Wohnsitzauflage bleibt Streitthema. ©Photootohp

Wohnsitzauflage muss kommen

Mehr Solidarität unter den Bundesländern, eine flächendeckende Wohnsitzauflage und mehr Sachlichkeit bei der Diskussion um die Obergrenze - das wünscht sich DStGB Geschäftsführer Gerd Landsberg im ausführlichen Interview mit dem MDR. Lesen Sie das Interview hier noch einmal nach.

MDR: Herr Landsberg, zunächst mal zur Obergrenze: Die Kommunen sind ja die Leidtragenden, die die Aufnahme von Flüchtlingen managen müssen. Ist eine Obergrenze von 200.000 aus Ihrer Sicht vernünftig?
Landsberg: Also ich glaube, wir brauchen vor allen Dingen eine Offensive für mehr Sachlichkeit, die von den Fakten getragen wird. Weniger Emotionen, weniger Angst, mehr Verstand. Und dann muss man feststellen: Wir haben jetzt deutlich weniger Flüchtlinge, Gott sei Dank. Und man muss auch feststellen, wenn man über eine Obergrenze spricht, was meint man denn? Eine gesetzliche Obergrenze – die würde mit unserem Grundgesetz nicht vereinbar sein, weil der Artikel 16a sagt, wer politisch verfolgt ist, genießt Asyl. Das kann man nicht ändern, es gibt auch gar keine Mehrheiten dafür. Es würde wahrscheinlich auch europarechtlich nicht halten. Also reden wir, wenn wir über eine solche Obergrenze reden, über ein politisches Ziel. Da bin ich allerdings der Ansicht, dass es sinnvoll wäre zu sagen: 200.000 das schaffen wir so grade, mit Aufnahme und Integration. Und dann ist die eigentlich entscheidende Frage nicht, ob das jetzt 200.000 oder 300.000 sind, sondern was können wir als Deutschland oder auch als europäisches Land tun, damit die Zahl nicht deutlich höher ist. Und darüber sollte gesprochen werden.
MDR: Also ich halte fest, dass die CSU das gesetzlich verankern will, halten Sie für Blödsinn, aber von der Sache her, die Zahl würden Sie durchaus für sinnvoll erachten.
Landsberg: Also das Ziel, dass auf 200.000 als politisches Ziel zu beschränken, das halte ich für richtig. Eine gesetzliche Verankerung halte ich nicht für realistisch. Deswegen müssen wir alles daransetzen, um mehr Steuerung in das System zu bekommen und auch die Zahlen dauerhaft niedrig zu halten. Diese sachliche Diskussion sollten wir führen.
MDR: Herr Landsberg, die Kommunen müssen ja Kapazitäten vorhalten, auch durchaus in Größenordnungen. Manchmal stehen dann auch Einrichtungen leer, dann werden sie wieder gefüllt. Fühlen Sie sich eigentlich ausreichend finanziert und ausreichend – wie soll ich sagen – umsorgt von den Bundesbehörden oder ein Stückweit auch alleingelassen?
Landsberg: Da sind wir doch wieder ein bisschen bei der Obergrenze. Ja, wieviele werden denn voraussichtlich noch kommen? Aber das ist eine Aufgabe im Prinzip auch von Bund und Ländern, eine Schätzung vorzunehmen, was brauchen wir an Plätzen, wieviel Plätze bieten die Länder oder halten die Länder vor ihn ihren Erstaufnahmeeinrichtungen und was wird von den Kommunen erwartet? Da müssten die Länder sich auch abstimmen und daraus ein Konzept und das muss dann auch finanziert werden. Das gibt es in Ansätzen in den Bundesländern. Also ich würde keiner Kommune raten, jetzt alles abbauen nach dem Motto, es kommen im Moment keine. Die Leute wollen ja auch teilweise zurück, auch das kommt mir in der Diskussion zu kurz. Das immer so getan wird, jeder Flüchtling, der jetzt kommt, der bleibt auf Dauer in Deutschland. Mit Sicherheit nicht. Ich darf dran erinnern, im Jugoslawien-Balkan-Krieg hatten wir fast 450.000 Flüchtlinge in Deutschland, davon sind weit über 400.000 inzwischen zurückgekehrt.

Eine Wohnsitzauflage ist aus Sicht des DStGB ein sinnvolles Instrument ©DStGB

MDR: Herr Landsberg, es gibt ja mittlerweile den Begriff der Phantomflüchtlinge. Da geht es um Menschen, die einem bestimmten Wohnort zugewiesen wurden, aber dann dort nicht bleiben und dann zum Beispiel von Ostdeutschland nach Westdeutschland wandern, weil schon Verwandte dort sind. Also momentan ist es wohl so, dass Sachsen Geld vom Bund bekommt für Flüchtlinge, die gar nicht mehr in Sachsen sind, sondern in Nordrhein-Westfalen sind. NRW muss dann dafür Hartz IV bezahlen. Ist grundsätzlich ein Konstruktionsfehler, dass das System nicht übersichtlich ist, dass da jetzt auch Bundesländer so ein bisschen gegeneinander vorgehen?
Landsberg: Also da fehlt es offenbar teilweise an der Solidarität. Wir als Deutscher Städte- und Gemeindebund appellieren an die Länder, die Wohnsitzauflage, die ja im Bundesgesetz als Ermächtigung vorhanden ist, für anerkannte Flüchtlinge auch umzusetzen, damit wir zu einer gleichmäßigen Verteilung kommen. Das gibt den Kommunen auch Planungssicherheit, denn möglicherweise schaffen sie jetzt ein Angebot für Sprachkurse, für Kitas, für Schulen und die Leute sind dann plötzlich weg. Und es wird ja immer in der öffentlichen Diskussion gesagt, das ist immer alles so eine Riesenbelastung für die Flüchtlinge. Das ist es nicht, wenn man es intelligent macht. Es macht natürlich nicht Sinn, den Sohn nach München zu schicken, wenn die ganze Familie in Hamburg sitzt, oder umgekehrt. Also das intelligent zu steuern und dann kann das funktionieren. Aber es natürlich auch nicht so sein, dass einzelne Länder, ohne dass das ausgedrückt wird, sich sagen, also wir machen gar nichts, nach dem Motto die gehen schon weg, dann sollen die anderen sich darum scheren. Das ist falsch. Wir haben einhellig als Kommunen gesagt, wir wollen das als ein Instrument haben und es ist auch eine Chance für Integration. Es ist auch aus meiner Sicht eine Chance für den ländlichen Raum: Dort gibt es preiswerten Wohnraum, dort gibt es funktionierende Nachbarschaften. Wenn man das dann noch entsprechend mit Investitionshilfen für Arbeitsplätze auffüttert, ist das auch eine Chance. Nur es funktioniert eben nur, wenn die Länder solidarisch sind. Und bisher gibt es erst zwei Länder, die das gesetzlich umgesetzt haben – das sind Bayern und Baden-Württemberg. Nordrhein-Westfalen sagt jetzt, ja wahrscheinlich zum 1. Dezember. Das ist natürlich auch schon relativ spät. Und die anderen Länder sind noch in der Diskussion, sag ich mal.
MDR: Also Sie würden sich wünschen, Wohnsitzauflage in allen Bundesländern?
Landsberg: Richtig! In allen Bundesländern und dann schauen wir, wie man damit klarkommt. Und es ist auch für die Betroffenen keine große Belastung. Es gibt die Härtefallregelung im Gesetz, es gibt die Möglichkeit zur Wahrung der Familieneinheit. Wenn er woanders eine Arbeit hat, kann selbstverständlich dahingehen. Wir haben ja auch Erfahrungen, das hat es bei den Vertriebenen gegeben, das hat es bei den Russlanddeutschen gegeben. Das wird nicht die Lösung aller Probleme sein, aber es ist ein wichtiger Baustein. Und auch deshalb – wir haben das ja eben gerade schon besprochen – wir wissen doch gar nicht, wieviel Flüchtlinge kommen. Wenn jetzt wieder ganz viele kommen, dann wird manches Land, was jetzt sagt „och, machen wir nicht“ sich vielleicht danach sehnen, dieses Gesetz umgesetzt zu haben.
MDR: Also mehr Solidarität der Bundesländer untereinander und die Wohnsitzauflage flächendeckend, das ist die Forderung von Dr. Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, hier im Interview bei MDR-Aktuell.

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