Frauen beim Kaffeetrinken
Die Zukunft gehört den Älteren - sagt unser Zukunftsforscher und zeigt auf, was das auch für die Planung in Kommunen bedeutet
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Zukunftsforscher

Die Zukunft gehört den Älteren

Der Imperativ der Zukunft ist nicht »Anti-«, sondern »Pro-Aging«, sagt Zukunftsforscher Daniel Dettling. Die Überalterung der Gesellschaft ist in Wahrheit ihre Verjüngung.

Keiner will alt sein, aber alle wollen alt werden. In Zukunft werden wir selbst entscheiden, wie alt wir sein wollen. Die Abkehr vom Alter bedeutet Befreiung und mehr Selbstbestimmung. Das Leben im Alter ist nicht länger auf Multimorbidität, Gebrechlichkeit, Einsamkeit und Abhängigkeit beschränkt, sondern schließt Aktivität, Vitalität und Lebensqualität ein. Die Utopie heißt: alterslose Gesellschaft. Diese Entwicklung ist etwas völlig Neues, das hat es in der Menschheitsgeschichte so noch nicht gegeben. Dabei ist der demografische Wandel die Folge von zunächst höchst positiven Veränderungen: steigendem Wohlstand, medizinischem Fortschritt, höherer Bildung und der gleichberechtigten Stellung von Frauen in der Gesellschaft. Individuell gesehen ist das Phänomen der Alterung eine absolut begrüßenswerte Errungenschaft: Menschen leben im Durchschnitt länger – und vor allem verlängert sich die Lebensspanne, die sie in Gesundheit verbringen.

Unser Bild vom Alter ist überholt - Zukunft der Älteren

Hinter der Rede von der «Überalterung« steckt ein überholtes, kaum noch zeitgemäßes Bild des Alterns. Wie wir älter werden, haben wir selbst mit in der Hand. Altwerden fängt bereits mit der Jugend an. Unsere Biografiekompetenz entscheidet darüber, ob und wie wir erfolgreich altern. Gemeint ist die Fähigkeit, mit Risiken aktiv umzugehen und sich im Laufe des Lebens bewusst zu verändern und anzupassen. Ironischerweise sind es die nun in die Jahre kommenden Babyboomer, die sich an der Jugend und ihren Attributen orientieren, um dem Alter zu entfliehen. Es waren die Babyboomer, die das Alter erst problematisiert und ihm mit Marketingbegriffen wie »Anti-Aging« den Kampf angesagt haben. Doch die eigentliche Kraft der zweiten Lebenshälfte kommt nicht daher, dass man sich mit 60 noch ein Skateboard oder ein Rennrad kauft. Es ist die Überwindung der Illusion der ewigen Jugend, die zur Freiheit in Bezug auf sich selbst und zur Welt führt.

Pro-Aging: Wir werden immer jünger!

Der Imperativ der Zukunft ist nicht »Anti-«, sondern »Pro-Aging«. Vor uns liegt eine Gesellschaft, die in ihrer Mehrheit aus über 50-Jährigen besteht, von denen immer mehr 100 Jahre und älter werden. Allein in den letzten sechs Jahren hat sich die Zahl der über 100-Jährigen in Deutschland verdoppelt. Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamts wächst der Anteil der Generation 65 Plus von heute 21 Prozent auf 28 Prozent im Jahr 2030 und auf 33 Prozent im Jahr 2060. Schon heute nimmt Deutschland mit einem Durchschnittsalter von knapp 45 Jahren einen Spitzenplatz in der Liste der ältesten Länder der Welt ein, übertroffen nur noch von Japan. Eine derartige Zusammensetzung der Gesellschaft ist ein Novum in der Geschichte.

Überalterung ist in Wahrheit Verjüngung

Wer heute geboren wird, hat im Schnitt 80 Jahre vor sich. Tendenz steigend. Seit den 1870er Jahren hat sich die Lebenserwartung der Deutschen mehr als verdoppelt. Mehr als sieben Jahre leben wir heute länger als unsere Vorgängergeneration. Zwei Drittel der 55-bis 69-Jährigen bezeichnet sich in Deutschland als gesund, in der Altersgruppe zwischen 70 und 85 ist es die Hälfte.  Die Zahl der Lebensjahre, in denen wir krank oder gebrechlich als Pflegefälle betreut werden müssen, nimmt entgegen der weit verbreiteten Befürchtung nicht zu. Unsere Lebenserwartung steigt nicht, weil sich der unvermeidbare Prozess des Älterwerdens verlangsamt oder verlängert, sondern weil er immer später einsetzt. In diesem »Downaging«“ liegt das eigentliche Potenzial – die Überalterung der Gesellschaft ist in Wahrheit ihre Verjüngung.

Menschen über 60 sind heute fitter, gelassener und welterfahrener als je zuvor. Die Zeit, in der wir fit, aktiv und gesund sind, verlängert sich. Dies wird durch Zahlen des Robert-Koch-Instituts bestätigt. Demnach bezeichnen drei von vier Deutschen ihren Gesundheitszustand als gut oder sehr gut. Das gilt auch für die Älteren, wie aktuelle Daten des Statistischen Bundesamts belegen: Drei Viertel aller Personen über 75 Jahren fühlen sich fit.

Die mentale Gesundheit steigt mit dem Alter

Vor 16 Jahren haben die beiden Ökonomie-Professoren David G. Blanchflower und Andrew Oswald den Zusammenhang zwischen Lebenszufriedenheit und Alter in 72 Ländern untersucht. Sie fanden heraus, dass sich das Verhältnis mit einem großen U abbilden lässt, dessen Tiefpunkt im globalen Schnitt bei 46 Jahren liegt – das ist häufig die Zeit, in der die eigenen Kinder pubertieren, die Ehen kriseln, die Midlife-Crisis sich ankündigt. Danach geht die Stimmungskurve wieder bergauf. Je älter wir werden, desto stärker wird die mentale Gesundheit einer Gesellschaft. Eine älter werdende Gesellschaft hat das Potenzial, eine gelassenere, weisere Gesellschaft zu sein. Gelassenheit ist die Fähigkeit, besser mit Emotionen umgehen zu können, und emotionale Stabilität ist im Alter stärker ausgeprägt als bei Jüngeren.

InstapostDettling - den Älteren gehört die Zukunft

Erwerbstätige im Alter leben oft gesünder

Dieser demografische Wandel hat handfeste Folgen für Politik und Wirtschaft: In Zukunft werden immer mehr über 70-Jährige Spitzenfunktionen ausüben. Joe Biden und Donald Trump sind erst der Anfang. Aber auch für die Normalbevölkerung gilt: Wer länger arbeitet, lebt gesünder. Menschen, die im Alter erwerbstätig sind, leiden weniger an schweren Krankheiten und leben oft länger als gleichaltrige Menschen im Ruhestand. Viele wollen länger arbeiten, weil sie den sozialen Wert ihrer Tätigkeit schätzen - insgesamt werden Faktoren wie soziale Kontakte, Teilhabe an gemeinsamen Zielen, Status und Identität von Arbeit höher bewertet. Die Quote der Erwerbstätigen über 60 hat sich in den letzten 15 Jahren mehr als verdoppelt. Sinnstiftende Arbeit hält länger gesund.

Das heißt aber nicht, dass alle immer jünger und fitter werden. Man kann mit 70 sehr jugendlich sein – oder mit 20 sehr alt. Wir haben es überwiegend selbst in der Hand, wie gesund wir altern. Nur zwischen 10 und 30 Prozent unserer Gesundheit sind genetisch festgelegt, schätzt der Altersforscher Sven Völpel. Der Rest hängt von unserem Verhalten ab. Die durchschnittliche Vitalität steigt in der zweiten Lebenshälfte, zeigen etliche Studien. Vitalität besteht darin, uns auf die Welt so einzulassen, dass wir sie ändern können. Von innen wie von außen. Gesundheit ist für uns das Mittel der Vitalität. Immer mehr Krankheiten hängen mit dem Lebensstil zusammen, wie Diabetes oder Bluthochdruck. Wir haben es selbst in der Hand, individuell über unser Verhalten und gemeinsam über ein neues Gesundheitssystem diesen Lebensstil zu ändern und damit unser Leben vitaler zu leben.

Die Reife ist der Motor des Fortschritts

»Nicht mehr die Jugend ist der Motor des Fortschritts, sondern die Reife«, schrieben Rainer Böhme, Petra und Werner Bruns in ihrem Buch »Die Altersrevolution« bereits 2007. Die Reife einer Gesellschaft misst sich an ihrer Gelassenheit und Zuversicht im Umgang mit Krisen. Sie ist der wahre Wettbewerbsvorteil, den wir in Zukunft haben. Entscheiden wir selbst, wie alt wir sein wollen. Statt um Anti- geht es um Pro-Aging. Eine Gesellschaft des langen Lebens ist eine der Vitalität und der Lebensfreude.

Dr. Daniel Dettling ist Zukunftsforscher (www.institut-zukunftspolitik.de). Sein aktuelles Buch: „Eine bessere Zukunft ist möglich. Ideen für die Welt von morgen“.