicht ausgeglichen. Unsere Steuersätze sind nicht niedrig, wir liegen damit auf Landesniveau. Wie soll ich den Bürgern erklären, dass sie doppelt und dreifach so viel zahlen sollen, aber nichts dafür bekommen?

Können Kommunen denn unter solchen Bedingungen noch gestalten?

 Die Situation ist nicht überall gleich. In Rheinland-Pfalz aber sind die Kommunen definitiv unterfinanziert, das Land muss sie dringend mehr unterstützen.  Unser Rücktritt sollte auch ein Hilferuf sein, wir wollten damit ein Zeichen auch für andere Kommunen setzen.  Wenn ich nur noch die Pflichtaufgaben erfüllen darf, dann kann ich nicht mehr gestalten, dann hätte sich meine Aufgabe als Bürgermeister nur noch darauf beschränkt, Rechnungen anzuweisen. Meine Aufwandsentschädigung als ehrenamtlicher Bürgermeister wäre dann leicht verdientes Geld. Auch die 16 Ortsgemeinderäte haben sich die Frage gestellt: Wofür braucht es uns noch, wenn es für uns nichts mehr zu entscheiden gibt. Der Neubau eines Kindergartens, die dringend notwendige Sanierung der Sporthalle – alles liegt brach.  Wie soll ich als Gemeinde eine neue Kita bauen, wenn ich bei 5,5 Millionen Euro Investitionssumme vom Land nur eine Million Euro für die Baukosten bekomme? Wir brauchen aber dringend mehr Platz für die Kinder.

Deutschlands Bürgermeister und Bürgermeisterinnen beklagen, dass sie immer mehr Aufgaben vom Bund und vom Land aufgedrückt bekommen – und die Bürokratie zunimmt.

Es wird den Kommunen immer schwerer gemacht, vor Ort zu gestalten und zum Wohle der Bürger das schnell umzusetzen, was notwendig ist. Ein Beispiel, unabhängig von unserer finanziellen Situation: Das Kindergartengesetz schreibt vor, dass die Kinder ein warmes Essen bekommen. Wir wollen die bisherige Sportgaststätte zur Mensa für die Kita umbauen, nachdem der Gastronom aufgehört hat. Den Umbau hätten wir schnell hingekriegt, denn eigentlich müssten nur die Stühle ausgetauscht werden. Doch da kommt die Bürokratie ins Spiel: Wir brauchen die Genehmigung für die Nutzungsänderung, müssen einen Architekten beauftragen und es muss ein Bauantrag geschrieben werden. In unserem Fall könnten wir uns das nach den Maßgaben des Landes gar nicht leisten.

Freisbach Ortsansicht

Sie waren 20 Jahre lang Bürgermeister in Freisbach. Als Sie bei der Gemeinderatssitzung ihren Rücktritt erklärt haben, gab es stehenden Applaus von den anwesenden Bürgern. Viele sehen nun die Demokratie in Gefahr, sie fürchten, nun könnten die Rechten das Ruder übernehmen.

Tatsächlich bekam ich als Reaktion auf unseren Rücktritt viel Zuspruch auch von Menschen mit rechtsextremer Gesinnung und von Reichsbürgern. Die AfD könnte die Situation nun für sich ausnutzen – und schickt womöglich Kandidaten ins Rennen. Doch wir wollen den Rechten das Feld nicht überlassen. Daher will der bisherige Gemeinderat erneut kandidieren und - sofern sich die finanzielle Situation nicht ändert - gegebenenfalls die Mandate nicht annehmen. Für mich gilt das nicht. Ich bin 67 Jahre alt und trete nicht nochmal als Bürgermeister an.

Sehen Sie die Demokratie in Gefahr?

Ich sehe die Demokratie nicht in Gefahr, aber das Ehrenamt. Auch neue Gemeinderäte können nichts an der finanziellen Lage in unserer Kommune ändern, wenn nicht das Land umschwenkt. Wieso sollen Menschen als ehrenamtliche Bürgermeister und Ratsmitglieder sich engagieren, wenn sie nichts bewegen können? Wir wissen doch am besten, was vor Ort notwendig ist und wollen, dass unsere Dörfer und Städte eine Zukunft haben. Bund und Länder dürfen die Kommunen nicht alleine lassen.