Wenn der Bus hält, aber niemand aussteigen darf - die irrsinnigste Buslinie Deutschlands - wegen fehlender interkommunaler Zusammenarbeit
Wenn der Bus hält, aber niemand aussteigen darf - die irrsinnigste Buslinie Deutschlands - wegen fehlender interkommunaler Zusammenarbeit
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Einsteigen erlaubt, Aussteigen verboten

Die irrsinnigste Buslinie Deutschlands

Wie wichtig interkommunale Zusammenarbeit zwischen Kommunen ist, zeigen wir bei KOMMUNAL mit Beispielen immer wieder auf. Was passiert, wenn diese nicht funktioniert, lässt sich vor allem im ÖPNV immer wieder begutachten. Ein Beispiel aus Sachsen

Es macht großen Sinn, dass sich Kommunen - häufig über ihre Landkreise - zu Gesellschaften zusammentun, um den ÖPNV in einer Region zu organisieren. Denn immer wieder gibt es Buslinien, die durch verschiedene Gemeinden fahren, in einem der Gemeinden aber keinen Haltestop haben. Der Grund ist meist einfach: Die Gemeinde ohne Halt beteiligt sich dann in der Regel nicht an der Finanzierung der Buslinie. Leidtragende sind oft die Einwohner dieser Gemeinde. Aber auch Passagiere aus Nachbarorten, die in dieser nicht finanzierenden Gemeinde etwa eine Freundin besuchen wollen, haben das Nachsehen. Im Ergebnis fahren die Betroffenen dann lieber mit dem Auto und politisch bleibt die Diskussion, dass der Umstieg auf den ÖPNV einfach nicht gelingt. 

Um solche Fälle zu minimieren, schließen sich Gemeinden meist über ihre Landkreise zu einem Verkehrsverbund zusammen und bezahlen gemeinsam eine Buslinie. Zwar sorgt auch das regelmässig für Ärger, welche Linie nun in welcher Taktung fahren soll, schließlich muss nun Gemeinde A auch für die möglicherweise seltener genutzten Haltestellen in Gemeinde B mitbezahlen. Trotzdem hat sich diese Form der Zusammenarbeit bewährt. 

Was passiert, wenn eine solche Zusammenarbeit nicht funktioniert, zeigt sich etwa als abschreckendes Beispiel in Sachsen. 

Deutschlands irrsinnigste Buslinie 

Die Buslinie 400 fährt quer durch Sachsen und verbindet Dresden mit der Kreisstadt Annaberg-Buchholz. Dafür muss der Bus durch Dresden und die Kreise Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, Mittelsachsen und den Erzgebirgskreis. 4 Städte beziehungsweise Landkreise betreiben hier also gemeinsam einen Bus. Zumindest auf dem Papier. Denn in der Realität wird die Buslinie nur von den Kreisen Mittelsachsen und Erzgebirgskreis bezahlt. Der Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge und die Stadt Dresden tragen nicht zur Finanzierung der Linie bei.

Die Bild-Zeitung hat in dieser Woche einen Reporter auf die Linie geschickt und den ganzen Irrsinn, der sich daraus ergibt, aufgezeigt. Im Selbsttest durfte der Reporter in Dresden am Hauptbahnhof in die Linie einsteigen. Laut behördlicher Auflage durfte an dieser Haltestelle jedoch kein Fahrgast aussteigen. In der Gegenrichtung erlebte der Reporter dann an der eigenen Haut, was das bedeutet. Als er auf der Linie 400 von Annaberg nach Dresden durch den Landkreis Mittelsachsen fuhrt und in den Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge einfur, hielt der Bus nur noch, wenn ein Fahrgast aussteigen wollte. Einsteigen durfte - obwohl Menschen an der Bushaltestelle warteten - niemand. Wollte an einer Haltestelle KEIN Fahrgast aussteigen, fuhr der Bus an den Haltestellen einfach vorbei. Egal, wie viele gerade an der Bushaltestelle warteten und gerne eingestiegen wären. 

Warum auf der Buslinie die Interkommunale Zusammenarbeit nicht funktioniert 

Zur Ehrverteidigung des Busfahrers sei noch gesagt - bei dem Bild-Reporter Test gelang es dem Reporter dann doch, an einer "verbotenen Haltestelle" in Herzogswalde auszusteigen. Es stiegen an der Haltestelle neue Fahrgäste ein (was erlaubt war), Aussteigen wäre zwar nicht erlaubt gewesen, der Busfahrer wies den Reporter auch darauf hin, ergänzte aber: "Das ist zwar nicht erlaubt, ich werde Sie aber nicht festhalten". Das nennt man dann wohl gelebten Realitätssinn. 

Traurig ist eigentlich nur, dass politisch offenbar niemand daran interessiert ist, die irrsinnige Situation zu verändern. Die Zeitung konfrontierte die Betroffenen Verkehrsunternehmen und Politiker mit der Situation. Die betroffenen Landkreise verwiesen auf den Busbetrieb. Ronny Kahle vom Regionalverkehr Erzgebirge antwortete: "Unsere ÖPNV-Linien basieren auf einer konzessionsrechtlichen Genehmigung, diese beinhaltet eine eingeschränkte Bedienung der benannten Haltestellen". 

Das sächsische Verkehrsministerium - immerhin mit seiner Unterbehörde "Landesamt für Straßenbau und Verkehr" zuständig für die Genehmigung der Strecke antwortet zwar lang, aber wenig lösungsorientiert. "„Die Festlegung der Ein- und Ausstiegsregelungen an den betreffenden Haltestellen ist im Antrag zur Liniengenehmigung, der von den beteiligten Verkehrsunternehmen eingereicht wurde, enthalten und basiert wahrscheinlich auf vorherigen Abstimmungen zwischen den Verkehrsunternehmen, den ÖPNV-Aufgabenträgern wie den Landkreisen und den Verkehrsverbünden“. 

Auflösen könnte die Situation die Stadt Dresden, die sich nicht an der Finanzierung der Linie beteiligt. Ihr Oberbürgermeister Dirk Hilbert verweist aber lieber auf eine eigene Buslinie, die die gleichen Haltestellen anfährt. Der Bild sagt ein Sprecher von Hilbert wörtlich: "„Die Landeshauptstadt Dresden ist nicht Besteller dieser Beförderungsleistung, sondern der Landkreis Erzgebirge.“ Es gibt eine „konkurrierende“ Buslinie, daran beteiligt sich Dresden." Das stimmt. Es handelt sich um die Buslinie 333, die in Dresden startet. Das Problem: Die Linie endet 66 Kilometer vor Annaberg-Buchholz, hilft den Menschen in der Region also nicht weiter.

Anders gesagt: Dresden scheint die Linie nicht zu benötigen, die Menschen in Annaberg-Buchholz aber schon. Die Stadt im Erzgebirgskreis finanziert die Buslinie 400, daher fährt sie die Stadt auch an. Wenn auch unterwegs diverse Haltestellen übersprungen werden. Dresden hingegen finanziert die Linie 333, die fährt aber nicht bis in den Erzgebirgskreis - weil der Landkreis die weit entfernte Linie aus Dresden nicht mitfinanziert. Irgendwie alles abgefahren...