Zukunftsforscher Daniel Dettling
Zukunftsforscher Daniel Dettling beim Besuch in der KOMMUNAL- Redaktion.
© Gudrun Mallwitz

Interview

So gestalten Kommunen eine bessere Zukunft

Spannende Einblicke in die Welt von morgen: Daniel Dettling, Leiter des Instituts für Zukunftspolitik in Berlin und Vordenker, gibt sie beim KOMMUNAL-Redaktionsbesuch. Was können Kommunen tun, um eine bessere Zukunft zu schaffen? Ein Interview über Stadt und Land, Klimakrise, mehr Mobilität und neue Lebensformen.

KOMMUNAL: Herr Dr. Dettling, Sie stellen in Ihrem neuen Buch fest, dass die meisten Menschen nichts Gutes von der Zukunft erwarten und dem „Immerschlimmerismus“ unterliegen. Ihre These: Wir brauchen einen neuen Zukunftsoptimismus. Woher können wir den von Ihnen geforderten Optimismus nehmen?

Daniel Dettling: Individuell sind wir mit uns weitgehend zufrieden und sind optimistisch, wie Umfragen belegen. Wenn es um die eigenen Arbeitsplätze geht, um die eigenen Kinder, um die eigenen Zukunftschancen, sehen die meisten Bürgerinnen und Bürger die eigene Welt eher positiv. Völlig anders sieht es aus, wenn es um kollektive Erwartungen geht. Die Herausforderung ist es, aus dem individuellen Optimismus einen gemeinsamen Optimismus zu machen, der zu einer besseren Zukunft führt.



Was können Politiker konkret tun, um eine bessere Zukunft zu ermöglichen?

Ein großes Thema für eine bessere Zukunft wird Mobilität sein:  Wie organisiere ich die Bewegung von A nach B in den Städten, aber auch im ländlichen Raum. Wie können wir umweltfreundlicher, klimaneutral und trotzdem verbundener leben? Wir müssen leichter zwischen den Verkehrsträgern wechseln können, so dass nicht mehr das Auto im Fokus steht. Dazu braucht es einen schnellen, zuverlässigen und bequemen Öffentlichen Nahverkehr mit einer anderen Taktung als bislang. Ich habe in den Herbstferien das Experiment unternommen, mit der Familie mit dem ÖPNV von Berlin ins Ahrtal zu fahren. Das geht bis zu Großstädten sehr gut, dann steigen Sie um, erleben drei bis vier Verkehrsverbünde mit unterschiedlichen Tarifen, jedes Mal müssen Sie ein anderes Ticket ziehen und auf den letzten 5,6 Kilometern, da wird es dann wirklich bitter. Wenn Sie Pech haben, warten sie eine Stunde auf den Bus oder es kommt gar kein Bus und Sie müssen ein Taxi rufen.



Wir haben viele Verbindungen deshalb nicht mehr, weil es nicht rentabel ist, Busse mit nur drei Personen durch die Gegend zu fahren.

Ja, ein Teufelskreislauf. Die Bürgermeister sagen, die Linie wird ja nicht nachgefragt. Und weil sie nicht nachgefragt wird, verringern wir die Taktung. Dann sagen die Bürger: Es fährt ja kaum noch was. Ich kauf mir ein Auto. Manchmal haben sie dann drei Autos vor der Tür. Die Bürger nehmen den ÖPNV in Anspruch, wenn er bequem ist, wenn es kostengünstig ist und wenn er schnell ist. Es entlastet auch die Städte, wenn wir im ländlichen Raum leichter unterwegs sind. Wir können dort dann leichter leben und wohnen.



Wer aber soll eine perfekte Anbindung finanzieren?

Das ist auch eine Frage der Umverteilung. In Österreich gibt es jetzt ein Klimaticket für Bus und Bahn für 1.095 Euro im Jahr, die Einwohner in den großen Städten mit einem gut ausgebauten ÖPNV zahlen mehr als im ländlichen Raum und finanzieren damit den Verkehr auf dem Land mit. Wir brauchen ebenfalls ein Mobilitätsticket, ein DeutschlandTicket mit allen Verkehrsträgern.

Um welches Thema muss Kommunalpolitik sich noch kümmern?

Ein weiteres große Alltagsthema ist der demografische Wandel. Wir wissen aus Umfragen, dass über 90 Prozent möglichst bis zum Tod in den eigenen vier Wänden leben wollen. Das wäre möglich. Es gilt, altersgerechte Strukturen zu schaffen und eine neue Solidarität zu organisieren.  Nötig ist eine altersgerechte Infrastruktur mit Barrierefreiheit. Wenn Sie sich eine Stadt wie Berlin oder Frankfurt anschauen, gibt es dort kaum Parkbänke, da gibt es kaum öffentliche Toiletten, da gibt es kaum öffentliche Wasserbrunnen. All das gehört aber zu einer alters- und menschengerechten Kommune.



Eine weitere Wette von Ihnen lautet: Die Klimakatastrophe wird nicht stattfinden. Wie können wir sie aufhalten?

Auch hier hängt es an den Kommunen, wie der Klimawandel ganz konkret lokal aussehen soll. Braucht es Notstandsverordnungen, wie wir sie in der Corona-Zeit erlebt haben? Eine Daueraufgabe wie den Klimawandel über 20, 30 Jahre über Notverordnung zu regeln, kann sich niemand vorstellen. Es braucht stattdessen die Akzeptanz, das Mitwirken der Bürgerinnen und Bürger. Die Klimakatastrophe wird nicht stattfinden, wenn wir alle mitmachen. Dazu müssen wir aber auch konkrete Vorteile haben und alle sollen sich beteiligen können.  Es braucht Anreize und ein neues Miteinander von Bund, Ländern und Kommunen. Eine Art Klimavertrag, mit einer radikalen Dezentralisierung. Die Bewältigung der Klimawende muss zur kommunalen Pflichtaufgabe werden, verbunden mit einer entsprechenden Finanzierung.

Sonne blauer Himmel



Was ist mit dem Wohnen, einem der drängendsten Probleme?

Wir müssen mehr Eigentum ermöglichen, in den Städten wie im ländlichen Raum. Dazu brauchen wir flexible Modelle, um Eigentum zu erwerben, auch Eigenkapital zu fördern – etwa über Mietkauf oder günstige Kredite. Der Staat muss mehr ins Risiko gehen und darf keine großen Hürden aufbauen. Die Genossenschaft ist die interessanteste Rechtsform der Zukunft, nicht die Stiftung, nicht der Verein, nicht die GmbH. Wenn es um große gesellschaftliche Fragen geht wie Wohnen, Altern, Mobilität, Klima, ist die Genossenschaft eine spannende Rechtsform der Zukunft, auch für die Kommunen.



Die Menschen werden mehr Zeit am Wohnort verbringen, statt zu pendeln, sagen Sie als Zukunftsforscher voraus. Auch nach Corona?

Wir haben aktuell wieder einen Rekord an Pendlern, das wird sich in nächsten drei bis fünf Jahren aber verschieben. Die Leute sagen: Die Pendelei ist zu anstrengend, es ist auch zu teuer geworden. Auch die Arbeitgeber stellen sich um. Der Bürger wird viel mehr Zeit in seiner Stadt oder in seinem Dorf verbringen. Wir stehen nach Corona vor einer zweiten Gründungszeit, was die Infrastrukturen und die Architektur angeht. Kommunen, die sich frühzeitig aufstellen und sagen, wir wollen den öffentlichen Raum in den Innenstädten neu verteilen, neu besetzen, gemeinsam mit Bürgern und Unternehmen, werden die Nase vorne haben.



Eine Ihrer Thesen lautet, bis 2050 wird nicht die große Rolle spielen, wo die Menschen wohnen.

Ja, weil die Räume verschmelzen. Die Städte werden dörflicher und ländlicher und Dörfer und ländliche Regionen werden urban und global.

Wie wesentlich ist da die Digitalisierung?

Sie ist das A und O, das Wasser der Zukunft. In 20 Jahren spricht keiner mehr von Digitalisierung, weil es selbstverständlich ist.  Digitalisierung bedeutet im Kern Dezentralisierung, so dass sie von überall produzieren, bestellen, wertschöpfend tätig sein können. Viele Weltmarktführer sind jetzt schon im ländlichen Raum zu finden. Die Regionen, die schneller reagieren, die umfassender und offensiver reagieren, nennen wir progressive Provinz. Sie werden zu den Gewinnern gehören. Die lokale Empathie und Verbundenheit ist der Standortfaktor der Zukunft.



Wie kann der digitale Wandel schneller gelingen?

Warum fördern Kommunen nicht einen digitalen Freiwilligendienst? Jüngere gehen als freiwillige Scouts in Kommunen und Unternehmen. Sie bekommen dafür eine Prämie, etwa ein Klima- und Mobilitätsticket in der Gemeinde. Davon haben alle etwas.



Wetten Sie auch, bis wann die Verwaltung in Deutschland komplett digitalisiert ist?

Bis 2030 geht jeder dritte Bedienstete im öffentlichen Dienst in Rente. Ich wette: Bis dahin ist die öffentliche Verwaltung digitalisiert.



Sie sagen in Ihrem Buch voraus, dass die Demokratie gewinnt. Die Wirklichkeit sieht momentan aber recht traurig aus. Jeder dritte Kommunalpolitiker gab bei der jüngsten KOMMUNAL-Umfrage an,dass er beschimpft, bedroht oder körperlich sogar angegriffen wurde.

Das ist ein Ventil, hoffentlich ein vorübergehendes. Kommunalpolitiker vor Ort sind eine Projektionsfläche aus Sicht vieler Demokratiefrustrierter. Sie werden in Haftung genommen für die große Politik in Brüssel und Berlin. Im Kern ist das Ausdruck einer Teilgruppe, die von der Politik nichts mehr erwartet und sich ohnmächtig fühlt.  Dagegen hilft, die Menschen zu beteiligen, sie völlig unvoreingenommen zu fragen: Wie wollt ihr leben? Wie sind eure Erwartungen?  Die beste Waffe der Demokratie ist der Dialog, das Gespräch und der zivile Umgang mit Konflikten.



Mit welchem Optimismus können wir hoffentllich bald aus der Corona-Krise gehen?

Positiv hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Welt ein Dorf geworden ist. Das hat mit der Flüchtlingskrise begonnen. Corona hat noch viel deutlicher gezeigt, wie wichtig es ist, global und lokal zu reagieren. Die Corona-Krise wirkt wie ein Booster und zeigt uns, worauf es wirklich ankommt: Auf eine zuverlässige Infrastruktur, starke Kommunen, pragmatische Bürgermeisterinnen und Bürgermeister und aktive Bürgerinnen und Bürger. Die Kommunen gehören zu den Gewinnern der Corona-Pandemie. Das Vertrauen in die Kommunalpolitik ist heute sehr viel größer als noch vor der Corona-Krise.  

Buchtitel Daniel Dettling: Eine bessere Zukunft ist möglich

Das Buch von Daniel Dettling „Eine bessere Zukunft ist möglich – Ideen für die Welt von morgen“, ist im Kösel Verlag erschienen.  ISBN: 978-3-466-37275-1

 

Fotocredits: FOTO / Gudrun Mallwitz