Roter Faden Corona-Politik
In der Corona-Politik fehlt der rote Faden, so die Kritik von Landrat Stefan Sternberg.
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Interview

Expertenratsmitglied kritisiert Corona-Politik

Stefan Sternberg, Landrat von Ludwigslust-Parchim, vertritt als erprobter Krisenmanager im Corona-Expertenrat der Bundesregierung die Anliegen der Kommunen. Wie es dazu kam und was er im Interview mit KOMMUNAL fordert.

KOMMUNAL: Herr Sternberg, Sie sind als einziger Nichtmediziner im Corona-Expertenrat vertreten, den die Bundesregierung eingerichtet hat. Wie fühlen Sie sich neben Top-Virologen wie Christian Drosten und Hendrik Streek?



Stefan Sternberg: Im Expertenrat sind alle von Anfang an sehr offen und partnerschaftlich miteinander umgegangen. Es gab keine großen Barrieren. Jeder und jede in der Runde bringt sich mit seinem Fachgebiet ein. Genau darin liegt auch die Stärke des Gremiums.  Und die kommunale Sicht ist dabei eine sehr wichtige, besonders in dieser Pandemie.

In welcher Situation haben Sie davon erfahren, dass Sie dem hochkarätigen Rat angehören werden?

Ich saß gerade mit Mitarbeitern zusammen, um den Kreishaushalt 2022 zu beraten. Da kam meine Sekretärin herein und sagte: Herr Sternberg, ein Anruf aus dem Bundeskanzleramt. Die wollen Sie sprechen! Ich war einigermaßen perplex, da wir in unserer Runde kurz vorher darüber geredet hatten, dass heute der neue Bundeskanzler gewählt.Am Telefon wurde mir dann gesagt, dass ich für den Expertenrat vorgeschlagen wurde und man mich gerne in der Runde dabeihaben möchte.

Wie haben Sie reagiert?

Ich habe mich gefreut und gesagt, dass die Anfrage eine Ehre für mich ist. Und dann wollte ich natürlich wissen: Wie kommen Sie auf mich?

Ja, wie kam die Bundesregierung auf Sie?

Als Landrat eines der größten Flächenkreise Deutschlands habe ich schon einige Krisen gemeistert. Vor Corona war der Waldbrand bei Lübtheen im Juni 2019 die wohl größte Herausforderung. Damals waren um die 3.000 Einsatzkräfte im Einsatz. Ich war in dieser Zeit intensiv mit Generalmajor Breuer im Austausch. Er leitet jetzt den Corona-Krisenstab der neuen Bundesregierung und wollte im Expertenrat einen krisenerprobten Praktiker dabeihaben.

Welche Krisenerfahrungen haben Sie noch?

Als Bürgermeister in Grabow war ich auch schon bei der Bekämpfung des Elbe-Hochwassers aktiv.  Als Landrat kam es im Oktober vorigen Jahres zu einer neuen Herausforderung: Cyber-Kriminelle legten bei einem Angriff den Server der Kreisverwaltung lahm.  Betroffen waren auch andere Kommunen in Mecklenburg-Vorpommern.

Sternberg



Was haben Sie dabei gelernt?

Als ich sechs Monate als Landrat im Amt war und es zum großen Waldbrand kam, habe ich festgestellt, dass die Kat-Schutz-Pläne meines Landkreises nicht mit den Schadenslagen der Hilfsorganisationen und der Bundeswehr zusammenpassen. Darum haben wir 2019 eine neue Stabsstelle entwickelt. Sie ermöglicht es uns, mehrere Schadensfälle gleichzeitig zu steuern. Dabei haben wir festgestellt: Vieles, das wir in der Theorie auf der Kat-Schutz-Schule in Ahrweiler lernten, hat in der Praxis nicht funktioniert. So unterschreibt bei uns zum Beispiel die Amtshilfeanträge die Stabsleiterin und nicht der Landrat.

Welche Perspektiven aus kommunaler Sicht wollen Sie im Expertenrat vor allem einbringen?

Es ist mir wichtig, aufzuzeigen, dass Entscheidungen, die in Berlin getroffen werden, sich vor Ort massiv auswirken. Ich will ein kommunales Spiegelbild sein, deshalb bin ich im ständigen Austausch mit Dr. Kay Ruge vom Deutschen Landkreistag.

Wollen Sie uns ein Beispiel nennen?

Gleich mit der konstituierenden Sitzung der neuen Bundesregierung gab es das Statement von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, dass es nicht genügend Impfstoff gebe, drei Tage später kam dann die Nachricht, der Impfstoff reiche doch aus. Das verursachte Schockwellen, nicht nur bei den Bürgern, sondern auch in den Impfzentren, die ja organisieren müssen. Ich habe versucht deutlich zu machen, dass man bei der Kommunikation aufpassen muss, dass wir kommunal nicht geschrotet werden. Rathäuser und Landratsämter sind nicht auf eine solche pandemische Lage ausgelegt – weder personell noch technisch. Wir sind durchaus krisenerprobt, aber bei Corona haben wir es mit einem Marathonlauf zu tun und nicht mit einem Sprint, für den wir besser konditioniert sind.

Was muss sich aus Ihrer Sicht unbedingt verbessern?

Wir brauchen dringend einen roten Faden in der Corona-Politik. Ich bin entsetzt darüber, wie es mit den Impfzentren gelaufen ist. Viele wurden im Herbst vorigen Jahres geschlossen und mussten dann wegen der Booster-Impfungen in der Kürze wieder hochgezogen werden. Wir haben als Landkreis umgesteuert und sind mit mobilen Impfteams in die Gemeinden gegangen. 

Wie kann ein roter Faden aussehen?

Fest steht: Wir müssen uns auf längere Schadenslagen einrichten. Dazu benötigen wir einen leistungsfähigen und robusten Öffentlichen Gesundheitsdienst und verlässliche Strukturen. Der ÖGD ist einer der großen Leistungsträger in der Pandemie. Es fehlt dort aber immer noch am Personal. Um den Laden am Laufen zu halten, müssen wir derzeit rund 100 Kolleginnen und Kollegen aus anderen Bereichen zuschieben, damit sie ihre Arbeit schaffen bei der Registrierung der CoronaFälle und Nachverfolgung der Infektionsketten.

Die Kommunen beklagen vor allem die mangelnde Kommunikation, dass sie in Entscheidungen nicht eingebunden werden, sich vor der Flut von Verordnungen nicht retten können.

Ja, daran haperte es bisher gewaltig. Was mich aber auch umtreibt, sind die höchst unterschiedlichen Regeln je nach Bundesland. Wir brauchen da dringend einheitliche Maßnahmen. Ein hoher Landesbeamter erzählte mir jüngst:  Wenn ich beim Rasieren morgens vor dem Spiegel stehe, frage ich mich: Was gilt heute und was nicht? Wenn das schon ein Beamter sagt, wie geht es dann den Bürgern? Der weiß nicht: Kann ich mich am Wochenende zum Kaffee mit Freunden und Nachbarn treffen oder nicht? Beim Bürger entsteht der Eindruck: Die Politik ist nicht mehr zuverlässig. Das beeinträchtigt dann auch das Vertrauen in die kommunale Ebene, das noch vergleichsweise hoch ist, wie Umfragen immer wieder belegen.

Wollen Sie bundeseinheitliche Bestimmungen unabhängig von der jeweiligen Infektions- und Belastungslage in den Kliniken?

Wenn ich zurückdenke an Weihnachten: Da war ich echt erschrocken. Mein Landkreis grenzt an drei Bundesländer – Brandenburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Sachsen-Anhalt ist auch nicht weit. Überall galten andere Reglungen. Im Nachbarlandkreis waren die Diskos offen, danach mussten 1.200 Leute in Quarantäne gesteckt werden, davon waren knapp 300 aus unserem Landkreis. Was bringen uns die Regeln, wenn in Schleswig-Holstein Party ist, während bei uns alles, die Diskos und Bars, dicht sind. In Schwerin blieben die Theater an Silvester geschlossen, in Hamburg saßen zur gleichen Zeit 1.000 Menschen in der Elbphilharmonie. Ist das der Föderalismus, den wir brauchen, um durch diese Pandemie zu kommen? Nein. Dann lieber einheitliche Standards, die umsetzbar sind und Sinn machen.

Wie kann Politik auf die Proteste gegen die Corona- Politik reagieren?

Die Ängste und Beweggründe muss man ernst nehmen. Als einmal Menschen an mir vorbeizogen bei einem sogenannten Spaziergang, habe ich, als ich im Stau steckte, einige gesehen, die ich kenne. Unternehmer, die sich um ihre Existenz sorgen, auch Geimpfte. Viele protestieren auch gegen die Regelungen, weil sie die Sprunghaftigkeit nicht verstehen. Und da wären wir wieder bei dem von mir geforderten roten Faden. Wir brauchen einheitliche Regelungen. Klar ist natürlich auch, dass wir unsere Pläne durch Mutationen immer wieder anpassen müssen.

Fotocredits: Landrat Stefan Sternberg: Privat