Jugendliche vor Stadtplan
Was ist in und was ist out in unserer Stadt und was könnte verbessert werden? Das diskutieren die Jugendlichen beim Projekt "Sag wAS" im Landkreis Amberg-Sulzbach
© Landkreis Amberg-Sulzbach

Vorzeige-Beispiel

So geht Jugendbeteiligung auf Augenhöhe!

In Sachen Jugendarbeit geht der Landkreis Amberg-Sulzbach neue Wege. Und das sehr erfolgreich. Nicht selten treffen sich in Dörfern regelmässig 100 Jugendliche - sie sprechen darüber, was ihnen im Ort gefällt, wo sie sich gerne aufhalten und was fehlt oder stört. Bürgermeister und Stadträte sind mitten drin, hören aber zu, statt zu reden. Und schenken Getränke aus - wir zeigen ein Vorzeige-Beispiel in Sachen Jugendbeteiligung.

„Leute, das hier ist eure Chance!“ – so begrüßt Anita Kinscher regelmäßig die Jugendlichen, die bei den Treffen unter dem Motto „Sag wAS“ zusammenkommen. Bei dem besonderen Format der Jugendbeteiligung laden die Kommunen die Teilnehmer bewusst dazu ein, ihre Heimat aktiv mitzugestalten und ihre Ideen und Wünsche einzubringen.

„Sag wAS“ soll Jugendliche zu Mitwirkung motivieren

„Unser Ziel ist es, möglichst gute Strukturen für die Jugendarbeit zu schaffen und die Jugendlichen aktiv einzubinden in die Politik“, sagt Anita Kinscher. Sie betreut als Mitarbeiterin der Kommunalen Jugendarbeit im Landkreis Amberg-Sulzbach das Projekt „Sag wAS“. Bislang gab es im Landkreis Amberg-Sulzbach kaum spezielle Angebote für Jugendliche, wie Kinscher berichtet. Zwar gebe es ein starkes Vereinsleben, bei dem auch viele Kinder und Jugendliche mit dabei sein. Allerdings mangelt es laut Kinscher an Orten, an denen sich Jugendliche unabhängig treffen können, zudem sei kulturell kaum etwas geboten für die junge Zielgruppe. „Darüber hinaus fehlt es massiv an Personal, um die Jugendlichen und ihre Bedürfnisse intensiver wahrzunehmen“, so Kinscher. Nur eine kommunale Jugendpflegerin sei auf Kreisebene mit 37 Arbeitsstunden pro Woche für 27 Gemeinden zuständig.

Wenig Angebot für Jugendliche in Region

Dass die Kommunen bislang wenig eigene Programme für Jugendliche entwickelt haben, kann Kinscher angesichts des mangelnden Personals und der fehlenden Zeit verstehen. Schließlich sei es eine „Mammutaufgabe, die Bedürfnisse der Jugendlichen erst einmal zu kennen und dann auch zu erfüllen“ und gerade für kleinere Kommunen ohne Unterstützung von außen kaum zu stemmen.

So niedrigschwellig wie möglich

„Wie und wo können wir die Jugendlichen am besten abholen?“ und „Wie schaffen wir ein Format, an dem die Jugendlichen gerne teilnehmen und bei dem sie wichtigen Input liefern für uns?“ – das waren laut Kinscher die Fragen, die am Beginn der Entwicklung des Projekts „Sag wAS“ standen. So sei es den kommunalen Vertretern ein großes Anliegen gewesen, die jungen Bürger in der jeweiligen Gemeinde so niedrigschwellig wie möglich zu erreichen und möglichst viele anzusprechen und einzubinden.

Saal
Für einen Abend kommen die Jugendlichen des Orts zusammen und reden mit.

Rundum-Versorgung an einem Abend

Letztlich entstand die Idee zum Projekt „Sag wAS“ bei der „Kulmbacher Zukunftswerkstatt“, an der Kinscher mit ihren Kollegen teilgenommen hat. Der Grundgedanke der Aktion ist schnell umrissen: An einem Abend kommen die Jugendlichen eines Ortes zusammen und beschäftigen sich in schöner Atmosphäre mit ihrer Heimat. Das heißt konkret: „Es gibt gratis etwas zu essen und zu trinken, am Ende findet eine Verlosung statt und die Jugendlichen können einen Abend lang Spaß haben und werden von den Gemeindemitarbeitern gut versorgt“, so Kinscher. Im Gemeindezentrum oder der örtlichen Turnhalle werden dann Papphocker verteilt, oft gibt es Pizza, die Getränke werden vom Bürgermeister und Stadtrat persönlich ausgeschenkt. In diesem Rahmen besuchen die Jugendlichen verschiedene Stationen, bei denen sie unter ganz unterschiedlichen Schwerpunkten über ihre Kommune diskutieren und ihre Ideen einbringen können.

Umfangreiche Vorarbeit

Zur Durchführung und Vorbereitung des Termins werden die jeweiligen Kommunen mit Material versorgt. In Folge werden an alle Jugendlichen im Ort von 12 bis 18 Jahren per Post Einladungen ausgesandt. Eine Woche vor dem Termin folgt dann nochmal eine Erinnerung mit Bitte um Anmeldung, wobei man auch unangemeldet teilnehmen kann an dem Abend. „Die umfangreiche Postaussendung ist ein großer administrativer Aufwand, der sich aber 100-prozentig lohnt“, sagt Kinscher und die Rückmeldungen und Teilnahmezahlen seien ausgesprochen hoch. Im Schnitt 50 bis 100 Jugendliche nehmen an den Terminen teil, für kleinere Kommunen eine beachtliche Zahl.

Vom Stadtplan zur Königsecke

Zu Beginn des dreistündigen Abends bekommen die Jugendlichen ein Namensschild und eine Losnummer, wobei sie je nach Altersgruppe eine bestimmte Farbe erhalten. Anschließend teilen sich die jungen Einwohner in drei Gruppen auf, die der Reihe nach zu drei Ecken gehen, die im Saal aufgebaut worden sind. In der ersten Ecke werden laut Kinscher die positiven und negativen Seiten des Ortes abgefragt. „Was ist in und was out in der Stadt? Was soll verbessert werden, was fehlt?“ – das seien die Fragen, die hier im Zentrum stehen und zu denen Anmerkungen der Jugendlichen gesammelt werden.

In der zweiten Ecke ist ein Stadtplan aufgehängt, auf dem die Teilnehmer konkret eintragen können, welche Orte sie schätzen und wo sie sich nicht wohlfühlen. „Häufig geht es hier um ganz banale Dinge, etwa um fehlende Beleuchtung oder überquellende Mülleimer. Das meiste davon ist oft schnell zu ändern“, so Kinscher. Die dritte Ecke ist schließlich die sogenannte „Königinnen-Ecke“. „Wenn du König in deiner Stadt wärst, was würdest du verändern?“, lautet dort die Frage. „Rumspinnen ist hier absolut gewünscht und oft entstehen viele tolle Ideen, wenn die Teilnehmer ihrer Fantasie freien Lauf lassen“, sagt Kinscher. Nachdem alle Jugendlichen in jeder Ecke waren, werden die Ergebnisse noch einmal gewichtet und besonders relevante Dinge hervorgehoben. Anschließend geht der Gemeinderat von Stellwand zu Stellwand und sieht sich die Anmerkungen der Jugendlichen an.

Jugendliche und Politiker: Gespräch auf Augenhöhe

In Anschluss an die Stationen treffen sich Jugendliche und politische Vertreter im Plenum. „Der Bürgermeister steht dann Rede und Antwort zu den verschiedenen Punkten und in der Regel entwickelt sich ein sehr gutes Gespräch auf Augenhöhe, bei dem die jungen Teilnehmer viel lernen über politische Entscheidungsprozesse“, sagt Kinscher. Dabei sei es allerdings wichtig, dass die zentralen Wünsche und Ideen der Jugendlichen möglichst konkret festgehalten und – sofern diese realistisch sind – auch zeitnah in Angriff genommen werden. „Wir geben den Kindern an dem Abend das Versprechen, dass wir dranbleiben“, sagt Kinscher, und dadurch, dass es sich bei der Jugendarbeit um eine kommunale Pflichtaufgabe handeln würde, sei meist auch das nötige Geld vorhanden, um Projekte umzusetzen. Oftmals würden davon letztlich auch Bürger anderer Altersstufen profitieren. „Man vergisst oft: Kinder und Jugendliche sind die Personengruppe, die am häufigsten und meist zu Fuß draußen unterwegs ist und denen vieles auffällt in einem Ort. Wenn hier etwas verbessert wird, bringt das einen Mehrwert für alle“, so Kinscher.

Ideen
Ideen sammeln für eine attraktivere Heimat

Aufwand lohnt sich

Im Herbst 2022 wurde das Format „Sag wAS“ zum ersten Mal durchgeführt, seither haben bereits zahlreiche Kommunen von dem Forum profitiert. „Wir schaffen im Jahr 6 bis 7 solcher Abende“, sagt Kinscher, wobei die Vorarbeit insbesondere für die Verwaltungskräfte im jeweiligen Ort sehr aufwändig sei. Durchgeführt werden die Abende von der Kommunalen Jugendarbeit und dem Kreisjugendring, unterstützt durch Ehrenamtliche aus den jeweiligen Kommunen. Aus Erfahrung von Kinscher sind die einzelnen Veranstaltungen zwar mit einem großen Aufwand verbunden und auch die Vor- und Nachbereitung sehr arbeitsintensiv, die Wirkung aber sei enorm.

Wunsch nach Jugendtreffs, besserem ÖPNV und WLAN

Auch wenn es je nach Kommune ganz spezielle Wünsche und Anliegen der Jugendlichen gibt, sind da bestimmte Themen, die regelmäßig auftauchen. So wünschen sich die Jugendlichen ausnahmslos in allen bereisten Kommunen Jugendtreffpunktmöglichkeiten jeglicher Art und Form, bessere Busverbindungen, WLAN, den Ausbau von Straßen und Wegen inklusive Mülleimern sowie mehr Ausflüge und Aktionen von örtlichen Vereinen.

Etliche Projekte schon umgesetzt

Viele der Projekte, die von den Jugendlichen angestoßen wurden, wurden mittlerweile bereits in der Realität umgesetzt. So gibt es etwa in der Gemeinde Edelsfeld nun ein Jugendveranstaltungsprogramm, zudem wurden dort eine Freizeitanlage mit Skateanlage, Beachvolleyballfeld und Basketballkorb inklusive Grillplatz und Pavillon eröffnet. In Poppenricht hat sich zwischenzeitlich ein Jugendparlament gegründet, das Veranstaltungen plant; außerdem ist die gewünschte Busverbindung eingerichtet worden. In Schnaittenbach gibt es dank „Sag wAS“ einen Mehrgenetationenspielplatz mit Pumptrack und Fitnessgeräten und wurden der Radweg verbessert und das Ferienprogramm an die Wünsche der Jugendlichen angepasst. In Birgland wiederum wurden zwei Jugendsprecher gewählt worden, die als Bindeglied zwischen jungen Menschen und der Kommune agieren werden. Für Kinscher ist das die beste Bestätigung ihrer Arbeit: „Die Jugendlichen sind am Anfang oft ganz verhalten, aber am Ende blühen sie richtig auf und merken schließlich auch in der Realität:  Sie werden gehört“.

Der Erfolg des Projekts in der Übersicht: 

Umgesetzte Projekte aus dem „Sag wAS“-Projekt

  • Gemeinde Edelsfeld

    • Einführung eines Jugendveranstaltungsprogramms
    • Bau einer Freizeitanlage mit Skateanlage, Beachvolleyballfeld, Basketballkorb, Grillplatz und Pavillon
  • Gemeinde Poppenricht

    • Gründung eines Jugendparlaments zur Planung von Veranstaltungen
    • Einrichtung einer gewünschten Busverbindung
  • Stadt Schnaittenbach

    • Bau eines Mehrgenerationenspielplatzes mit Pumptrack und Fitnessgeräten
    • Verbesserung des Radwegs
    • Anpassung des Ferienprogramms an die Wünsche der Jugendlichen
  • Gemeinde Birgland

    • Wahl von zwei Jugendsprechern als Bindeglied zwischen Jugendlichen und der Kommune

Diese Projekte zeigen, wie vielseitig und erfolgreich die Ideen der Jugendlichen in die Praxis umgesetzt wurden.

Fotocredits: Kreis Amberg-Sulzbach