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Mobilität

Autofreie Innenstadt ein Modell für deutsche Städte?

In Europa geht der Trend zur autofreien Innenstadt. Was deutsche Städte wie Essen und Freiburg planen, um die Innenstädte emissionsärmer und attraktiver zu machen.

Deutschlands Autos pusten zu viel CO2-Emissionen in die Luft. 2021 waren es 147,6 Millionen Tonnen, etwa 37 Prozent aller Stickstoffemissionen gingen auf das Konto des Deutschen liebstes Beförderungsmittel. Kommunen setzen daher auf die Mobilitätswende, allerdings mit unterschiedlichen Zielen und Schwerpunkten. Unser Beispiel: Essen im Ruhrgebiet. In den 70er Jahren rauchten hier die Schlote und Rauch und Ruß verpesteten die Luft. Seitdem hat sich viel getan. Nichtkenner des neuen Ruhrgebiets titelten 2017 „Das Wunder von Essen“.

Mobilität  in Essen neu denken

In diesem Jahr errang Essen den Titel „Grüne Hauptstadt Europas“.  Fakt ist: Wenn sich jemand mit Strukturwandel auskennt, dann sind das die Essener. Die Stadt hat sich erneut einen Wandel verordnet. 2022 verabschiedete der Rat der Stadt den „Sustainable Energy and Climate Action Plan“, kurz SECAP. Dieses gesamtstädtische Klimakonzept, bestehend aus einem 140-Seiten starken Portfolio, beschreibt detailliert, wie man es schaffen will, mittelfristig klimaneutral werden. Dafür will die Kommune in den kommenden Jahrzehnten mehr als 50 neue Planstellen einrichten und 183 Millionen Euro in die Hand nehmen. Ein wichtiger Posten: der Mobilitätssektor.

Autogerechte Stadt am Ende

Ein schwieriger Prozess steht für die Mitarbeiter des Amtes für Straßen und Verkehr an. Das sieht auch Julian Scheer, Sachgebietsleiter „Neue Mobilität“ in Essen, so: „Dass es schwierig wird, lässt sich gar nicht leugnen. Aber die Herausforderungen stellen auch große Chancen für Veränderung dar und wir sind bereit, diesen Prozess anzupacken.“ Ein genauer Maßnahmenkatalog wird im Rahmen des SECAP-Prozesses noch erarbeitet, aber eines steht schon jetzt fest: Das jahrzehntelang favorisierte Modell „autogerechte Stadt“ kommt an sein Ende. Julian Scheer erläutert: „Die Herausforderungen, die uns durch den Klimawandel gestellt sind, verlangen nach resilienten Städten mit einer hohen Aufenthaltsqualität. Wir wollen erreichen, dass bis 2035 bis zu 75 Prozent aller Verkehre mit umweltfreundlichen Verkehrsmitteln geschehen: ÖPNV, Fahrrad und Zufußgehen.“ Dabei wolle Essen, so betont der Leiter des Sachgebiets, den Autoverkehr nicht auf Null setzen, aber für die verbleibenden 25-Prozent-Individualverkehr die Wende zum E-Auto schaffen.

Aussichtspunkt Baldeneysee  Stadt Essen
Aussichtspunkt Baldeneysee in der Stadt Essen

Der Maßnahmenkatalog sieht derzeit vor: Die neue City-Bahn soll an die Innenstadt angeschlossen werden, ebenso wie Neubaugebiete. Die Stadt will massiv in den Ausbau des Fahrradverkehrs investieren. Das erfordert eine sichere und leistungsfähige Infrastruktur. „Die Umnutzung von Flächen“, sagt Julian Scheer, „ist dabei unumgänglich.“  Der ÖPNV soll deutlich attraktiver werden, etwa durch schnellere Verbindungen. Zugleich soll die Aufenthaltsqualität an den Haltestellen verbessert werden. Durch eine Kooperation mit den sogenannten X-Bussen – Expressbusse, die die Stadt mit dem ländlichen Umfeld verbinden – sollen Pendler und Pendlerinnen eine komfortable Alternative zum Auto angeboten werden. Bereits im nächsten Jahr startet in Essen der sukzessive Umbau der ÖPNV-Flotte Richtung Wasserstoffantrieb.

Auftrag durch RadEntscheid Essen

Bei all diesen Maßnahmen will man in der ehemaligen Kohle-und-Stahl-Stadt die Bürgerschaft mitnehmen. Julian Scheer unterstreicht: „Natürlich bewegen wir uns in einem engen Spannungsfeld: Einerseits gilt es die Veränderung im hohen Tempo zu meistern, aber wir müssen auch die Sorgen der Menschen bezüglich solcher Veränderungen ernst nehmen. Eine gewisse Bereitschaft für den Wandel leiten wir aus dem Bürgerbegehren RadEntscheid Essen ab.“  Im Sommer 2020 hatten 23.693 Essener das Bürgerbegehren für mehr Investitionen in den Radverkehr unterschrieben. Ein Begehren, dem sich das Rat der Stadt umgehend anschloss.

Ob man mit diesem Maßnahmenpaket die 3,36 Millionen Tonnen CO2-Reduktion erreichen kann, die es für die Klimaneutralität der Stadt Essen braucht? Das wird sich zeigen. Auf einen der Standortfaktoren hat die Kommune nämlich kaum Einfluss: Drei Autobahnen führen durch Essen. Die A 52, die A 42 und die A 40: wichtige, aber verstopfte Ost-West-Achsen und natürlich wesentliche CO2-Verursacher. Julian Scheer nickt: „Wir sind mit unseren Nachbarstädten im Austausch, die sich in ähnlichen Umgestaltungsprozessen befinden. Aber die Autobahnen liegen nicht in der kommunalen Planungshoheit und so stoßen wir vor allem kurzfristig an die Grenzen unserer Steuerungsmöglichkeiten.“

Scheer

Wir wollen in Essen nicht autofrei werden, aber die Wende zum E-Auto schaffen.“

Julian Scheer, Sachgebietsleiter „Neue Mobilität“ in Essen

An ihre Grenzen kommt aber auch die Politik schnell, wenn sie versucht, mit Verboten zu regieren. Viele Kommunen setzen in der Energie- und Verkehrswende lieber auf Anreize: Vorteilhafte Bedingungen für E-Autos etwa und dem schnellen Ausbau der Ladesäulen-Kapazität. Einen solchen Anreiz hat so manche Kommunen schon wieder rückgängig gemacht. In Braunschweig und Göttingen etwa müssen jetzt auch die Fahrerinnen und Fahrer von E-Autos Parkgebühren entrichten. Ebenso in Essen. Der Tenor: Der Anreiz zu E-Autos mit kostenlosen Parken habe zu der erwarteten Steigerung von E-Autos geführt. Frei bleibt in   manchen Kommunen zuweilen das vorübergehende Parken an E-Ladesäulen.  In Osnabrück gibt es dagegen kostenlose Parkplätze für E-Autos und in Teilen der Innenstadt darf auch länger geparkt werden als mit einem Benziner. Auf den Ausbau der E-Mobilität setzen besonders die Großstädte Berlin, München und Hamburg und stehen damit jetzt schon an der Spitze der Ladesäulen-Kapazitäten und des E-Auto-Anteils. Aber auch mittlere und kleine Kommunen fördern mit entsprechenden Maßnahmen den massiven Ausbau für E-Autos: etwa Zwickau, Baunatal, Esslingen, Schwieberdingen, Ilsfeld und Giengen an der Brenz.

Trend geht in Europa zu autofreien Städten

Wenn man sich dagegen in europäischen Kommunen umsieht, dann geht ein Trend zu  autofreien Städten,  in der Hoffnung, dass die Bevölkerung die Vorteile des öffentlichen Nahverkehrs und die Freiheit als Fußgänger schon schätzen lernen wird. In Ljubljana etwa, der Hauptstadt Sloweniens, wird schon seit 2007 an einem Stufenplan für eine autofreie Innenstadt gearbeitet. Von oben verordnete autofreie Zonen gibt es dort schon jetzt. ÖPNV und Fahrradwege werden massiv ausgebaut. In der französischen Hauptstadt Paris setzt man vermehrt auf immerhin verkehrsberuhigte Zonen. Barcelona hat dagegen schon ganze Wohnblocks in der Innenstadt zu reinen Fußgängerdomänen erklärt, um die der Verkehr herumgeleitet wird. Die norwegische Hauptstadt Oslo ist noch einen Schritt weitergegangen: In der Innenstadt gibt es schon seit 2015 gar keine Parkplätze mehr. Autos in Oslo-Zentrum? Die Zahl tendiert gegen Null. Ähnliches gilt für das belgische Gent.

Freiburg im Breisgau als Erfolgsmodell

Deutsche Kommunen werden sich Experten zufolge entscheiden müssen: Darf das E-Auto und damit der Individualverkehr langfristig seinen gewohnt hohen Stellenwert behalten oder sind nahezu autofreie (Innen)-Städte zumindest langfristig die deutlich bessere Option? Eines scheint klar: Wer sich für eine Innenstadt ohne Auto entscheidet, muss die Bürgerschaft mit ins Boot holen. In Freiburg im Breisgau scheint das ganz gut zu funktionieren. Die Stadt favorisiert seit Jahren den ÖPNV, propagiert die Stadt der kurzen Wege, schafft Stadtteile, in denen die neuen Bewohner weitgehend auf Autos verzichten, baut das Fahrradnetz mit Rad-Vorrang-Routen aus und beseitigt systematisch Lücken im Wegenetz. Größere Proteste gibt es nach Auskunft der Stadt nicht.

Fotocredits: Aussichtspunkt AdobeStock, Julian Scheer Stadt Essen