Belit Onay, Bürgermeister von Hannover
Belit Onay, Bürgermeister von Hannover: Der kommunale Blick kommt oft zu kurz.
© Stadt Hannover

Bürgermeisterporträt

Die autofreie Innenstadt als Ziel

Belit Onay hat viele, auch umstrittene Pläne für die niedersächsische Landeshauptstadt. Hannovers Oberbürgermeister muss sich zudem gegen Hass-Attacken wegen seines Migrationshintergrunds wehren.

„Wagen wir den Aufbruch“, stand auf den Plakaten. Und: „Größere Freiheit. Weniger Auto.“ Als Belit Onay im November 2019 zum Oberbürgermeister der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover gewählt wurde, war das in gleich mehrfacher Hinsicht eine Premiere: Denn der 41jährige Politiker ist seit 1946 der erste Oberbürgermeister von Hannover, der kein SPD-Parteibuch hat. Und er ist der erste Oberbürgermeister einer deutschen Landeshauptstadt, der einen Migrationshintergrund besitzt.

Hannovers Oberbürgermeister für neue Nutzungen

Das freilich spielte im Wahlkampf und für ihn selbst gar keine Rolle, sagt Onay beim Gespräch im Erker seines Amtszimmers in der ersten Etage des mächtigen, wilhelminischen Prunkbaus, der den Hannoveranern als „Neues Rathaus“ dient. „Mein Antrieb ist es, die Gesellschaft, in der ich lebe, zu verändern und zu verbessern“, sagt Onay. „Ich habe Ziele, die ich gern realisieren und umsetzen will: Ich will eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für alle Menschen in der Stadt.“ Wozu zum Beispiel eine autofreie Innenstadt gehört. Und wo andere Menschen sagen würden, Straßen würden für den Durchgangsverkehr gesperrt, sagt der grüne Oberbürgermeister: „Wir sperren die Straßen nicht, wir öffnen sie für andere Nutzungen.“ So würden neue Räume für Kunst und Kultur und Sport geschaffen. „Wir wollen auch mehr Gastronomie in der Innenstadt“, fügt Onay hinzu. „Gerade nach der Pandemie brauchen wir eine Initialzündung, damit es losgehen kann und die Innenstadt als Kern der Stadt wieder wahrgenommen wird.“

Ich will die Gesellschaft verändern und verbessern.“

Belit Onay, Oberbürgermeister in Hannover

Digitalisierung oben auf Agenda

Auch an anderen Stellen will Onay die Stadt voranbringen: Ein Kohlekraftwerk im Stadtteil Stöcken soll abgeschaltet werden, und zwar früher als bislang geplant. Und auch die Digitalisierung steht ganz oben auf der Agenda. Man spürt die Programmatik der Grünen, wenn man sich mit Belit Onay unterhält – kein Wunder, denn auf der Bundesebene gehört der Oberbürgermeister dem nach dem Bundesvorstand wichtigsten Gremium seiner Partei, dem Parteirat, an. Und bevor er in das Rathaus der Landeshauptstadt einzog, war er zwei Legislaturperioden lang Landtagsabgeordneter. Auf der Landesebene ist er deswegen noch immer bestens vernetzt. „Es ist von Vorteil, die Zusammenhänge zu kennen und ein gewisses politisches Gespür zu haben“, sagt Onay.

Hannover
Hannover will nicht alle Förderprogramme nutzen.



Im Landtag schrieb Onay am Landeshaushalt mit. „Wir haben damals schon über die finanzielle Ausstattung der Kommunen diskutiert“, sagt Onay.  Sie müsse deutlich verbessert werden, damit die Städte und Gemeinden ihren Aufgaben gerecht werden können. „Durch die Einbrüche bei der Gewerbesteuer infolge der Pandemie hat sich die Lage verschärft.“ Deswegen sei es wichtig, sich die finanzielle Ausstattung der Kommunen  auch weiter gut anzuschauen. „Ich hoffe auch, dass sich die Bundesregierung neu aufstellt und neu sortiert, gerade was die Förderkulissen angeht“, sagt Onay. „Der kommunale Blick kommt da oft zu kurz.“ Förderanträge seien mittlerweile so aufwendig geworden, dass auch eine Stadt von der Größe Hannovers manche Programme mittlerweile lieber sein lässt, kritisiert er. „Einerseits bläht sich die Bürokratie mit den Förderanträgen auf, andererseits gehen die Förderprogramme am Bedarf vorbei“, sagt Onay. „Man versucht oft, irgendwelche Projekte auf das Förderprogramm zuzuschneidern.“ Als ehemaliger Abgeordneter kenne er natürlich auch die andere Seite, die eine Steuerungsmöglichkeit haben will. „Realistisch vor Ort ist das aber keine gute Praxis“, sagt Onay. „Ein Mittelweg wäre hier am sinnvollsten.“

Hassattacken gegen den Oberbürgermeister

Bundesweite Aufmerksamkeit erhielt Onay durch seinen Migrationshintergrund.  Eine Aufmerksamkeit, die er am liebsten nicht gehabt hätte. „An den Wahlkampfständen drehten sich die Gespräche nur ein oder zwei Mal darum“, sagt Onay. Ab dem Wahlabend änderte sich das schlagartig: Es gab viele positive Rückmeldungen – und viel Hass. „Dass der Rassismus so stark werden wird, habe ich nicht erwartet“, sagt Onay. Aus ganz Deutschland meldeten sich ewig Gestrige zu Wort, im vermeintlichen Schutz der Anonymität des Internets. Mittlerweile geht der Hannoveraner Oberbürgermeister aber rechtlich dagegen vor. Dabei erzielte er schon einige Erfolge. „Auch Kommunalpolitiker müssen sich nicht alles bieten lassen“, sagt Onay. Wer Hass, gleich welcher Art, erlebe, sollte das zum Thema machen. „Bürgermeisterinnen und Bürgermeister auch in der Fläche des Landes, denen so etwas passiert, sollten darüber sprechen“, fordert Onay. „Es braucht Solidarität aus dem Rat und aus der Zivilgesellschaft, die man auch einfordern muss.“

Onay selbst hat Solidarität erlebt: Der Ministerpräsident, der Landtag und auch der niedersächsische Städtetag haben sich nach den Hass-Attacken hinter ihn gestellt. Vor allem ein Erlebnis tat ihm gut. „Ich traf eine ältere Dame an der Ampel“, erzählt Onay. „Ich dachte, die schimpft jetzt auch.“ Stattdessen sprach sie ihn an. „Ich habe Sie nicht gewählt, aber ich wünsche Ihnen viel Erfolg – machen Sie was draus.“

Solche Begegnungen sind es, die dem Hannoverschen Oberbürgermeister das Amt wertvoll machen. Denn „die Nähe zu den Menschen und der Stadt“ machen aus Onays Sicht einen guten Bürgermeister aus. „Es geht darum, keine Berührungsängste zu haben, und die Themen anzupacken, auch wenn es manchmal schwierig zu sein scheint, in einer Stadt wie Hannover.“

Fotocredits: Stadt Hannover