ABC in bunten Buchstaben
© AdobeStock

Kommunen

Bürokratie-Alphabet - Lernstoff für den Kanzler

Warum muss eine Sommer-Laube eine Statik für Schneelast haben? Drei Bürgermeister haben Bundeskanzler Olaf Scholz Beispiele für Deutschlands unglaubliche Bürokratie geschickt. Damit wollen sie offenbar erreichen, dass es beim Deutschlandpakt zum Abbau von Bürokratie nicht nur bei einer bloßen Ankündigung bleibt.

Wenn Olaf Scholz das jüngst an ihn verschickte Alphabet der Bürokratie in den deutschen Kommunen durchlesen sollte, wird er dafür einige Zeit einplanen müssen. Eins ist schon mal versprochen: Der ihm dabei gebotene Lesestoff dürfte ihn auf gar keinen Fall langweilen. Was drei Bürgermeister da an Beispielen der deutschen Bürokratiewut von A bis Z zusammengetragen haben, ist erschütternd, wenn auch immer wieder gelacht werden muss. Bei dem Dreier-Team, das Amtskollegen aus der ganzen Republik, mit dem ungewöhnlichen Brandbrief für ABC-Schützen vermutlich aus der Seele spricht, handelt es sich Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer und die Rathauschefs von Schwäbisch Gmünd, Richard Arnold, und Esslingen, Matthias Klopfer.  In dem Schreiben steckt auf alle Fälle Lernstoff für den Kanzler.

Bürokratie-Brandbrief an Kanzler

".. Beinahe täglich müssen wir uns über neue, verschärfte Regelwerke beugen und Bürgern erklären, was eigentlich niemand mehr versteht", wenden sie sich an den Kanzler. "Das Problem in seiner ganzen Dimension wird erst verständlich, wenn man es an Beispielen aus der Praxis festmacht. Wir wollen ihnen daher mit Beispielen von A bis Z - quasi aus dem Maschinenraum der Republik - veranschaulichen, wie absurd sich viele Vorschriften auswirken..." Dabei machen die Kommunalpolitiker auch Vorschläge, wie Bürokratieabbau gelingen kann.

Fünf Beispiele aus dem Schreiben der drei Bürgermeister:

E wie Eidechsenschutz: Für den Bau eines Hotels mussten wir in Tübingen einen Eidechsenschutz zwischen den Schotterflächen des Tübinger Hauptbahnhofs und einer angrenzenden Straße errichten. Eine Baugenehmigung darf nämlich nur erteilt werden, wenn die Baufahrzeuge auf der Anfahrt keine Eidechsen überfahren, die sich von den Gleisen auf die Straße verirrt haben. Eigenartig nur: Der Zaun war vor dem Bau des Hotels nicht notwendig und konnte nach der Fertigstellung wieder abgebaut werden.

Eidechsen müssen eben lernen, zwischen Baustellenverkehr, vor dem sie aufwändig geschützt werden, und normalem Straßenverkehr, an dem sie ungehindert teilnehmen dürfen, zu unterscheiden. Solche Vorgaben kosten Zeit und Geld. Die Kosten verteuern das Bauen, 10.000 Euro je geschützter Eidechse sind keine Seltenheit.

Mauereidechse

K wie Karton Quälend lang sind auch die Anpassungsprozesse der Bürokratie an neue Entwicklungen. Die Einführung eines komplett digitalen Verfahrens für Bewohnerparkausweise scheiterte bislang daran, dass die Kommunen ein Muster aus dem Verkehrsblatt des Jahres 2002 verwenden müssen, das Kartonstärke für das zu verwendende Papier vorschreibt. Das kann niemand zu Hause ausdrucken, also muss man wieder zum Amt.

S wie Schneelast beim Sommerfest Das Konzept für das neue Esslinger Sommerfest, bei dem es um Wein und Kulinarik geht, sieht Holzhütten vor, die seitens der Stadt an Gastronomiebetriebe vermietet werden. Die Vorgaben in der Landesbauordnung Baden-Württemberg für fliegende Bauten sind derart gefasst, dass die Sommer-Lauben, die rein für das sommerliche Weinfest verwendet werden, statisch und rechnerisch Schneelasten abbilden müssen. Mehraufwendungen in der Planung und im Bau der Lauben fallen somit für Fälle an, die überhaupt nicht vorgesehen sind. Solche weltfremden Lauben sorgen nicht nur für exorbitant steigende Preise in der Herstellung, die dann wiederum zu höheren Preisen in der Vermietung und für die Bürgerinnen und Bürger auf dem Fest führen, sondern auch zu absolutem Unverständnis von Bürgerschaft und Mitarbeitenden der Stadt.

U wie Unfallverhütung Oft ist der schiere Umgang der Vorschriften so unverhältnismäßig groß, dass es Menschen gar nicht möglich ist, sie im Alltag zu erfüllen. Allein die DGUV 70 zur Unfallverhütung im Betrieb von Fahrzeugen umfasst sage und schreibe 100 Seiten... Warum muss ein Beschäftigter, der einen Führerschein hat und täglich mit seinem Fahrzeug unterwegs ist, einmal pro Jahr in die Bedienung seines Fahrzeugs eingewiesen werden? Sollte es nicht reichen, das einmal zu machen, wenn ein Beschäftigter eingestellt wird oder ein neues Fahrzeug angeschafft wird? Um die Sache möglichst kompliziert zu machen, muss die jährliche Unterweisung die Gefährdungsbeurteilung des Arbeitsplatzes zu berücksichtigen. Allein mit der Erstellung dieser Gefährdungsbeurteilungen werden Millionen von Arbeitsstunden in Deutschland verschwendet....

Mann im BIldschirm ärgerlich

Y wie You never plan your own Schneller und günstiger bauen ist wohl eines der wichtigsten Themen unserer Zeit. Leider gilt für Kommunen seit diesem Jahr: Sobald das Bauvolumen eine Million Euro übersteigt, wird alles noch teurer und langsamer. Bisher war es gute Praxis, mit erfahrenen Planungsbüros zusammenzuarbeiten, die sich bewährt haben und sich vor Ort auskennen. Die Kenntnis der Spezialisierung und Kompetenzen von Planungsbüros ist in den Kommunalverwaltungen für ihre Region vorhanden.

Als weiterer Schritt zur Vollendung des europäischen Binnenmarktes wurde dieses Jahr aber festgeschrieben, dass ein direkter Auftrag an Planungsbüros nicht mehr möglich ist. Vielmehr muss die Auswahl eines Planungsbüros nun bei allen mittleren und größeren Bauvorhaben ein sogenanntes VgV-Verfahren vorausgeschaltet werden. ... Das Verfahren kann nur von Experten gesteuert werden und ist wegen der vorgeschriebenen Fristen äußerst zeitraubend. .. Dass dabei Büros aus dem Ausland zum Zuge kommen, ist praktisch ausgeschlossen. In den wenigsten Fällen sind diese mit den Besonderheiten des deutschen Bau- und Planungsrechts vertraut.

Das Schreiben der Bürgermeister an Kanzler Scholz mit fünf Handlungsempfehlungen als PDF:

Fotocredits: AdobeStock