Telenotärzte
Telemedizinisches Großprojekt in der Lausitz
Die Wege sind weit und das Fachpersonal rar. Die Folge: Wie in vielen anderen ländlichen Regionen ist die medizinische Versorgungslage in der Lausitz angespannt. Doch nun wurde ein Großprojekt gestartet, in dessen Rahmen die gesamte brandenburgische Lausitz mit den vier Kreisen und der Stadt Cottbus telemedizinisch vernetzt werden soll.
Telemedizinisches Projekt für gesamte Region
„Das Projekt wirkt bis in den letzten Winkel der Lausitz hinein“, sagt Sebastian Sammt, der als Projektmanager bei der Wirtschaftsregion Lausitz arbeitet. In den vergangenen Jahren sei es zunehmend schwerer geworden, die Notarzt-Dienste in den verschiedenen regionalen Rettungsdiensten zu besetzen. Zudem sei es in der Fläche herausfordernd, die Zeiten einzuhalten, in denen der Notarzt an der Einsatzstelle eintreffen sollte.
Gleichzeitig gibt es mit dem Notfallsanitäter seit einigen Jahren eine hervorragend ausgebildete Fachkraft, die im Notfall mit vor Ort ist und direkt die Anweisungen des Arztes ausführen kann. Beide Entwicklungen sollen jetzt durch den Einsatz von Telenotärzten verbunden werden. „In Zukunft sollen 20 bis 30 Prozent der Notarzteinsätze digital unterstützt ablaufen – das entspricht etwa 25.000 Notarzt-Einsätzen“, sagt Ingolf Zellmann, Leiter der Integrierten Regionalleitstelle Lausitz (IRLS Lausitz). Rund 125 Rettungstransportwagen und Notarzteinsatzfahrzeuge der Regionalleitstelle sollen hierzu mit Geräten zur mobilen Datenübertragung ausgestattet werden. Parallel dazu werden rund 15 besonders erfahrene Notärzte als Telenotärzte geschult.
Werkstatt in der Wirtschaftsregion Lausitz
Die Idee entstammt der Digitalisierungsstrategie des Landkreises Dahme-Spreewald in Kooperation mit der IRLS Lausitz. Entwickelt wurde die Projektidee im Rahmen eines Werkstattprozesses in der Wirtschaftsregion Lausitz GmbH, die unter dem Slogan „Die Lausitz. Krasse Gegend“ eine europäische Modellregion für den Strukturwandel darstellt. Gesellschafter der Wirtschaftsregion Lausitz GmbH sind das Land Brandenburg, die Stadt Cottbus/Chóśebuz, die Landkreise Dahme-Spreewald, Elbe-Elster, Oberspreewald-Lausitz sowie der Kreis Spree-Neiße/Sprjewja-Nysa.
In verschiedenen Werkstätten werden dort Projekte für die Region entwickelt und anschließend einstimmig für das Förderprogramm Strukturentwicklung Lausitz vorgeschlagen. Die Qualifizierung der Projekte in einer der Werkstätten und die folgende Befassung in der Interministerielle Arbeitsgruppe (IMAG) Lausitz der brandenburgischen Landesregierung ist zwingend notwendig, um aus dem 3,6 Milliarden Euro schweren Strukturwandel-Topf Gelder zu beantragen. Eine Werkstatt ist dabei ein Zusammenschluss von regionalen Fachexperten – jenes Projekt zu den Telenotärzten entstand in der „Werkstatt Innovation und Digitalisierung“. In der praktischen Umsetzung wird das Projekt nun von der IRLS Lausitz angeführt, die die Rettungs-, Feuerwehr- und Katastropheneinsätze für Cottbus sowie die Landkreise Spree-Neiße, Oberspreewald-Lausitz, Dahme-Spreewald und Elbe-Elster koordiniert.
Telenotarzt rund um die Uhr in der Leitstelle
In der Praxis stellt sich die telemedizinische Zukunft in der Lausitz wie folgt dar: Geht ein Anruf in der Leitstelle ein, entscheidet der dortige Mitarbeiter je nach Fallschilderung, ob ein Rettungswagen und ein Notarzt zum Einsatzort fahren, oder aber ob nur ein Rettungswagen zum Einsatzort fährt und der Telenotarzt zugeschaltet wird. Dieser sitzt rund um die Uhr in der Leitstelle und kann mehrere Einsätze gleichzeitig betreuen. Via digitale Geräte und Kameras werden ihm von den Notfallsanitätern die direkten Aufnahmen, Schilderungen und digitalen Vitalparameter übertragen, worauf er die jeweils nötige Behandlung einschätzen, anweisen und elektronisch protokollieren kann. Regelmäßig könne so sogar schneller behandelt werden als bislang, erläutert Sammt, schließlich mussten die Notfallsanitäter auf das Eintreffen des Notarztes warten, bis bestimmte Behandlungen möglich waren. „Das rettet Leben“, sagt Sammt und auch Zellmann stellt fest: „Uns bieten sich dadurch mehr und noch bessere Möglichkeiten, als wir sie heute haben." In medizinisch kritischen Situationen könnten schon sehr früh Entscheidungen zu notwendigen Medikationen oder Therapien getroffen werden.
Auch jenseits der Zuschaltung zur Beratung der Notfallsanitäter vor Ort bieten sich durch die Telenotärzte und die entsprechende digitale Vernetzung der verschiedenen Einsatzkräfte große Möglichkeiten, wie Zellmann sagt. „Auch wenn ein Notarzt direkt vor Ort ist, kann es manchmal hilfreich sein, noch eine zweite Arztmeinung einzuholen“, so der Leitstellenleiter. In diesem Fall könnte der Telenotarzt ergänzend in die Diagnostik einbezogen werden. Weitere mögliche Einsatzbereiche sind zudem Verlegungsfahrten zwischen den Krankenhäusern, bei den eine ärztliche Begleitung notwendig ist, eine digitale Zuschaltung und Überwachung aus der Ferne aber völlig ausreicht.
Entlastung der Mitarbeiter und smarte Datenübermittlung
„Das Hauptziel des Großprojekts ist eine Entlastung der Mitarbeiter und eine bessere Versorgung der Patienten“, sagt Zellmann. Darüber hinaus ermöglicht der telemedizinische Ausbau eine bessere Weitergabe der Daten. So könnten Patientendaten in Notfällen medienbruchfrei und deutlich schneller an Notärzte in den Rettungsstellen oder an die aufnehmenden Kliniken übermittelt werden. Das läuft heute teilweise noch auf Papier oder als Fax. Für die Zukunft des Projekts ist deshalb auch eine Verknüpfung mit dem Innovationszentrum Universitätsmedizin Cottbus geplant. „Die Telenotärzte sollen in die medizinische Landschaft der Gesundheitsregion Lausitz mit dem digitalen Leitkrankenhaus eingebettet werden. Wir wollen hier letztlich einen voll digitalisierten Prozess bis in die Kliniken hinein“, sagt Sammt, und explizit „keine Insel-Lösung des Rettungsdienstes“.
Auch in anderen Regionen bewährt sich der Telenotarzt
Auch andernorts wurde der Einsatz von Telenotärzten bereits erprobt und es hat sich der digitale Arzt im Versorgungsnetzwerk bewährt. So wurde etwa im Landkreis Vorpommern-Greifswald 2017 als dritte Säule des Projektes „Land|Rettung“ ein Telenotarzt etabliert. Auch in der Region um Aachen sind Telenotärzte im Einsatz. Diese stammen zum Großteil aus der Uniklinik RWTH Aachen, aber auch Ärzten anderer Krankenhäuser der Region wird die Teilnahme am Telenotarztdienst ermöglicht.
Telenotärzte ab 2025 im Einsatz
In der Lausitz laufen die Planungen. Die Interministerielle Arbeitsgruppe (IMAG) Lausitz der Landesregierung hat das Vorhaben bereits als förderwürdig bewertet, aktuell läuft die Beantragung von Fördermitteln durch die Stadt Cottbus/Chóśebuz als Projektträger bei der Investitionsbank des Landes Brandenburg (ILB). Voraussichtlich ab 2025 soll die telemedizinische Versorgung dann in der Praxis starten und Rettungstransportwagen und Notarzteinsatzfahrzeuge in den vier Kreisen und in Cottbus mit Tablets bestückt werden. Langfristig ist dabei auch eine deutliche Ausweitung über die Grenzen der Lausitz hinaus erwünscht. So sagen Sammt und Zellmann: „Im besten Fall kann die Leitstelle Lausitz zur Blaupause für den Aufbau eines telenotärztlichen Systems in allen brandenburgischen Leitstellen und Rettungsdiensten werden.“ Und sogar eine bundesländerübergreifende Ausweitung ist denkbar. Schließlich unterstützt das Gesundheitsministerium die Idee eines flächendeckenden einheitlichen Telenotarztsystems und arbeitet an den rechtlichen Grundlagen.