Es hakt überall

Der Geschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes Gerd Landsberg fordert Maßnahmen zur Reduzierung des Flüchtlingszustroms, eine deutliche Erhöhung der Zahl der Erstaufnahmeeinrichtungsplätze, die Einführung des Flughafenverfahrens an den deutschen Außengrenzen und eine Verbesserung der Sicherheitskonzepte.

Frage: Null bis sechs Grad heute früh in Deutschland, Schneeregen - wie lange werden Flüchtlinge in Deutschland noch in unbeheizten Zelten aufwachen?

Antwort: Die Zeit drängt. Wir müssen sicherlich die Bauprogramme, die es ja schon gibt, beschleunigen. Es ist natürlich auch bekannt, dass der Markt zum Beispiel für Container, die man beheizen kann, so gut wie leergefegt ist. Wenn Sie heute einen solchen Container bestellen, bekommen Sie ihn vielleicht in zehn, zwölf Monaten.

Wir versuchen jetzt, auf Holzbauten zu setzen. Wir müssen wahrscheinlich ? in größerem Umfang auf öffentliche Gebäude und Turnhallen zurückgreifen, damit die Flüchtlinge jedenfalls aus den unbeheizten Zelten herauskommen.

Frage: Warum geht das nicht innerhalb von 48 Stunden? Wo hakt es denn?

Antwort: Es hakt eigentlich überall. Es hakt am Geld, es hakt am Personal, es hakt am Markt. Niemand hat damit gerechnet, dass über eine Millionen Flüchtlinge ? in diesem Jahr nach Deutschland kommen. Und der Zustrom nimmt zu... Wenn das so bleibt, sind die Kommunen mit Unterbringung, Versorgung und Integration komplett überfordert. Deswegen brauchen wir Maßnahmen, um den Zustrom - wir werden ihn nicht abstellen können - aber wenigstens etwas zu reduzieren.

Frage: Trotzdem sagen Sie mit Blick auf die tägliche Arbeit in den Kommunen, es hakt überall. Stattdessen schalten dann auch Sie den Fernseher ein und hören, dass über Obergrenzen und Transitzonen gestritten wird. Können Sie das noch nachvollziehen?

Antwort: Das kann ich, ehrlich gesagt, nicht nachvollziehen. Wir stehen vor der größten Herausforderung, ich würde übrigens nicht sagen, seit der Wiedervereinigung, sondern seit dem Zweiten Weltkrieg. Und ich erwarte, dass die Politik hier sich sehr schnell einigt und einen konkreten Maßnahmenkatalog entwickelt?  Es weiß auch jeder, dass es nicht die Knopfdrucklösung gibt, die manche Bürger erwarten: Wir machen jetzt die Grenze dicht und dann kommt keiner mehr?

Aber natürlich müsste längst der Bund an einem Maßnahmenpaket für ein größeres Bauprogramm arbeiten. Er müsste seine Erstaufnahmeeinrichtungsplätze deutlich erhöhen. Er müsste sicherlich auch das Flughafenverfahren an den Außengrenzen der Bundesrepublik einführen. Ich weiß auch, dass das schwierig ist. Aber wenn wir immer nur sagen ?, alles ist schwierig, dann lösen wir nie das Problem.

Und ich sehe, ehrlich gesagt, die Gefahr, dass die Stimmung in der Bevölkerung kippt. Die kippt nämlich dann, wenn die Bürgerinnen und Bürger das Gefühl haben, der Staat hat das eigentlich gar nicht mehr im Griff. Und genau das ist gefährlich.

Frage: ? Pegida hat wieder Aufwind, es werden Galgen gezeigt für Kanzlerin und Vizekanzler. Wie erleben Sie denn ganz konkret die Stimmung?...

Antwort: Das ist regional sehr unterschiedlich. Offenbar ist auch der Problemdruck unterschiedlich. Ganz besonders groß ist er natürlich zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen, aber auch in Bayern. In den anderen Ländern hat man natürlich auch Probleme, selbstverständlich, aber vielleicht nicht in der Schärfe.

Und die Situation mit den rechten Übergriffen ist in der Tat ein gewisser Schwerpunkt im Osten. Und auch da wundere ich mich ein bisschen ? über die Politik. Sie signalisiert dann immer Betroffenheit und Empörung, das ist auch richtig, aber es folgen keine Handlungen. Und genau das brauchen wir.

Da geht es ja nicht nur darum, dass Flüchtlingsheime angegriffen werden, es geht natürlich auch um Aggression, Hass gegen Kommunalpolitiker. Die werden gestalkt? Da muss man einfach auch rechtlich ganz anders vorgehen, als wir das bisher tun.

Frage: ? Nach Ärger über ein Flüchtlingsheim hat ein Bezirksbürgermeister eines Reutlinger Stadtteils seinen Rücktritt erklärt. Als Grund nennt er Anfeindungen gegen sich und seine Frau. Ist das für Sie inzwischen an der Tagesordnung?

Antwort: Das ist eben leider an der Tagesordnung. Nicht überall, aber das gibt es. Ich nenne das das sogenannte Politiker-Stalking. Und genau wie wir das Stalking bei Frauen - völlig zu recht übrigens - unter Strafe gestellt haben, sollten wir auch das tun. Der Staat muss da einfach auch Härte zeigen und er muss es auch durchsetzen.

Die Empörung allein nützt überhaupt nichts. Und das muss eben kombiniert werden mit einer Kommunikationsplattform, wo man das auch deutlich macht: Da machen Leute ? sich strafbar, und wir sind da nicht nur empört, sondern wir finden sie und wir bestrafen sie, und zwar deutlich!

Frage: Ich frage deshalb auch nach der Stimmung in den Kommunen, weil ? der Deutsche Städte- und Gemeindebund sich mit der Deutschen Polizeigewerkschaft gewissermaßen zusammentut, heute Mittag ein gemeinsames Papier vorlegt zum Thema: Sicherheit, Unterbringung und Integration von Flüchtlingen. Wie dramatisch ist denn die Lage im Land?

Antwort: Ich glaube, dass wir die Sicherheitskonzepte verbessern müssen. Wir haben ja gerade gesprochen über die Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte oder auch auf Kommunalpolitiker, die sich für Flüchtlinge einsetzen. Umgekehrt müssen wir natürlich auch sprechen, wie sieht es eigentlich in den Unterbringungen, in den Einrichtungen aus.

Und da würde ich zum Beispiel erwarten, dass es bundeseinheitlich - das sollte nicht jede Gemeinde ? selber frickeln -, bundeseinheitlich eine Information für jeden gibt, der registriert wird, was sind die Spielregeln, die hier gelten. Und das kann ? nicht das Grundgesetz sein. Das Grundgesetz hat einen so hohen Abstraktionsgrad, dass mancher Jurist sich schon schwertut.

Aber natürlich müssen da einfache Dinge drin stehen wie die Gleichberechtigung von Mann und Frau, dass man eine andere Religion selbstverständlich toleriert, dass es auch Polizistinnen, dass es auch Ärztinnen gibt und dass die genauso wichtig und deren Anweisungen zu befolgen sind. Und es muss auch klar drinstehen: Wenn du dich daran nicht hältst, dann hat das Sanktionen zur Folge. Und darüber werden wir sicherlich sprechen.

Das hat natürlich alles auch etwas mit Personal zu tun. Uns fehlen überall Kräfte, der Polizei, auch den Kommunen. Ich will zwei Zahlen nennen: Wir gehen davon aus, dass in den nächsten zwölf Monaten 300.000 zusätzliche Schüler zu unterrichten sind und 100.000 Kinder in den Kitas. Das sind etwa 24.000 Lehrer und 14.000 Erzieher und Erzieherinnen.

Da muss die Politik eine Antwort darauf haben. Wo kommen die her? Wie werden die finanziert? Insofern erwarte ich, dass die Bundesregierung da etwas auf den Weg bringt.

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