Selbsthilfe
Kommunen unterstützen Selbsthilfegruppen nach einer Corona-Erkrankung.
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Corona-Folgen

Selbsthilfegruppen helfen bei "Long Covid"

Zahlreiche Menschen, die eine Corona-Erkrankung überstanden haben, leiden weiter unter gesundheitlichen Problemen. Erste Kommunen haben darauf reagiert und unterstützen die Selbsthilfe im Ort. Wir zeigen zwei Vorzeigebeispiele aus den Landkreisen Tuttlingen und Unna.

Es ist nicht selten, dass ehemalige Corona-Erkrankte auch dann noch unter den Folgen leiden, wenn sie längst „offiziell genesen“ sind. Immer wieder berichten Menschen von Müdigkeitserscheinungen, Luftnot oder Gedächtnis– und Konzentrationsstörungen, die selbst nach milden Krankheitsverläufen zu beobachten sind. Betroffene können sich an „Post COVID-Ambulanzen“ sowie an spezialisierte Rehakliniken wenden. Zugleich sind erste Initiativen zur Selbsthilfe entstanden. Die Selbsthilfekontaktstellen mit ihrem umfangreichen Beratungsangebot erweisen sich auch als wichtige Ratgeber. Zu deren Auftrag gehört, Interessierte vor Ort über die gemeinschaftliche Selbsthilfe zu informieren, Unterstützung während der Gruppengründung zu leisten und bestehende Gruppen zu begleiten.

Long Covid- Selbsthilfegruppe im Landkreis Tuttlingen

Der Landkreis Tuttlingen verfügt über eine solche Selbsthilfekontaktstelle. Getragen wird sie vom Landratsamt. „Wir haben uns fachübergreifend mit der Situation von COVID-Langzeiterkrankten beschäftigt“, sagt Petra Hilgers von der Selbsthilfekontaktstelle.  Viele hätten mit unterschiedlichen Symptomen zu kämpfen, was für Außenstehende nicht immer nachvollziehbar sei. „Deshalb überlegten wir, ob Betroffene vom Engagement in einer Selbsthilfegruppe profitieren können.“

Mit einer gezielten Befragung von Menschen im Landkreis wollte sie zusammen mit Melanie Werner vom Projekt "Junge Selbsthilfe" herausfinden, ob und wie viele Menschen diese Hilfe wirklich benötigen und annehmen würden. So ging sie auf die örtliche Presse zu. „Eigentlich ging es im angedachten Interview für die Lokalzeitung um die Auswirkungen der Kontaktbeschränkungen auf die Arbeit der Selbsthilfe“ schildert Petra Hilgers. „Bei der Gelegenheit erklärten wir, dass wir die Gründung einer Selbsthilfegruppe zu den Langzeitfolgen von Corona bei Interesse gerne unterstützen möchten.“ Zusätzlich veröffentlichte die Pressestelle des Landratsamts eine entsprechende Ankündigung auf der Website des Landkreises sowie auf Facebook. “Oft geht die Initiative von Betroffenen aus“, so Hilgers. „Aber wenn wir wissen, dass zur Symptomatik auch Müdigkeit und Erschöpfungszustände gehören, ist es auch mal anders.“

SHK Tuttlingen
Die Leiterin des Projekts Junge Selbsthilfe, Melanie Werner, und Petra Hilgers.

Selbsthilfegruppen: Digitale Angebote von Vorteil im ländlichen Raum

Im Laufe der nächsten Wochen meldeten sich immerhin sieben Menschen bei dem Projekt. Ein erstes virtuelles Treffen hat bereits stattgefunden, das von Petra Hilgers moderiert wurde. „Aufgrund der Corona-Auflagen ist es zurzeit für Gruppen im Landkreis Tuttlingen schwierig, geeignete Räumlichkeiten zu finden.“ Gleichzeitig ist sie überzeugt, dass digitale Angebote gerade im ländlichen Raum auch Vorteile bieten: „Einige müssen weite Wege zurücklegen, um an den Treffen teilnehmen zu können, was Zeit und Energie kostet.“

Nicht jeder will sich online austauschen

Doch manchmal sind es technische Hürden, die einem Online-Austausch im Wege stehen. Dann gehört es zu den Aufgaben einer Selbsthilfekontaktstelle, nach praktikablen Lösungen zu suchen. Auch grundsätzliche Bedenken kommen vor. „Ein solches Format behagt nicht jedem Gruppenmitglied“, bestätigt Petra Hilgers und verweist auf Alternativen. Es sei ebenso möglich, sich Briefe zu schreiben, miteinander zu telefonieren oder bei einem Spaziergang zu zweit ins Gespräch zu kommen. „Mein wichtigstes Ziel sehe ich darin, flexibel auf Bedürfnisse einzugehen und eine Isolation von Hilfesuchenden zu verhindern.“ Hinzu kommt, dass die Vernetzungsarbeit im Rahmen der Selbsthilfe dazu beiträgt, spezifische Versorgungsbedarfe sichtbar zu machen.

Darüber hinaus können Aktivitäten im Rahmen der Selbsthilfe die Präventionsarbeit vor Ort prägen. Als Beispiel für den Landkreis Tuttlingen ist eine interaktive Veranstaltung zur Darmkrebsvorsorge zu nennen, die zusammen mit der Selbsthilfegruppe „Darmkrebs“ initiiert wurde. Die Selbsthilfekontaktstelle hat außerdem eine Zusammenarbeit mit den Schulen angeregt, um für das Thema „Essstörungen“ zu sensibilisieren. Auf Grundlage dieser Netzwerkarbeit wurde beim Landratsamt inzwischen ein eigener Arbeitskreis ins Leben gerufen.

Kreis Unna: Selbsthilfe-Initiative bei Long Covid

Ganz anders verlief die Initialzündung für eine solche Gruppe im Kreis Unna. Hier ging sie von einer Pflegeeinrichtung aus. Dafür eingesetzt hat sich Silke Habekost, die als Pflegedienstleiterin im „Schmallenbach-Haus“ mit Sitz in Fröndenberg tätig ist. „Einige meiner von Corona betroffenen Kollegen sind nach wie vor durch körperliche und seelische Symptome beeinträchtigt.“ Da sie über positive Erfahrungen mit der gemeinschaftlichen Selbsthilfe verfügt und weitere Betroffene einbeziehen wollte, wandte sich Silke Habekost an die „Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfegruppen“. Unterstützung erhielt sie dort von Margret Voß vom Landkreis Unna. Zugeordnet ist die Selbsthilfegruppe dem Fachbereich „Gesundheit und Verbraucherschutz“ der Kreisverwaltung.

Sprecherrat Selbsthilfegruppen Kreis Unna
Der Sprecherrat der Selbsthilfegruppen im Kreis Unna.

„Vielen fällt es durch die gegenseitige Hilfe erheblich leichter, mit der Situation umzugehen und neue Perspektiven zu entwickeln“, so Voß. Vorgesehen ist, dass auch Angehörige mitwirken können, denn oft sind sie ebenfalls stark belastet. Das Angebot wurde schnell bekannt und es meldeten sich innerhalb weniger Wochen zehn Interessierte. „Aufgrund der Infektionslage haben wir zunächst darüber nachgedacht, digitale Programme zu nutzen“, erzählt Silke Habekost. Die Gruppenmitglieder entschieden sich jedoch dagegen. „Es hat sich gezeigt, dass das Geschehen eine intensive Auseinandersetzung erfordert, die eher bei Präsenztreffen erreichbar ist.“

Vielen fällt es durch die gegenseitige Hilfe leichter, mit der Situation umzugehen und neue Perspektiven zu entwickeln.“

Margret Voß, Landkreis Unna

Doch auch Online-Angebote funktionieren in dem Bereich, so die Erfahrung des Landkreises. Das gelte vor allem für den Bereich „Sucht“ und die „Junge Selbsthilfe“. „Allerdings ist es nicht leicht, echte Nähe zu entwickeln, wenn man sich lediglich virtuell begegnet“, so Habekost. Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen in Zeiten der Pandemie sei das Bedürfnis der Menschen nach wie vor groß, sich in einer Selbsthilfegruppe auszutauschen oder zu dieser Kontakt aufzunehmen.

Eine wichtige Rolle nimmt auch der Sprecherrat der Selbsthilfegruppen im Kreis Unna ein, der als Bindeglied zwischen Verwaltung und Politik die Interessen der Selbsthilfegruppen in den verschiedenen Gremien und Ausschüssen vertritt. In regelmäßigen Infobriefen werden die Selbsthilfegruppen über dessen vielfältige Aktivitäten auf dem Laufenden gehalten.

 

Fotocredits: Lisa Nießalla/Kreis Unna, Landratsamt Tuttlingen