Der Gemeinderat und der Bürgermeister in Freisbach sind geschlossen zurückgetreten - das Rathaus der Gemeinde (im Bild) ist politisch verwaist
Der Gemeinderat und der Bürgermeister in Freisbach sind geschlossen zurückgetreten - das Rathaus der Gemeinde (im Bild) ist politisch verwaist
© Gemeinde Freisbach

Protest gegen Bund und Land

Hilferuf: Bürgermeister und Gemeinderat sind geschlossen zurückgetreten

Eine Gemeinde ist finanziell am Ende. Selbst für das Nötigste ist kein Geld mehr vorhanden. In diesem Fall für den dringend nötigen Neubau eines Kindergartens, der aus allen Nähten platzt. Und es ist nicht die einzige Sorge der Gemeinde. Seit Jahren fühlen sich Gemeinderat und Bürgermeister von der "großen Politik" im Stich gelassen. Am Abend (8. August) sind der Bürgermeister und der Gemeinderat geschlossen zurückgetreten - eine einmalige Protestaktion in Deutschland. Die ganze Geschichte und wie es nun weitergehen soll...

16 Mitglieder hat der Gemeinderat in Freisbach in der Südpfalz, dazu den ehrenamtlichen Bürgermeister Peter Gauweiler. Er ist seit 20 Jahren im Amt und mehr und mehr frustriert. Der Finanzhaushalt für dieses und kommendes Jahr wurde von der Kommunalaufsicht noch immer nicht genehmigt. Denn die Ausgaben der kleinen Gemeinde mit 1100 Einwohnern übersteigen die Einnahmen deutlich. Darum fordert die Kommunalaufsicht eine Erhöhung der Abgaben in der Gemeinde. Gemeinderat und Bürgermeister laufen dagegen aber Sturm. Denn, so sagt Bürgermeister Gauweiler immer wieder in Gesprächen: "Für unsere Pflichtaufgaben haben wir mehr Kosten als das, was wir einnehmen". 

Gebäude in der Gemeinde sind marode - Gemeinderat startet ungewöhnliche Protestaktion 

Es sind eben - so auch der Gemeinderat - keine selbstverschuldeten hohen Ausgaben, die zu der Pleite der Kommune geführt haben. Die Pflichtaufgaben, die der Gemeinde von Bund und Land übertragen wurden, werden einfach nicht ausfinanziert. Für die Jahre 2023 und 2024 beträgt das Minus im Doppelhaushalt somit rund 1,25 Millionen Euro. Kein ganz neues Phänomen. Doch jetzt will die Kommunalaufsicht durchgreifen, forderte den Gemeinderat auf, einen ausgeglichenen Haushalt zu verabschieden. 

Die Einnahmen pro Jahr sind derweil mehr als überschaubar. Rund 1,2 Millionen Euro. Davon, so Bürgermeister Gauweiler, geht allein gut eine Million als Umlage weiter an die Verbandsgemeinde Lingenfeld und an den Kreis Germersheim. Rechnet man die laufenden Kosten für den Kindergarten in Höhe von 380.000 Euro im Jahr hinzu, ist die Einnahmesumme bereits mehr als ausgegeben, so der Bürgermeister.

 

Wir können nichts mehr für unser Dorf tun. Das ist ein Hilferuf, stellvertretend für viele andere Kommunen.“

Bürgermeister Peter Gauweiler

Bürgermeister Peter Gauweiler
Bürgermeister Peter Gauweiler (Bild: Gemeinde Freisbach)

Eine Erhöhung der Steuern und Abgaben, wie es die Kommunalaufsicht fordert, wäre aus Sicht des Bürgermeisters aber auch keine Lösung. "Das würde zum einen den Haushalt auch nicht ausgleichen - ein Großteil der Mehreinnahmen würde wieder an Kreis und Verbandsgemeinde wandern. Und zum anderen hätten die Steuererhöhungen keinen Mehrwert für die Bürger", wie er im Gespräch mit dem SWR sagt. In der Bild-Zeitung legt der Bürgermeister noch einmal nach: "Einziger Ausweg wäre eine Erhöhung von Grund-, Hunde- und Gewerbesteuer. Wie soll ich den Bürgern erklären, dass sie doppelt oder dreimal so viel zahlen sollen, aber nichts dafür bekommen?" 

Hintergrund des jetzigen Streits ist ein neues Landesgesetz. Seit diesem Jahr ist der Kommunale Finanzausgleich neu geregelt. Er regelt die Finanzbeziehungen zwischen dem Land Rheinland-Pfalz und den Kommunen. Demnach muss jeder Haushalt ausgeglichen sein. Einzige Ausnahme: Wenn eine Kommune nachweisen kann, dass sie alle Einsparmöglichkeiten ausgeschöpft hat, kann der Haushalt von der Kommunalaufsicht trotzdem genehmigt werden. Und genau das blieb die Gemeinde bisher laut Kommunalaufsicht schuldig. 

Was am Abend im Gemeinderat passiert ist 

In der Sitzung des Gemeinderates am 8. August kam es daher zu einer ungewöhnlichen Protestaktion. Alle 16 Gemeinderatsmitglieder und auch der Bürgermeister sind mit sofortiger Wirkung zurückgetreten, haben ihre Ämter niedergelegt. Nacheinander erklärten die Ratsmitglieder sich und verkündeten ihren Rücktritt aus dem Gemeinderat. Mit dabei waren in der Sport- und Kulturhalle der Gemeinde auch zahlreiche Bürger aus der Gemeinde und dem Umland. Jedes Mal reagierten sie im Saal mit Beifall, sobald ein Gemeinderat seinen Rücktritt erklärte. Als letzter ergriff dann Bürgermeister Peter Gauweiler das Wort. "Bürgermeister sein macht Spaß. Aber wir können unser Mandat nicht mehr zum Wohle unserer Bürger ausüben", so Gauweiler. Mehr als 1000 Gemeinden in Rheinland-Pfalz hätten keinen ausgeglichenen Haushalt. Er hoffe, dass mehr Kommunen diesen Schritt mitgehen. Daraufhin gab es stehenden Applaus im gefüllten Saal. 

Selbst wenn wir alles zusperren würden und kein Licht mehr anknipsen, würden wir noch Schulden machen.“

Bürgermeister Peter Gauweiler
 
Gauweiler sieht den Schritt als politisches Zeichen in Richtung der Landesregierung und dem Bund. "Es ist ein Hilferuf, stellvertretend für alle Kommunen", so der Bürgermeister. 
 

So marode ist die Infrastruktur im Ort - Gemeinderat rechnet vor 

Größte Sorge der Gemeinderäte ist der örtliche Kindergarten. Mit 70 Kindern platz sie aus allen Nähten. Der Bürgermeister: „Wir haben schon eine Machbarkeitsstudie für einen Neubau von 5,5 Millionen Euro, den wir gemäß Kita-Gesetz auch brauchen. Doch momentan müssen wir schon froh sein, dass noch in letzter Minute ein zusätzlicher Container genehmigt wurde.“

Der 66 jährige Bürgermeister, seit 20 Jahren im Amt, sieht, dass auch viele andere Gebäude in seiner gesamten Amtszeit nicht saniert werden konnten. Nicht einmal die Duschen der Sporthalle könnten mehr saniert werden - durch die alten, maroden Leitungen besteht inzwischen Legionellen Gefahr. Gauweiler ist frustriert: "Wir können nichts mehr für unser Dorf tun. Das ist ein Hilferuf, stellvertretend für viele andere Kommunen.“

Auch Holger Karn, Gemeinderat und Wehrführer der Feuerwehr, sagt: „Jetzt reicht's! Wir müssen immer mehr Aufgaben erfüllen und bekommen keine Mittel, um das zu bewältigen. Wir kleinen Gemeinden haben so keine Chance mehr.“

Bürgermeister Peter Gauweiler sagt: „Selbst wenn wir alles zusperren würden und kein Licht mehr anknipsen, würden wir noch Schulden machen.“

Ein Ort ohne Gemeinderat und Bürgermeister - wie es nun weitergeht 

Wie es nach dem Rücktritt im Ort politisch weitergeht, steht in den Sternen. Rechtlich müsste ein neuer Bürgermeister gewählt werden. Der Gemeinderat hingegen müsste nun durch die Nachrücker neu bestückt werden - immerhin 18 Kandidatinnnen und Kandidaten standen noch auf den Listen, zogen nicht in den Gemeinderat ein. "Ich rechne aber nicht damit, dass jemand das Mandat annimmt", so Bürgermeister Gauweiler. Die Möglichkeiten für neue Gemeinderäte, an der Situation etwas zu ändern, ist aus seiner Sicht ohnehin nahezu aussichtslos. Ein Beispiel schreibt die Gemeinde in ihrer Presseerklärung selbst wörtlich:  "In den Haushalten sind nur Ansätze für Pflichtaufgaben und  keinerlei Ansätze für freiwillige Leistungen vorgesehen. Auch bei einer Steuererhöhung der Grundsteuer B auf aus Sicht des Ministeriums des Innern und für Sport sowie des Rechnungshof Rheinland-Pfalz rechtlich möglichen 995 %, bliebe der Haushalt der Ortsgemeinde weiterhin unausgeglichen."

Lehnen alle Nachrücker ab, müsste innerhalb von drei Monaten eine Neuwahl stattfinden. Unklar, ob sich dafür dann Kandidaten finden. Für den Bürgermeister muss übergangsweise ein Vertreter benannt werden. 

Möglicherweise zeigt die Protestaktion aber doch Wirkung: Denn gleichzeitig kündigte das Ministerium an, voraussichtlich eine Million Euro Schulden der Gemeinde im Rahmen einer Partnerschaft zur Entschuldung der Kommunen im Land zu übernehmen. Das Verfahren dazu laufe aber noch.