Kiel
Kiel landet auf Platz 1 des Dynamik-Rankings.
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Ranking

Schwache Regionen holen mächtig auf!

Das neue IW-Regionalranking zeigt, wie sich die Corona-Pandemie und Materialengpässe auf die wirtschaftliche Entwicklung der 400 Landkreise und kreisfreien Städte in Deutschland ausgewirkt haben. Der Großraum München bleibt die wirtschaftlich stärkste Region. Doch teilweise wurden die Karten neu gemischt: Besonders der Norden und das Ruhrgebiet holen auf und verbessern sich. Die dynamischte Entwicklung nahm die Stadt Kiel.

Auch in diesem Jahr belegt der Landkreis München den ersten Platz im IW-Regionalranking 2022. Er weist keine negativen Metropoleneffekte wie eine hohe Arbeitslosigkeit auf und profitiert von den Forschungseinrichtungen, leistungsfähigen Infrastrukturen und einem guten Start-up-Ökosystem, so die Erklärung der Experten. Erfolgreichste Region auf Platz 2 ist der Main-Taunus-Kreis. Er verweist die Stadt München auf den dritten Platz. Danach - auf Platz 4 -  folgt der Landkreis Tirschenreuth in der Oberpfalz. Er zählt zu den Überraschungen beim aktuellen Niveau-Ranking. Die im nordöstlichen Bayern gelegene Region ist ehemaliges Zonenrandgebiet und gilt als wirtschaftlich eher schwach. Die vordere Platzierung beim Erfolgsranking ist laut der Experten auf einen sprunghaften Anstieg der Steuerkraft zurückzuführen - und auf eine Verringerung der Gewerbesteuerhebesätze.  Schlusslicht des sogenannten Niveau-Rankings ist Gelsenkirchen, gefolgt von Duisburg und Bremerhaven.

Doch die Experten des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln, Johannes Ewald, Vanessa Hünnemeyer und Hanno Kampermann, haben nicht nur den Erfolg der Regionen betrachtet, der vor allem auf einer möglichst hohen Kaufkraft als Indiz für Wohlstand und auf einer möglichst geringen Arbeitslosigkeit beruht. Im Dynamik-Ranking untersuchen die IW-Ökonomen neben dem allgemeinen Wirtschaftsniveau auch die Entwicklung der Landkreise.

Dynamik-Ranking führt Kiel an

Die Ergebnisse sind spannend: Denn im Norden entwickeln sich in der Corona-Pandemie viele Regionen besser als im Süden. Auf Platz 1 des Dynamik-Rankings landete das schleswig-holsteinische Kiel. "Die Hafenstadt weist die beste Entwicklung der Lebensqualität in den vergangenen Jahren auf und kann auch bei der lokalen Gewerbeentwicklung punkten", schreiben die Verfasser der Analyse. Auf den Plätzen 2 und 3  folgen der Landkreis Tirschenreuth und die Stadt Speyer. Dies zeigt für die Experten, dass auch Regionen mit weniger guten Voraussetzungen erfolgreich werden können.

Zu den Top 20 zählen insgesamt 13 bayerische Kreise und kreisfreie Städte. Hinter der Region München landet die kreisfreie Stadt Erlangen auf Platz 5. Sie punktet mit einer leistungsfähigen Wirtschaftsstruktur und vor allem mit dem Schwerpunkt medizinische Forschung und Innovation.

Ruhrgebiet holt auf

Was auffällt: Viele Städte und Landkreise im Westen und Norden sowie der Großraum Berlin-Brandenburg haben es auf die vorderen Plätze des Dynamik-Rankings geschafft. Eine besonders positive Entwicklung verzeichnen Wuppertal und Dortmund: Sie zählen inzwischen zu den zehn dynamischten Regionen Deutschlands. Trotz einer schwächeren Ausgangsbasis entwickeln sie sich dem neuesten Report zufolge besonders dynamisch. "Dazu beigetragen hat unter anderem, dass die private Überschuldung der Einwohner hier bundesweit am stärksten zurückging und die Bevölkerung weniger stark alterte als anderswo", heißt es in der Begründung.

Corona verändert Dynamik

„Vor allem im Dynamik-Ranking haben sich dadurch überraschende Entwicklungen ergeben“, kommentiert Studienautor Hanno Kempermann die Auswirkungen der Corona-Pandemie.  „Regionen, die vor zwei Jahren noch auf den hinteren Plätzen landeten, führen heute das Dynamikranking an.“ So komme etwa das Ruhrgebiet weiter nach oben. Süddeutsche Regionen, die neben einem hohen Wirtschaftsniveau üblicherweise auch von einer stark dynamischen Regionalentwicklung geprägt waren, schneiden in diesem Jahr unterdurchschnittlich ab. Dies liegt häufig an den coronabedingten Gewerbesteuerausfällen – insbesondere in industriell geprägten Regionen.

Verlierer im Dynamik-Ranking

Im aktuellen Dynamik-Ranking zählen die Automobil-Industriedstandorte Dingolfing, Ingolstadt und Wolfsburg zu den Verlierern. In 146 der 400 Stadt- und Landkreise ist die gemeindliche Steuerkraft 2020 geringer als vor der Pandemie. Den größten Rückgang verzeichnet der Landkreis Dingolfing-Landau. In den Pandemiejahren sank die gemeindliche Steuerkraft um mehr als 40 Prozent oder 648 Euro. 95 der 146 Regionen (oder 65 Prozent), die eine Verringerung ihrer gemeindlichen Steuerkraft erlebt haben, sind überdurchschnittlich industriell geprägt. Zu den Hauptursachen zählen die Pandemie und der zunehmende Materialmangel.

Landkreis München am erfolgreichsten

Warum hat dann der Landkreis München insgesamt erneut sehr gut abgeschnitten? Die lokale Wirtschaft hat dort laut der Experten exzellente Bedingungen. Das habe eine hohe Kaufkraft und eine geringe Arbeitslosigkeit zur Folge. Interessant auch für andere Kommunen: Die Region profitiert vor allem von geringen Gewerbesteuerhebesätzen, dazu kommt eine hohen Steuerkraft und ein positives Gewerbesaldo. Begünstigend wirke sich die räumliche Nähe zu Universitäten aus, im Landkreis werden viele wissensintensive Dienstleistungen angeboten. Viele Beschäftigten sind hochqualifiziert. Frauen sind hier überdurchschnittlich häufig beschäftigt.

Die Sieger des Dynamik-Rankings:

1. Kiel

2. Landkreis Tirschenreuth

3. Speyer

4. Erlangen

5. Leverkusen

6. Wiesbaden

7. Wuppertal

8. Offenbach am Main

9. Landkreis Dithmarschen

10. Dortmund

Wuppertal
Wuppertal gehört zu den Top-Ten im Dynamik-Ranking.

Die zehn schwächsten Regionen im Dynamikranking

1. Landkreis Dingolfing-Landau Ilm-Kreis

2. Wolfsburg

3. Burgenlandkreis

4. Landkreis Sonneberg

5. Landkreis Germersheim

6. Ingolstadt

7. Saale-Orla-Kreis

8. Landkreis Eichstätt

9.Ludwigshafen am Rhein

10. Ilm-Kreis

Voraussetzungen für positive Regionalentwicklung

Das Fazit der Experten: Im gesamten Bundesgebiet sind die Voraussetzungen da, um eine positive Regionalentwicklung zu begünstigen. Und: Regionaler Erfolg ist individuell gestaltbar. Die besonders dynamischen Regionen verteilen sich auf die Flächenländer Schleswig-Holstein, Bayern, Rheinland-Pfalz, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Mit Wuppertal und Dortmund haben sich zwei unterdurchschnittlich erfolgreiche Regionen positiv entwickelt.

Druck auf öffentliche Verwaltung steigt

Im Jahr 2020 sanken die Einnahmen aus der Gewerbesteuer pandemiebedingt bundesweit um 10,1 Milliarden Euro oder um 18,2 Prozent gegenüber dem Vorjahresniveau (Statistisches Bundesamt, 2021). Die Experten sehen durch die Entwicklung einen wachsenden Druck auf die öffentliche Verwaltung. Sie müsse Unterstützungsformate  finden, "um die kurzfristigen Handlungsbedarfe zur Sicherung der wirtschaftlichen Basis und der langfristigen strategischen regionalen Handlungserfordernisse miteinander zu vereinbaren". Noch etwas steht für die Experten außer Frage: Die Verwaltung  müsse ihre eigene Effizienz steigern. Überregionale Synergieeffekte sollten konsequent genutzt werden. Überregionale, vorausschauende Planungsvorhaben in Kombination mit einer konsequenten Kompetenz- und Arbeitsteilung beschleunigten systemische Transformationsprozesse. Sie schaffen gleichzeitig Handlungsspielraum, um flexibel auf sich kurzfristig ändernde Rahmenbedingungen im Sinn von Sofortmaßnahmen zu reagieren, so die Verfasser der Analyse.

Weckruf zum strategischen Handeln

Ein Zurück gibt es nicht mehr: "Die Bewältigung der Pandemie und ihrer regionalwirtschaftlichen Folgen ist ein weiterer Weckruf dafür, dass die Zeiten langfristiger Stabilität in der bislang bekannten Form vorbei sind", so die Experten. Die wirtschaftlich und gesellschaftlich herausfordernden vergangenen zwei Jahre brächten das Thema Resilienz zurück auf die regionale Agenda." Die Störung und Neuordnung von Wertschöpfungsnetzen, geopolitische Instabilitäten und ungelöste Fragen der Energiebeschaffung in Kombination mit steigenden Energiepreisen sind Ausdruck einer immer komplexeren und dynamischeren Welt." Die Tatsache, dass sich an die Corona-Pandemie nahtlos weitere Umbrüche anschließen, erfordere konkrete Vorstellungen von regionaler Resilienz und strategischen Handlung.

Die Analyse mit dem Dynamik-Ranking und dem Erfolgs-Ranking finden Sie hier!