Was tun gegen Leerstand
© Thomas Müller

Kreative Ideen gegen Leerstand

13. September 2019
Gegen Leerstand empfehlen viele Experten den Abriss von Alt- und den Bau von Neubauten. Die Bauexpertin Marta Doehler-Behzadi sieht das anders und meint, dass Leerstand vor allem auch Chance bietet. Gemeinsam mit ihrem Team versucht sie, innovative Ideen gegen Leerstand zu finden. Und das Tolle: Gemeinsam haben sie aus leerstehenden Häusern einzigartige Nutzungskonzepte erstellt - und nicht einfach nur einen Nachmieter gefunden.

KOMMUNAL: Sie fordern mehr Mut für den ländlichen Raum. Aber welche Konzepte braucht es dazu? 

Doehler-Behzadi: Leerstand zerstört nicht nur das Stadtbild, sondern sorgt auch für Unmut. Denn kein Mensch schaut gerne dabei zu, wie Gebäude in der Nachbarschaft verkommen. Es ist ein komplexes und hoch emotionales Thema. Es stehen nicht nur Plattenbauten leer, sondern auch historische Mietshäuser und Bauernhöfe, Gewerbe-, Schul- und Krankenhausbauten. Für Außenstehende haben die alten Gebäude vielleicht keine Bedeutung, aber bei den Menschen in der Region wecken sie Erinnerungen. 

Was tun gegen Leerstand
In KOMMUNAL spricht Marta Doehler-Bezahdi, Archtitektin und Geschäftsführerin der IBA Thüringen über Leerstand

Also sprechen nur rein emotionale für eine Sanierung?  

Nein, es sind komplexe städtebauliche Gründe, aber auch aus ökologischen Gründen lohnt sich eine Umnutzung und Sanierung häufiger als man denkt. Die Nutzung der innerstädtischen Standorte ist sinnvoller als ein Neubau auf der grünen Wiese. Außerdem ist in den alten Häusern Material verbaut, das man wiederverwenden sollte. 

Nun sind viele leerstehende Gebäude aber nicht in der Hand der Kommunen, gehören Privaten, die oft auch keine enormen Summen mehr investieren möchten. 

Ja, es sind sehr unterschiedliche Eigentümer. Dazu kommt, dass viele Gebäude unter Denkmalschutz stehen und eine Sanierung somit anspruchsvoller machen. Wahrscheinlich kann man angesichts zurückgehender Einwohnerzahlen und veränderter Nutzungskonzepte nicht alles erhalten. Aber gerade deshalb sollte nicht jede Stadt den Leerstand in Eigenregie bekämpfen. Stattdessen sollten Kommunen untereinander, aber auch mit dem Land, den Menschen aus der Region und zivilen Initiativen zusammenarbeiten.   

Außergewöhnliche Konzepte gegen Leerstand

Gemeinsam mit Ihrem Team haben Sie leerstehende Kirchen umgenutzt. Was ist daraus entstanden?  

In Thüringen haben wir circa 2000 Kirchen. Doch aufgrund des demografischen Wandels und der sinkenden Mitgliederzahlen steht ein Teil davon leer, andere sind nicht intensiv genutzt. So wurde beispielsweise in der Michaeliskirche in Neustadt am Rennsteig eine Herberge eingerichtet, in der Besucher schlafen können. Und das Konzept kommt sehr gut an! Viele Menschen kommen allein wegen dieses ungewöhnlichen Übernachtungsangebots hierher, sodass wir mit dem Umbau nicht nur der Kirche eine neue Funktion geben, sondern auch den Tourismus ankurbeln konnten. Das Projekt ist so erfolgreich, dass sogar mehrere Nachbarorte das Projekt nachahmen wollen. Eines unserer weiteren Projekte ist der Apoldaer Eiermannbau von dem bekannten Architekten Egon Eiermann.  

Die IBA Thüringen erklärt, was Kommunen gegen Leerstand tun können
Einmal in der Kirche schlafen - das Konzept kommt wahnsinnig gut an!

Dort sind Gewächshäuser in Häusern entstanden, richtig? 

Ja, genau. In den weitläufigen Hallen des ehemaligen Industriebaus wurden früher Feuerlöscher hergestellt. Der Verfall des Fabrikbaus, der seit 1994 leer stand und 2001 unter Denkmalschutz gestellt wurde, konnte aufgehalten werden. Der Eiermannbau in Apolda ist seit 2014 ein Modellstandort der IBA Thüringen. 2018 sind wir dort als Nutzer eingezogen. Allerdings stellt einen das hochkarätige Denkmal vor vielfältige Probleme, zum Beispiel in der energetischen Erneuerung. Würde man den Eiermannbau unter heutigen Anforderungen sanieren, hätte das sehr große Investitionen nach sich gezogen, zum Beispiel für eine Klimafassade. Die Mieten wären so teuer geworden, dass sich das niemand in Apolda hätte leisten können. Also haben wir mit einem Haus-im-Haus-Konzept in das Hauptgebäude mehrere kleine Gewächshäuser gebaut, die wir heute als Büroräume nutzen. Somit muss im Winter nicht das komplette Gebäude beheizt werden, sondern lediglich die kleinen verglasten Einheiten. Diese Lösung bieten wir auch anderen Interessenten als Open Source an.  

Ideen gegen Leerstand
Mit der Haus-im-Haus-Lösung entstehen nicht nur Co-Working ähnliche Räume - nein, es lassen sich auch Heizkosten sparen

Ihr Tipp: Wie können andere Kommunen, vielleicht auch mit weniger Budget, kreative Ideen gegen Leerstand finden? 

Es gibt bei der Reduzierung von Leerstand nicht die eine Lösung. Aber wir versuchen immer wieder, uns auf neue, experimentelle Herangehensweisen einzulassen und so einzigartige Lösungen zu schaffen, wie beispielsweise mit den Kirchen. Häufig können Leerstände zu neuen Chancen werden. Etwa zu Touristenattraktionen, zu neuen Lern- und Begegnungsorten oder lebendigen Stadtquartieren. Immer wieder erleben wir, dass unsere neuen Vorgehensweisen das öffentliche Leben in einer Kommune bereichern.