Deutschlandpakt? Das ist "Ringelpietz ohne Anfassen" - zum Bürokratieabbau wird es nicht reichen, meint Christian Erhardt
Deutschlandpakt? Das ist "Ringelpietz ohne Anfassen" - zum Bürokratieabbau wird es nicht reichen, meint Christian Erhardt
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Bürokratie-Dschungel

Deutschlandpakt: Dieses Land ist "wie Ringelpietz ohne Anfassen"

In Sachen Bürokratieabbau zeigt jeder auf den jeweils anderen. „Man könnte und man müsste doch mal“. Das Problem: Mit jedem Entlastungsgesetz wird die Belastung größer. „Wir retten den Planeten nicht mit Paragraphen“, meint Christian Erhardt und fordert zu einem Experiment in unseren Kommunen auf.

Es ist an tragischer Ironie kaum zu überbieten, wenn der Bundeskanzler in der gleichen Sitzungswoche, in der das Heizungsgesetz verabschiedet wird, zum Deutschlandpakt aufruft. Bürokratische Hürden abbauen ist eines der Hauptziele dieses Paktes. Der totalitäre Überfall auf die Heizungskeller der Republik ist so ein Beispiel, wie es nicht geht. Alle Kachelöfen müssen laut Gesetz raus. Es sei denn, sie sind von vor 1950, dann haben sie ewigen Bestandsschutz. Ein Wunder der deutschen Bürokratie, wenn nur noch die Kachelöfen weiter rauchen dürfen, an denen potentiell schon Bismarck saß. Es war halt der Versuch, globalen Klimaschutz in deutsches Ordnungsrecht zu überführen. Mit Regeln für auch das letzte Detaill. So kam das GEG 50 Seiten stark in den Bundestag hinein und mit 172 Seiten wieder heraus.

Ganz ähnlich aktuell der Streit um die Kindergrundsicherung. 2,4 Milliarden Euro mehr sollten es werden, mehr als 500 Millionen Euro gehen aber rein für zusätzlichen Bürokratieaufwand drauf.

Der Deutschlandpakt ist alter Wein in neuen Schläuchen 

Und bei uns im Kleinen? Müssen die 3300 Wochenmärkte um ihr Überleben bangen. Denn die Regeln für Wochenmärkte sind in diesem Jahr massiv verschärft worden. Die neue Verpackungsverordnung etwa, die nun Tüten vorschreibt. Neues auch in Sachen Pfandnachweise, Kartenlesegeräte und neue Kassen. Die Waagschalen etwa müssen jetzt mit der Kasse gekoppelt sein. Also müssen neue Kassen her, Kosten für den regionalen Gemüsehändler pro Stück rund 5000 Euro.

Und ja, die kommunale Familie muss sich auch an die eigene Nase fassen: Wenn wir Anwohnerparkausweise machen, können wir diese staffeln nach Einkommen, Länge des Autos, Höhe des CO2 Ausstoßes und vieles mehr. Nur produzieren wir damit immense zusätzliche Bürokratie. „Jedes Auto kostet x Euro“ mag auf den ersten Blick nicht ganz so „gerecht für alle“ sein, macht es aber praktikabel, transparent und für jeden verständlich.

Es reicht eben nicht, sich immer über andere lustig zu machen, etwa wenn die Amerikaner auf ihre Mikrowelle schreiben „Nicht zum Katzentrocknen geeignet“. Ich habe auch schon Bügeleisen in Deutschland gesehen auf denen steht, dass Kleidung nicht am Körper zu bügeln sei. Und kaum jemand nimmt noch wahr, wenn auf einer Erdnusspackung Sätze stehen wie: „Kann Spuren von Nüssen enthalten.“ Ich fühle mich dann immer behandelt wie ein Kleinkind. Um es vorsichtig auszudrücken.

Irgendwann siegen die Verbote über den Verstand. Je mehr Beschränkungen, desto mehr Beschränkte“.

Christian Erhardt, Chefredakteur

Der Staat ist ein präventiv bürokratischer Komplex - da hilft auch kein Deutschlandpakt 

Ich habe mich auch immer schon gefragt, was es den Staat eigentlich angeht, wie ich bekleidet bin, wenn ich aufs Fahrrad steige. Und die Logik, warum Einwegflaschen, die Fruchtsaftgetränke mit Kohlensäure enthalten, schon immer der Pfandpflicht unterlagen, Einwegflaschen mit Fruchtsäften aber nicht, blieb mir stets verborgen. Klassischer Reflex des „präventiv-bürokratischen Komplexes“ namens Staat in Deutschland war es, das Pfand auf noch mehr Bereiche auszuweiten, um es noch gerechter zu machen. Nur erzeugt man dadurch mit jedem Entlastungsgesetz zusätzliche bürokratische Barrieren. Und so erscheint die deutsche Regelungswut wie eine Schlinge, die sich immer weiter zuzieht. Nur kann keiner wirklich etwas dagegen tun, erst recht nicht diejenigen, die Abhilfe versprechen durch neue Regulierungen. Im Ergebnis siegen die Verbote irgendwann über den Verstand, nach dem Motto: „Je mehr Beschränkungen, desto mehr Beschränkte.“

Nein, gewiss niemand meint es böse, wenn er Regulierungen beschließt. Im Gegenteil. Alle wollen helfen, dass es „gerechter“ zugeht. Und am Ende trägt auch der Bürger selbst mit seinen überzogenen Erwartungen an den Staat eine gehörige Mitschuld am deutschen Bürokratismus. Wo kämen wir denn da hin, wenn wir „einfach mal machen“ würden, ohne dass gleich jemand sagt, warum etwas angeblich nicht geht. Und so erinnert Deutschland weiter an Ringelpietz – nur eben ohne Anfassen. Die Hände werden ja gebraucht, um auf den jeweils anderen zu zeigen. „Die könnten mal, die müssten mal.“ So oft wir den Tanz schon vollzogen haben, so deutlich sehen wir im Ergebnis leider: Bei uns stehen die Faxgeräte immer noch in den Amtsstuben und nicht in den Museen. Klar sein muss, egal ob beim Klimaschutz oder anderswo: Wir retten den Planeten nicht mit Paragraphen!

Alternative zum Deutschlandpakt: Ein Experiment in unseren Kommunen zum selbst ausprobieren...

Eine Idee zum Bürokratie-Abbau bleibt mir aber doch: Probieren Sie doch bitte folgendes Experiment mal über ein Jahr hinweg in Ihrer Kommune aus. Wenn bei Ihnen in einer Satzung oder wo auch immer eine neue Verordnung in Kraft treten soll, dann muss vorher eine andere außer Kraft gesetzt werden. Ich bin mir sicher, das ergibt zumindest spannende Diskussionen über die Sinnhaftigkeit vieler ihrer geltenden Satzungen und Verordnungen. Und wenn Sie die Diskussion geführt haben, schicken Sie mir doch bitte unbedingt die Protokolle dieser Debatten. Ich bin jetzt schon hochgespannt auf die kreativen Ideen! Bauen wir Bürokratie gemeinsam ab – spielen wir endlich Ringelpietz MIT Anfassen!