Grafik Bürgermeister und seine Stadt
Deutschlands Bürgermeister als Krisenmanager. Wir bei KOMMUNAL haben Sie befragt.
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Corona-Pandemie

So erleben fünf Bürgermeister die Corona-Krise

Sie müssen die Beschlüsse von Bund und Land auf lokaler Ebene umsetzen und stoßen dabei häufig auf Widerstand. Führende Kommunalpolitiker schildern ihre Erfahrungen in der Pandemie - was die Bürger bewegt und was sie sich beim Krisenmanagement von Bund und Land anders wünschen.

Eine gute verlässliche Betreuung – das ist es, was sich Eltern von kleinen Kindern wünschen. Eine Forsa-Umfrage im Auftrag von KOMMUNAL unter knapp 2000 Bürgermeistern in Deutschland hat ergeben, dass sich die Bürger aktuell am häufigsten an die Stadt- oder Gemeindeverwaltung wegen Problemen bei der Kinderbetreuung wenden.

Ute Seifried, Bürgermeisterin von Singen, Baden-Württemberg

Das baden-württembergische Singen hat viel dafür getan, das Angebot in den vergangenen Jahren auszuweiten. 29 Kitas gibt es mittlerweile in der rund 48.500-Einwohner-Stadt. Doch seit das Corona-Virus Deutschland im Griff hat, kann Singens Bürgermeisterin Ute Seifried allen Eltern schon lange nicht mehr garantieren, dass ihr Kind in die Kita darf. Auch der Unterricht an den 15 Schulen findet mal statt, mal nicht oder abwechselnd: im Klassenzimmer und zuhause. „Die Situation ist für alle Beteiligten sehr schwierig“, sagt Seifried. „Kinder brauchen Kontinuität und einen strukturierten Alltag.“ Sorgen mache sie sich vor allem um Kinder aus sogenannten bildungsfernen Familien. „Wir stellen fest, dass viele einen Rückschritt in ihrer Entwicklung machen, einige verhalten sich aggressiver als früher.“

Die Bürgermeisterin macht keinen Hehl daraus, dass sie sich von der Landesregierung eine klarere und frühzeitigere Kommunikation und von der Bundesregierung eine langfristigere Strategie wünschen würde. „Wir benötigen dringend ein Konzept, wie man möglichst schnell wieder zum Präsenzunterricht zurückkehren kann und wir Kinder wieder in der Kita betreuen können“, fordert sie, „sei es in kleinen Gruppen und mit Masken oder durch die Absicherung mit mehr Schnelltests“.

Die Familien müssten sich besser einstellen können, wie es weitergeht. „Wir haben mal einen kompletten Lockdown, mal einen halben, dann wieder einen ganzen Lockdown, wie lange soll das so weitergehen?", fragt sich Seifried. Für die Kita-Mitarbeiter sind es harte Zeiten. „Die Entscheidung, wer in die Kita darf und wer nicht, stellt eine arge Belastung für alle dar“, beschreibt die Bürgermeisterin die Stimmung. „Die Kinder fragen: Warum bin ich hier, aber meine Freundin ist es nicht?   

Im ersten Lockdown seien die Vorgaben, wer denn nun in einem systemrelevanten Beruf arbeite, zunächst nicht klar gewesen, kritisiert die Bürgermeisterin. Viele Eltern, die abgewiesen werden mussten, waren verzweifelt. Inzwischen dürfen alle in die Kita, deren Eltern unabkömmlich sind am Arbeitsplatz.

Aber auch das sorgt immer noch  für viele Diskussionen. „Wir fahren die Notbetreuung derzeit mit gut der Hälfte der Kinder“, berichtet Seifried. "Eigentlich kann man da nicht mehr von einer Schließung der Kitas sprechen.“

Singen Bürgermeisterin Seifried

Ich hab mal gezählt: An einem Tag im letzten Frühsommer lagen 28 veränderte Verordnungen auf meinem Tisch.

Ute Seifried, Bürgermeisterin von Singen



Ihre Kritik am Informationskurs der Landesregierung in Stuttgart hat die couragierte Bürgermeisterin aus Singen auch gegenüber der zuständigen Ministerin schon geäußert. In allen anderen Bereichen seien die Verordnungen und Veränderungen ebenfalls Schlag auf Schlag, also immer sehr kurzfristig gekommen und sollten innerhalb nur weniger Tage umgesetzt werden. Ihr Fazit: Ziemlich verwirrend – für alle.

Uwe Klingor, Bürgermeister von Käbschütztal, Sachsen

Plötzlich war Käbschütztal in den Fernsehnachrichten und für kurze Zeit eine traurige bundesweite Berühmtheit.  In der kleinen Gemeinde im Landkreis Meißen wurden kurz nach dem erneuten bundesweit verordneten Lockdown November 2020 so viele Corona-Infizierte gezählt, dass sich hochgerechnet ein Inzidenzwert von 2922 Fällen pro 100.000 Einwohner ergab. Sachsenweit lag dieser Wert damals bei 415, was auch schon enorm ist. Bürgermeister Uwe Klingor stand vor der Frage, ob er den Ort mit seinen 37 Ortsteilen abriegeln soll.

„Die Entscheidung fiel mir sehr schwer“, erinnert er sich. „Ich entschied mich dagegen.“ Dennoch zeigt sich der sächsische Bürgermeister ziemlich sicher: „Das Virus kann nur von jenen in den Ort getragen worden sein, die außerhalb arbeiten – in Dresden, Meißen oder Nossen.“ Denn Käbschütztal habe keine Bar und längst auch keine Gaststätte mehr.  Die Sporthalle - damals schon wegen Corona geschlossen. Wer in Käbschütztal infiziert ist, das erfährt auch er bis heute nicht. „Wir bekommen vom Gesundheitsamt immer nur eine Nummer mitgeteilt, aber nicht die Namen der Infizierten, wissen also nicht, um wen es geht und wo die Betroffenen wohnen“, bedauert er. „Ich habe selbst keine Handhabe, das vor Ort zu kontrollieren.“ Der Bürgermeister kritisiert: „Die Politik haut eine Verordnung nach der anderen raus, doch wer soll das alles umsetzen und kontrollieren?“

Bürgermeister Uwe Klingor, Käbschütztal

Die Kontrollen, die machen bei sieben Mitarbeitern ich selbst und die Hauptamtsleiterin“

Uwe Klingor, Bürgermeister von Käbschütztal

Hat er überhaupt das Personal für die Kontrollen? „Die Kontrollen, die machen bei sieben Mitarbeitern ich selbst und die Hauptamtsleiterin“, erzählt er. „Wir gehen beide häufiger in den Supermarkt und schauen nach, ob dort Masken getragen und die Abstände eingehalten werden.“  Die Verkäuferinnen tragen dort Mund-Nase-Bedeckung, dafür ertappe er häufiger Rentner, “die auf dem Parkplatz stehen und ohne Maske und Abstand miteinander quatschen“.

Nicht einmal jede vierte Kommune in Deutschland fühlt sich laut der KOMMUNAL-Umfrage in der Lage, die Kontrollen zu garantieren. In Ostdeutschland trauen sich das sogar nur 4 Prozent der Bürgermeister zu. Nicht einmal jeder siebte Bürgermeister sagt, dass er genügend Personal etwa für die Nachverfolgung von Kontakten und Infektionsketten hat.

Insgesamt  zeigten sich die Bürger überwiegend verständnisvoll und hielten sich an die Regeln, sagt Bürgermeister Klingor. Illegale Partys? Kein Thema. In Käbschütztal leben nicht viele junge Menschen, die meisten der rund 2.700 Einwohner sind in der Altersgruppe 40 bis 60, rund 40 Prozent sind älter als 80 Jahre. „Hier bei uns auf dem Land legt sich keiner so gern an“, meint der Bürgermeister der landwirtschaftlich geprägten Gemeinde. „Die Leute gehen freundlich miteinander und auch mit uns in der Gemeindeverwaltung um.“

Seine Frau arbeitete bis Ende vorigen Jahres als Krankenschwester am Elblandklinikum Meißen und hat miterlebt, was das Virus anrichten kann. „Ich nehme das Corona-Virus sehr ernst“, sagt der 67-Jährige. Er hat deshalb auch öffentlich mitgeteilt, dass er sich möglichst schnell impfen lassen möchte. Inzwischen will er anderen den Vortritt lassen. „Ich will mich lieber nicht vordrängeln“, sagt er.

Erik Lierenfeld, Bürgermeister von Dormhagen, NRW

„Aggression und Gewaltbereitschaft haben in der Corona-Krise definitiv zugenommen“, sagt Erik Lierenfeld, Bürgermeister der Stadt Dormagen in Nordrhein-Westfalen. „Der Staat greift in das Leben der Menschen ein - dass das nicht immer hingenommen wird, ist nachvollziehbar.  Meine Mitarbeiter und ich erleben aber massive Bedrohungen und Beleidigungen.“

Lierenfeld war Ende vorigen Jahres ins Visier von Wutbürgern geraten: Der Kommunalpolitiker hatte in einem Video auf Facebook davor gewarnt, dass Maskengegner Schüler vor der Schule ansprechen wollen. Er appellierte darin sinngemäß an die Schüler: “Lasst Euch nicht aufs Glatteis führen. Wenn ihr angesprochen werdet, ruft die Polizei oder das Ordnungsamt.“  

Die Reaktionen waren ein Schock für den 34-jährigen Rathauschef. „Ich bekam Hassmails und Anrufe auch auf dem Handy aus der ganzen Republik, vor allem aus dem Osten und dem Süden Deutschlands, und auch aus Österreich und der Schweiz. Es waren sogar Morddrohungen dabei“, berichtet der Bürgermeister. „Das ging von der noch harmlosen Frage, ob ich denn spinne bis hin zu der Drohung, man müsste mir was antun.

Umgehend schaltete er die Polizei ein. „Wir verfolgen schon seit Jahren in der Stadt bei Bedrohungen und Gewalttaten die Null-Toleranz-Strategie“, unterstreicht Lierenfeld. „Wenn unsere Mitarbeitenden bei Kontrollen angefeindet werden, wird das sofort angezeigt.“

Der Bürgermeister zog außerdem die Konsequenz auf die zunehmend aggressive Stimmung in der Corona-Krise: „Die Streifendienste sind inzwischen nicht nur mehr zu zweit, sondern zu dritt unterwegs, falls sie auf uneinsichtige Gruppen treffen.  Wir erleben zwar nicht viele körperliche Auseinandersetzungen, aber die verbale Aggression ist gestiegen.“

Bürgermeister Lierenfeld Dormagen

Mein Rat an andere betroffene Kommunalpolitiker: Handeln Sie sofort, schalten Sie die Sicherheitsbehörden umgehend ein und verurteilen Sie solche Hetze öffentlich.“

Erik Lierenfeld, Bürgermeister von Dormagen



Sein Gesamteindruck: „Die meisten Menschen sind einsichtig und halten sich an die Regeln, doch ich treffe auch viele, die mit der Corona-Politik nicht einverstanden sind. Das sind nicht alles Verrückte, sondern ganz normale Leute.“  

Nicht nur jüngere Menschen verstoßen gegen die Corona-Kontaktbeschränkungen und halten sich nicht an die Quarantäneregeln  oder an die Maskenpflicht. „Das geht durch alle Altersgruppen“, beobachtet der Bürgermeister der 65.000-Einwohner-Stadt.  Unsere KOMMUNAL- Umfrage ergab, dass Bürgermeister und Mitarbeiter zunehmend angefeindet werden. 10 Prozent der Bürgermeister sind in ihrer Arbeit „häufig“ persönlich, per E-Mail oder über soziale Medien mit  „Corona-Leugnern“ konfrontiert. 56 Prozent haben gelegentlich mit ihnen zu tun.

Wie kommt er persönlich mit den Erfahrungen der vergangenen Monate klar?  „Es ist schwer auszuhalten, dass man dafür angefeindet wird, weil man die Demokratie und Sicherheit und Ordnung verteidigt“, sagt Erik Lierenfeld.  Sein Rat an andere betroffene Kommunalpolitiker: „Handeln Sie sofort, schalten Sie die Sicherheitsbehörden umgehend ein und verurteilen Sie solche Hetze öffentlich.“

Peter Kurz, Oberbürgermeister von Mannheim, Baden-Württemberg

Mannheims Bürgermeister Peter Kurz findet, dass das Management der Krise insgesamt an Überzeugungskraft verloren hat. "Wir haben aber auch erlebt, dass in dieser Krise viele Menschen in ihren beruflichen Funktionen, als Selbständige, Unternehmer oder im Engagement als Bürgerinnen und Bürger einen entscheidenden Beitrag geleistet haben", sagt Kurz. So konnte die Krise gemindert werden", verweist er auf die "positive und konstruktive Haltung", die immer noch vorhanden sei.

Mannheim Oberbürgermeister Peter Kurz

Korrekturen sind kein Verlust an Glaubwürdigkeit. Im Gegenteil: Die Politik kann sich noch stärker und schneller al lernendes System verhalten und zeigen."

Mannheims Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz

Die Pandemie verlange immer neue Entscheidungen und eine Anpassung an die jeweils aktuellen Erkenntnisse. "Auf der Habenseite des vergangenen Jahres 2020 steht für mich, dass hierfür die übergroße Zahl der Menschen ein großes Verständnis hatte", so der Oberbürgermeister. Die Anfang Dezember verhängte nächtliche Ausgangsbeschränkung in Mannheim habe sich als eine der am besten durchsetzbaren Maßnahmen erwiesen - mit insgesamt wenig Verstößen. "Sie hat den Rückgang der Inzidenz beschleunigt", zeigt er sich von der Wirkung überzeugt.

Auch der Mannheimer Oberbürgermeister hätte es besser gefunden, wenn die ständige Veränderung von Maßstäben und Zielen noch transparenter gestaltet und besser erklärt worden wäre. Es gebe den Wunsch nach Kontinuität in den Entscheidungen, also "kein Auf und Ab" und "keine Jo-Jo-Politik." Dieser Wunsch stamme aus dem klassischen politischen Alltag, habe aber mit Pandemiebekämpfung nichts zu tun, meint Kurz. Dennoch sei die Tatsache, "dass wir auf Sicht fahren, kein Argument dafür, auf Szenarien zu verzichten und mögliche Entscheidungen nicht frühzeitiger detailliert zu beschreiben und zur Diskussion zu stellen. "Das gilt insbesondere für die nächsten Wochen", sagt der Oberbürgermeister. "Korrekturen sind dabei kein Verlust an Glaubwürdigkeit. Im Gegenteil: Die Politik kann sich noch stärker und schneller al lernendes System verhalten und zeigen."

Wiebke Schwarzweller, Bürgermeisterin von Zossen, Brandenburg

Auch die Bürgermeisterin der brandenburgischen Kleinstadt Zossen hört vor allem eine Frage immer wieder: Wann hört der Lockdown auf, wie geht es weiter?  "Die Menschen wollen wissen, wann es wieder Feste geben kann, wann sie sich in den Vereinen wieder treffen können", erzählt Wiebke  Schwarzweller. Sie macht sich vor allem Sorgen um die Unternehmen in der Stadt. Die Bundesregierung habe zwar zugesagt, die Corona-Hilfen für die Betriebe schnell und unbürokratisch zur Verfügung zu stellen, doch in der Praxis erweise sich die Antragstellung doch als kompliziert. Und gerecht gehe es dabei nicht zu, beklagen die Unternehmer.

Bürgermeisterin Zossen Wiebke Schwarzweller

Ich wünsche mir, dass alle Altersgruppen schneller Zugang zu den Impfstoffen erhalten.

Wiebke Schwarzweller, Bürgermeisterin von Zossen

"Gerade diejenigen Unternehmen, die ohnehin einen geringen Umsatz haben, kommen mit der teilweisen Kompensation nun schwer oder gar nicht klar", sagt die Bürgermeisterin. Sie zeigt sich aber davon überzeugt, dass sich Zossen nach der Corona-Krise wieder wirtschaftlich stabilisieren werde. "Wir hatten 2019 ein sehr hohes Steueraufkommen." Was sie sich vor allem wünscht? " Dass die Durchführungsverordnungen im Land einheitlicher gestaltet würden und dass alle Altersgruppen schneller Zugang zu den Impfstoffen erhalten können als es bislang absehbar ist."

Hier finden Sie die Ergebnisse der großen KOMMUNAL-Umfrage:

Fotocredits: Credits: Foto Ute Seifreid: privat; Uwe Klingor: Gemeinde Käbschütztal; Erik Lierenfeld: Stadt Dormagen; Peter Kurz: MVV Energie AG; Wiebke Schwarzweller: privat.