Wahlanfechtung: Fechter (Symbolbild)
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Superwahljahr 2024

Wenn das Wahlergebnis angefochten wird

Im Superwahljahr 2024 sind sogar Musterschreiben im Gespräch, um die Rechtmäßigkeit von Wahlen in Zweifel zu ziehen. Wie der Stadtrat von Calbe an der Saale erfolgreich auf eine Wahlanfechtung reagierte – und welche Folgen die juristische Auseinandersetzung dennoch für den Bürgermeister hatte.

Wiedergewählt! Sven Hause hat es geschafft. Knapp 70 Prozent holt er bei der Bürgermeisterwahl, die drei Gegenkandidaten hat er bei der Abstimmung weit hinter sich gelassen. Auf sie entfallen jeweils rund 12, 11 und 8 Prozent der Stimmen. „Für mich ist das ein schönes Ergebnis“, sagt Hause in einer ersten Reaktion. „Es zeigt, dass die meisten Bürger doch zufrieden mit meiner bisherigen Arbeit waren.“ Sieben Jahre – eine Amtsperiode – hat er zu diesem Zeitpunkt hinter sich. Nun will er weitere sieben Jahre die Herausforderungen in seiner Heimatstadt Calbe an der Saale anpacken. Die sachsen-anhaltinische 8.400-Einwohner-Stadt kämpft seit der deutschen Wiedervereinigung gegen den Bevölkerungsschwund und für mehr Arbeitsplätze. Sven Hause ist froh, dass der anstrengende Wahlkampf vorbei ist – und auch ein wenig stolz auf seinen Erfolg.

Wahlanfechtung mit Konsequenzen

Der frisch gewählte Bürgermeister freut sich zu früh. An einem 6. Juni war die Wahl. Die Einspruchsfrist war noch nicht abgelaufen, da traf das Schreiben, datiert vom 15. Juni, im Rathaus ein. Einer der drei Mitbewerber um das Amt des Bürgermeisters hatte sich dazu entschieden, die Wahl anzufechten. Genauer gesagt: Er klagte gegen den Stadtrat, der die Wahl für gültig erklärt hat. „Ich blieb zuerst mal ganz entspannt“, erinnert sich Sven Hause im Gespräch mit KOMMUNAL. „Denn unserer Meinung nach war es zu keinen Fehlern gekommen.“ Doch dann führte die Wahlanfechtung zu Konsequenzen, mit denen er nicht gerechnet hatte.  Auch wenn sie am Ende als erfolglos für den Kläger endete.

„Zunehmend werden in Deutschland Wahlen wegen vermeintlicher Wahlfehler angegriffen“, stellt Rechtsanwalt Dominik Lück von der Kanzlei Dombert fest. Auch in diesem Jahr sei damit zu rechnen.  Er verweist dabei auf angebliche Erwägungen, vor den kommenden Wahlen ein Musterschreiben zu entwickeln, um die Rechtmäßigkeit von Wahlen in Zweifel zu ziehen. Kandidaten und Kommunen sollten mit verstärkten Wahlanfechtungen zumindest rechnen, so Lück.

Dominik Lück Anwalt bei Dombert Rechtsanwälte

Wahlbetrugs-Vorwürfe könnten gezielt

erhoben werden.“

Dominik Lück, Anwalt

„Die Verfahren sind meist ohne Aussicht auf Erfolg“, beruhigt der Anwalt. Dennoch führe eine Wahlanfechtung oft dazu, „dass etwas hängen“ bleibt – und die Legitimation künftiger Wahlen womöglich bereits vorher von bestimmten politischen Kräften infrage gestellt werde.  Neben der Europawahl finden im Juni im Superwahljahr 2024 in acht Bundesländern Kommunalwahlen statt, in Thüringen bereits im Mai. Im September sind die Bürger und Bürgerinnen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg dazu aufgerufen, den Landtag neu zu wählen. Der Jurist fasst die Schwierigkeiten zusammen: „Wenn eine Wahl angefochten wird, berichtet natürlich auch die Presse darüber und selbst wenn die Vorwürfe sich als haltlos herausstellen, bleibt bei vielen Bürgern meist etwas hängen.“ Außerdem ziehen sich solche Verfahren häufig in die Länge.“ Und je mehr Wahlen angefochten werden, desto mehr Misstrauen in den Staat und in die Demokratie würden gesät, gibt der Anwalt zu bedenken.

In Calbe an der Saale hat Bürgermeister Sven Hause die am Ende erfolglose Anfechtung seinen Ruf nicht geschädigt. Das hofft er zumindest. „Dennoch war die Sache monatelang in der Presse und in dieser Zeit waren Bürgerinnen und Bürger mit Sicherheit verunsichert“, sagt er. Womit er aber nicht gerechnet hätte: Das Verfahren zog sich quälend in die Länge, was nicht ohne Folgen auf seine Amtszeit blieb.

Sven Hause, Bürgermeister von Calbe an der Saale

Ich konnte meine zweite Amtszeit lange nicht antreten.“

Sven Hause, Bürgermeister von Calbe

Wogegen klagte der unterlegene Bewerber? Sein Vorwurf: Die Bürgermeisterwahl sei manipuliert worden. Über seinen Anwalt ließ er mitteilen, das Wahlergebnis leide an mehreren formellen und materiellen Mängeln. Er nannte dabei vier Hauptgründe, weshalb die Bürgermeisterwahl in Calbe ungültig sein soll:

- Auf dem Stimmzettel war bei einem der Bewerber als Berufsbezeichnung Allianzgeneralvertreter aufgeführt. Dies ist nach Ansicht des Klägers rechtswidrig, da es sich nicht um eine Berufsbezeichnung handle. Es sei nicht auszuschließen, dass damit Wähler zur Stimmabgabe motiviert oder abgehalten worden seien, so seine Ansicht.

-Die Briefwahlunterlagen wurden nach Ansicht des Klägers nicht ordnungsgemäß verwahrt. Sie seien offen in einem Karton im Vorzimmer der Stadtverwaltung aufbewahrt worden, so der Vorwurf.

-Bei der Auswertung der Briefwahlunterlagen hat es angeblich Unregelmäßigkeiten gegeben. Denn es wurden 907 Briefwahlunterlagen ausgegeben, zurückgeschickt wurde aber weniger. Der Kläger mutmaßte, dass Briefwahlunterlagen verloren gegangen seien oder auf dem Postweg untergegangen seien.

- Die Bürgermeisterwahl sei nicht rechtzeitig bekannt gemacht worden.

- Das Verwaltungsgericht Magdeburg erklärte die Wahl jedoch für gültig. Dass auf dem Wahlzettel ein Bewerber als Beruf Allianzvertreter angegeben hatte, werteten die Verwaltungsrichter nicht als Wahlbeeinflussung. Die Angabe diene lediglich der eindeutigen Identifizierung der zur Wahl stehenden Person. Die Wahl sei form- und fristgemäß im Amtsblatt der Stadt veröffentlicht worden, die Briefwahlunterlagen ordnungsgemäß verwahrt worden.  Und dass nicht alle Briefwahlunterlagen zurückgesendet werden, sei nicht ungewöhnlich, einige Unterlagen kamen auch verspätet an und waren damit ungültig.

Schwere Fehler bei Bundestagswahl in Berlin

In Berlin hingegen haben schwere Fehler dazu geführt, dass die Bundestagswahl im Februar in Teilen der Hauptstadt wiederholt werden musste – exakt in 455 der 2.256 Wahlbezirke, wie das Bundesverfassungsgericht es anordnete. Die CDU/CSU-Fraktion hatte Wahlprüfungsbeschwerde eingelegt, nachdem der Bundestag beschlossen hatte, dass „nur“ in 431 Wahlbezirken erneut gewählt werden sollte. Die Fehler seien mandatsrelevant, so die obersten Verfassungsrichter. Denn es sei „wahrscheinlich, dass die mehr als einstündigen Wartezeiten, die Unterbrechungen der Wahlhandlung, die verspäteten Öffnungen beziehungsweise die vorübergehenden oder vorzeitigen Schließungen von Wahllokalen dafür ursächlich waren, dass Wahlberechtigte nicht von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht haben“.

Wann kann eine Wahl angefochten werden?

„Mandatsrelevant“ – der Begriff fiel auch immer wieder vor dem Verwaltungsgericht in Magdeburg. Denn Bürgermeister Hause war so deutlich gewählt, dass das Ergebnis nicht angreifbar war. „Fehler können passieren“, sagt der Anwalt Dominik Lück. „Entscheidend aber ist, ob sie sich auf das Wahlergebnis auswirken.“ Das Beispiel Berlin zeigt allerdings, dass bei einer Wahl gravierende Fehler gemacht werden können. „Was sich in Berlin ereignet hat, ist bislang singulär“, sagt Lück.  Dennoch könnte man aus der missglückten Berlinwahl durchaus lernen. „Wichtig ist, dass immer genügend Stimmzettel da sind.“ Denn das Land sei stärker politisiert als früher, das könnte sich auf die Wahlbeteiligung auswirken. „Es ist schwierig, jeden Fehler beim Wahlvorgang am Wahltag zu vermeiden“, räumt Lück ein. „Denn Menschen machen eben Fehler.“ Ehrenamtliche Wahlhelfer sollten daher eine sehr detaillierte Einweisung erhalten. „Die meisten Fehler lassen sich heilen, wenn nachgezählt wird und sich vorher jemand verzählt hat.“  Sein Tipp: „Lassen Sie als Wahlbeobachter nicht nur diejenigen zuschauen, die misstrauisch sind und die Wahlvorstände womöglich noch beschimpfen. Überlassen Sie das Feld der Beobachtung nicht denjenigen, die die Wahl delegitimieren wollen.“  Und auch wenn das Verwaltungsgericht Magdeburg den „Allianzgeneralvertreter“ auf dem Stimmzettel nicht gerügt hat, empfiehlt Lück: "Achten Sie auf neutrale Berufsbezeichnungen."

Szenarien nach Wahlanfechtung

Wahlhelfer immer schwerer zu finden

Dass die Kommunen sich immer schwerer damit tun, Wahlhelfer zu finden, liege wohl auch daran, viele Angst hätten, Fehler zu machen und dafür die Aufwandsentschädigung zu gering ist. „In Berlin haben Wahlhelfer 2017 bei der Bundestagswahl 25 Euro Erfrischungsgeld erhalten, bei der Wiederholungswahl wurden bis zu 240 Euro bezahlt“, berichtet der Anwalt.  Auch könnte es sein, dass nicht mehr viele Menschen als Wahlhelfer mitmachen wollen, weil Wahlen durch sogenannte „Fake News“ vielfach in Misskredit geraten seien. „Viele Menschen vertrauen dem so entscheidenden demokratischen Mitwirkungsinstrument der Wahlen nicht mehr.“  So müsse verstärkt dagegen gearbeitet werden, dass in Deutschland Wahlbetrugs-Vorwürfe gezielt erhoben werden, um die Demokratie und den Staat zu schwächen.

Calbe an der Saale
Calbe an der Saale liegt in Sachsen-Anhalt.

Der Kläger im Fall der Wahlanfechtung in Calbe an der Saale wohnte nicht in der Stadt. Als Bürgermeister kandidierte ein bayerischer freier Journalist, der angeblich von Calbensern, die in Bayern leben, aufgefordert wurde, in der Kommune in Sachsen-Anhalt anzutreten. „Die Bayern sind das wirtschaftlich erfolgreichste Bundesland in Deutschland…und da habe ich mir gedacht, warum soll ich nicht Bürgermeister in Calbe werden?“ begründete der Mann in einem Wahlkandidaten-Podcast seine Kandidatur und zeichnete ein schwarzes Bild von den derzeitigen Verhältnissen in der Stadt. Was viele nicht wissen: In Deutschland kann grundsätzlich jeder als Bürgermeister kandidieren, der eine bestimmte Zahl an Unterstützungsunterschriften bringt. In Calbe waren dafür 30 Unterschriften notwendig.

Bürgermeister Hause tritt 2. Amtszeit verspätet an

Für Bürgermeister Sven Hause hatte die Wahlanfechtung – obwohl sie erfolgreich war – doch konkrete Folgen. „Meine erste Amtsperiode wurde verlängert“, erzählt der heute 52-Jährige. Denn das Verwaltungsgericht hat die Wahl vom 6. Juni 2021 erst am 29. November 2022 für gültig erklärt. Daran schloss sich eine weitere Frist von zwei Monaten an, in denen der Kläger hätte in Berufung gehen können. Allein zwischen der Bürgermeisterwahl und dem Urteil lagen anderthalb Jahre.  Als Hause seine neue Ernennungsurkunde erhielt, war es 2023 geworden: Am 17. Januar war er – endlich - in seiner zweiten Amtszeit angekommen.