Lockdown: wegen Selbstgefälligkeit oder Staatsversagen? Ein Kommentar von Christian Erhardt
Lockdown: wegen Selbstgefälligkeit oder Staatsversagen? Ein Kommentar von Christian Erhardt

Kommentar

Lockdown: Deutschland wählt die Mittel des Mittelalters

Die Lockdown-Verlängerung offenbart das Scheitern eines in Bürokratie und Selbstgerechtigkeit erstarrten Landes. Der Staat doktert an Lockdown-Feinheiten herum und setzt auf Verbote, statt die Chancen zu nutzen. Mehr Macht für die Landräte und Regionen und viele Probleme wären keine Probleme mehr, meint Christian Erhardt.

In der aktuellen Lockdown Diskussion haben Deutschlands Ministerpräsidenten allen Ernstes Debatten darüber geführt, ob Gartenstühle eigentlich Möbelstücke sind und ob Nagelmodellage zu körpernahen Dienstleistungen gehört. In der Nacht ging es dann noch um "Käfigkämpfe" - die sollten erlaubt werden und verschwanden erst in der vergangenen Nacht wieder aus dem Beschlusspapier - wohl nach langer Diskussion. Allein die Vorstellung, wie solche Diskussionen laufen, treiben einem die Schamesröte ins Gesicht angesichts eines Landes, das sich selbst dermaßen unter Wert verwaltet. Ich empfinde es als unfassbare Selbstgerechtigkeit, über solche Details ernsthaft zu diskutieren, statt Perspektiven zu überlegen. Es sind die Methoden längst vergangener Jahrhunderte, die gewählt werden. Angst verbreiten und wegsperren! Chancen und Perspektiven? Die Diskussion wird vehement abgewürgt. Und warum? Weil wir unseren Mitmenschen offenbar nicht zutrauen, sich vernünftig ein Teststäbchen selbst in die Nase zu führen und sich zu testen. Das Land der Dichter und Denker hält sich für unfähig zum Selbstabstrich.

Lockdown wegen angeblich fehlender Schnelltests? 

Angeblich sind nicht genügend Schnelltests vorhanden, argumentiert die Regierung. Warum? Weil die Länder um uns herum seit Wochen Schnelltests einsetzen und millionenfach einkaufen. Der Landrat von Böblingen, einer der wenigen, der schon seit Wochen auf die Schnellteststrategie setzt, sagt klar: „Tests sind auf dem Markt ausreichend vorhanden“. Deutlicher geht es nicht. Apotheker bestätigen: „Wenn Bedarf besteht, können wir innerhalb weniger Tage auch 10 Millionen Schnelltests organisieren“. In Österreich wird seit Wochen in den Schulen lückenlos zweimal die Woche getestet. Tausende Kinder und Lehrer wurden so schon ausfindig gemacht, Infektionsketten unterbrochen. Wir machen derweil den gleichen Fehler, wie schon bei den Masken, bei Tests vor Seniorenheimen und beim Impfen.

Wo man früher eine Bank überfallen musste, um bestraft zu werden, reicht es jetzt, sich auf einer Bank auszuruhen.

Christian Erhardt fordert Perspektiven statt Härte

Totalversagen bei Maskendiskussion wiederholt sich bei Schnelltests 

Aber der Reihe nach: Erst war da die typisch deutsche Masken-Diskussion. Zunächst brauchten wir das alles nicht, während die Welt sich mit Masken eindeckte. Als es dann soweit war, war der Markt leergefegt. Das sollte dann bei den FFP-2 Masken besser werden. Mit Hilfe der Bürokratie. Da erstellt der Staat für über 9 Millionen Euro fälschungssichere Berechtigungsscheine für FFP-2-Masken. Diese werden dann für 27 Millionen Euro an die 34 Millionen berechtigten Bürger per Post geschickt. Damit diese Bürger dann in der Apotheke für zwei Euro Zuzahlung sechs Masken bekommen, die es im Supermarkt für 88 Cent im Angebot gibt. Pro Maske bekommt dann der Apotheker noch einen Zuschuss von sechs Euro. Das ist doch mal deutsche Gründlichkeit.

Danach diskutieren wir über einen angeblich viel zu teuren Impfstoff, der 54 Euro je Dose kosten soll. Also verhandeln wir mit der EU so lange, bis der Impfstoff zwar „nur“ noch 13 Euro kostet, die USA, Israel und Großbritannien aber schon Millionen Dosen geordert haben. Dann endlich ist der Impfstoff da und nun liegen aktuell rund 2 Millionen Dosen in den Kühlregalen. Weil die Bundesländer es nicht schaffen, den Impfstoff zu verimpfen. Der Grund: Eine starre Regelung, wer berechtigt ist, jetzt schon geimpft zu werden. Und wehe, eine übrig bleibende Impfdosis geht an einen Bürgermeister, dann beginnt der Shitstorm. Lieber wegkippen als den starren Plan zu durchbrechen, scheint das Motto. Es ist wieder eine Stadt, die sich gegen diesen Irrsinn wehrt – Krefeld impft einfach drauf los. Erzieher, Lehrer und Polizisten werden in der Stadt in NRW einfach schon mal geimpft – weil so viel Impfstoff vorhanden ist.

Jetzt also die Schnelltest-Diskussion. Auch nicht ganz neu. Erst hatten wir schon nicht genügend Schnelltests für unsere Seniorenheime. Nachdem Bürgermeister wie Boris Palmer in Tübingen vorgemacht haben, wie es gehen kann und wie ein wirkungsvoller Schutz älterer Menschen aussieht, wurde dann bestellt. Nur jetzt fehlte in Deutschland das Personal, das die Testungen vornehmen kann. Krönung des Ganzen: Aus ideologischen Gründen weigerten sich mehrere, die bereit stehende Bundeswehr zur Hilfe zu rufen.

Lockdown

Ein Land im Lockdown zwischen Selbstgefälligkeit und Staatsversagen

Ganz nebenbei flutet (zu Recht) die Regierung die Wirtschaft mit dem Geld unserer Enkelkinder, sogar das Grundgesetz könnte bald geändert werden, um den Schuldenberg rechtlich sauber zu rechtfertigen. Deutschland ist aber nicht in der Lage, die Internetseite für die Auszahlung der Soforthilfen so zu programmieren, dass das Geld auch ankommt. Ergebnis: Anfang März wartet noch immer ein Großteil auf seine versprochenen Novemberhilfen. Ganz nebenbei sind die Gesundheitsämter auch nach über einem Jahr Pandemie noch immer nicht komplett digitalisiert und faxen fleißig durch die Gegend.

Und was macht der Staat? Erfindet Wörter wie „Verweilverbot“. Wo man früher eine Bank überfallen musste, um bestraft zu werden, reicht es jetzt, sich auf einer Bank auszuruhen. Andere Polizisten sind damit beschäftigt, Menschen beim Joggen auf ihre Maskenpflicht hinzuweisen.  

Bürgermeister und Landräte an die Macht! 

Nach einem Jahr Pandemie reicht die Parole: „Nicht leben um nicht zu sterben“ einfach nicht mehr aus. Wenn wir wollen, dass die Bürger den Glauben an Staat und Politik nicht endgültig verlieren, brauchen wir Perspektiven. Diese liegen vor Ort. Ich bin mir sicher: Wenn Deutschlands Bürgermeister und Landräte die Maßnahmen gemeinsam beschließen würden – ganz ohne Bund und Länder – viele der Probleme, die wir heute diskutieren, hätten wir gar nicht. Münster, Tübingen, Rostock – die Zahl der Städte, die eigene Wege gehen wird länger. Und es sind nachweisbar die erfolgreichsten Städte bei der Bekämpfung der Pandemie. Die Macher, die anpacken statt zu verwalten, saßen noch nie im Kanzleramt. Die saßen schon immer in Deutschlands Rathäusern!