Digitale Technologie
Digitale Technologie kann unsere Kommunen voranbringen.
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Digitale Technologie - Gefahr für die Demokratie?

Viele sehen die Gefahr einer durchtechnologisierten Stadt, die am Ende ihre Bürger überwacht und steuert. Während die Demokratie international in der Krise steckt, gewinnt sie im Lokalen an Vitalität, meint Daniel Dettling in seiner neuesten Kolumne für KOMMUNAL. Der Zukunftsforscher sagt, welche Chancen und welche Gefahren Digiale Technologien für die Demokratie bedeuten.

Digitale Technologien  können Demokratien erneuern oder ihr Ende beschleunigen. Dabei kommt es stark auf die Politik in den Kommunen an, sagt KOMMUNAL-Gastautor Daniel Dettling.

„Die Zukunft  der Demokratie ist glokal“ habe ich in dieser Zeitschrift  als These formuliert. Die glokalen Städte und Bürgermeister formen die soziale Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts. Ihre Themen sind die großen Fragen unserer Zeit: Klimaschutz, Integration und Zusammenhalt, Kampf gegen Populismus, Demokratie, Gesundheit, Bildung und Mobilität. „Wir brauchen radikale Ansätze, die sich aus Demokratie, Gerechtigkeit, Wertewandel und Nachhaltigkeit speisen“, schreibt der Bürgermeister des sächsischen Augustusburg, Dirk Neubauer, in seinem lesenswerten Buch „Das Problem sind wir“.

Deshalb kommt es auf die Kommunen an

Kommunen sind motivierter, globale Probleme zu lösen, weil sie schneller ihr Opfer werden können. Der Klimawandel ist ein Beispiel: 80 Prozent der CO2-Emissionen kommen aus den Städten. 90 Prozent der Städte weltweit liegen am Meer, einem See oder Fluss. Während die Klimapolitik auf nationaler Ebene meist ein Thema unter vielen ist, spielt sie sich in den Städten vor der eigenen Haustür ab.

Adrian Lobo: Politik als Bestell- und Lieferservice?



Ein zweites, ebenso zukunftsentscheidendes Thema ist die Zukunft der Demokratie. Genauer: die Zukunft der liberalen Demokratie in der Ära der Digitalisierung. Viele sehen die Gefahr einer durchtechnologisierten Stadt, die am Ende ihre Bürger überwacht und steuert. Schafft die Smart City die Demokratie ab, wie jüngst der Politikwissenschaftler Adrian Lobe in der Neuen Zürcher Zeitung behauptet hat? Städte, so Lobos düstere Prognose, würden in Zukunft nicht regiert, sondern gemanagt. Die Dystopie einer „Privatisierung und Technisierung von Herrschaft“. Politik ohne Politik? In Lobes düsterem Szenario streiten sich die Bürger nicht mehr über Radwege und Fahrverbote, sondern betrachten Politik als Bestell- und Lieferservice.  Lobe beschreibt eine Entwicklung, die bereits vor der Digitalisierung begann. Das Modell der „Politics of Delivery“ ist nicht neu, sondern das seit Jahrzehnten dominierende Verständnis in den westlichen Demokratien.

Bürger bestellen und die Politik liefert?

Diesem real existierenden Modell von Demokratie liegt ein paternalistischer Gesellschaftsvertrag zwischen Regierenden und Regierten zugrunde: „Die Bürger bestellen und die Politik liefert.“ Politiker werden für ihre materiellen Versprechungen vor der Wahl gewählt (Arbeitsplätze, Steuersenkung, Rentenerhöhung, neue Straßen und mehr Polizei) und liefern nach der Wahl. Der Idealtyp dieses Demokratiemodells ist der Kurzzeitpolitiker, der auf Sicht regiert, auf Meinungsforscher hört und eine Politik der kleinen Schritte verfolgt. Seine Wähler lässt er (oder sie) über die Richtung lieber im Unklaren, weil er keine Vision von der Zukunft hat.

Digitale Technologien als Chance oder Gefahr

Über Werte, eine gemeinsame Vorstellung von der Zukunft und die Frage, wer welchen Beitrag für ein gelingendes Zusammenleben leistet, wird in diesem Modell nicht gesprochen geschweige denn gestritten. Der Mangel an Zukunft und Vertrauen war der eigentliche Grund für die Abkehr der Bürger in etlichen liberalen Demokratien vor Corona. Corona kann eine demokratische Wende einläuten oder ihr Ende beschleunigen. Digitale Technologien können dabei helfen, in beide Richtungen. Sie können den autoritären Überwachungsstaat perfektionieren oder die repräsentative Demokratie ergänzen, erweitern und erneuern. Die demokratische Idee der Digitalisierung ist die Vernetzung von Menschen mit Menschen und ihren Bedürfnissen und nicht die Vernetzung oder gar Verschmelzung von Menschen und Maschinen.

Wie digitale Demokratie und smart city funktionieren können, zeigt vorbildhaft die Bürgermeisterin von Barcelona.

Barcelona
Barcelona gilt als Vorreiter für eine neue Stadtpolitik.

Auf Bürgerbeteiligung, Digitalisierung und lokale Wirtschaft setzt Ada Colau, die im Juni 2019 wiedergewählt wurde. 40.000 Bürger haben sich an der Erstellung des Regierungsprogramms beteiligt. Dreiviertel des Programms stammt von den Bürgerinnen und Bürgern. Die Stadt zeigt, wie Technologie und Demokratie harmonieren können: High Tech plus High Touch.

Barcelona: Ganze Stadtbezirke für den Autoverkehr gesperrt

Barcelona setzt auf Infrastruktur und lokale TechUnternehmen. Die Daten gehören den Stadtbewohnern und sollen ausschließlich für soziale Zwecke genutzt werden. Entstanden sind in den letzten Jahren autofreie Stadtgebiete, neue Buslinien und ein städtisches Unternehmen für Solarenergie. 20.000 Häuser und alle öffentlichen Gebäude bekommen von dort ihre Energie. Im Tech-Bereich fördert Barcelona kleine und mittlere Unternehmen, um neue digitale Dienstleistungen und Lösungen zu entwickeln. Ganze Stadtbezirke sind heute für den Autoverkehr fast gesperrt. Maximal 10 km/h darf dort gefahren werden, parken ist nicht erlaubt. Feste, Märkte und Veranstaltungen haben mehr Platz, die ökonomische Aktivität ist in den Bezirken gestiegen, Luftverschmutzung und Lärm sind dagegen gesunken.

Fearless Cities - gegen Hass und für Menschenrechte

Während die Demokratie auf nationaler und supranationaler Ebene in der Krise steckt, gewinnt sie auf kommunaler und städtischer Ebene eine neue Vitalität. So gründeten Bürgermeister und Stadträte aus Spanien, Griechenland, Chile, Indien, Brasilien und den USA, das Bündnis „Fearless Cities“,um „in Zeiten von Hass und autoritärer Regime für Menschenrechte, Demokratie und Gemeinwohl einzutreten“. Auf globaler Ebene gibt es das Bündnis der Bürgermeister großer Städte. Zu den Kernwerten gehören lokales Selbstregieren, Zusammenarbeit und offener Dialog. Ein Städtebündnis auf nationaler Ebene würde auch Deutschland gut zu Gesicht stehen. Wie Corona ist auch Populismus pandemisch und breitet sich schnell über soziale Medien aus. Gegen das Virus des Hasses und der Verschwö

rung gibt es jedoch keinen medizinischen Impfstoff. Um diesen Virus zu bekämpfen, braucht es einen demokratischen „Ko-Immunismus“ (Peter Sloterdijk).

In den Kommunen wird die Zukunft entschieden, das Regionale und das Globale verschmilzt zum Glokalen.

Zukunftsforscher Daniel Dettling

Die neue „glokale Demokratie“ hat ihre Wurzeln in der alten antiken Demokratie und setzt wie diese auf Beteiligung und Demokratie von unten. Corona führt zu einer Neuvermessung der politischen Landschaft. Es kommt wieder auf Ideen und Innovationen an und auf die richtige Koalition von beiden. Statt auf eine „politics of delivery“ setzt Zukunftspolitik auf eine „politics of commitment“, eine Selbstverpflichtung von Politik und Bürgergesellschaft. Zukunftspolitik legitimiert sich nicht durch Maßnahmen und technokratische Reformen, sondern durch Werte und Visionen einer besseren Zukunft. Zukunftspolitik ist eine Einladung an alle Bürgerinnen und Bürger.

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