Gebietsreformen sind Gift für das Ehrenamt - das zeigt eine neue Studie - im Bild: eine Kleine Demo zu Gebietsreform vor dem Thüringer Landtag
Gebietsreformen sind Gift für das Ehrenamt - das zeigt eine neue Studie - im Bild: eine Kleine Demo zu Gebietsreform vor dem Thüringer Landtag
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Heimatverbundenheit groß

Studie: Deutsche fordern Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung

Die Bürger in Deutschland haben weiter eine große Verbundenheit zu ihrer Stadt oder Gemeinde. Eine Langzeitstudie zeigt über die Jahre nur wenig Veränderung. Neu ist aber die Diskrepanz zwischen der grundsätzlichen Verbundenheit mit der Kommune und dem Eindruck, vor Ort immer weniger entscheiden zu können. Wir zeigen Ihnen die ganze Studie mit allen Daten und bieten Ihnen das Papier auch zum Herunterladen an.

Beginnen wir mit guten Zahlen: Fast zwei Drittel der Menschen in Deutschland fühlen sich mit ihrer Kommune sehr oder eher stark verbunden. Das ist das Ergebnis einer Studie, die die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit erstellt hat. Ein Wert, der auch in älteren Studien der letzten 20 Jahren in ähnlicher Höhe gemessen wurde. Die Zahlen weichen nicht stark voneinander ab. Auch wenn die Tendenz über die Jahre leicht sinkt. Und diese Identität hat viele positive Eigenschaften. So bestätigt die Studie, dessen Zahlen aufgrund ihrer Erhebungsethode jedoch nicht als repräsentiv einzuordnen sind, ältere repräsentative Umfragen, wonach vor allem das ehrenamtliche Engagement stark mit der lokalen Verbundenheit einhergeht. Menschen, die sich stark mit der Kommune verbunden fühlen sind deutlich häufiger auch ehrenamtlich engagiert. Gleichzeitig sind sie weniger anfällig für populistische Parteien. Aus den Ergebnissen der Online-Erhebung ziehen die Autoren der Friedrich-Naumann Stiftung den Schluss, dass "eine emotionale Verbindung zur eigenen Kommune die Wahrscheinlichkeit reduziert, Parteien des rechten und linken Randes zu wählen", wie es Studienautor Dirk Assmann anhand der Befragungen formuliert.

Gebietsreformen sind Gift für das Ehrenamt

Spannend ist ein Blick auf Bundesländer, in denen es in den vergangenen Jahren größere Gebietsreformen gab. Die Naumann-Stiftung hat hierfür verschiedene repräsenative Zahlen (ifo Dresden) gewertet und anhand dieser den Effekt von Gebietsreformen auf die kommunale Identität errechnet. Das Ergebnis, anhand von Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen, wo es diverse Gebietsreformen in den Jahren zwischen 2007 und 2011 gab, zeigt: Wurden sowohl Kreise als auch Gemeinden fusioniert, ist der negative Effekt auf die kommunale Identität besonders groß. Ein Minus von fast 20 Prozent haben die Forscher ermittelt. Dort, wo "nur" Landkreise fusioniert wurden, ist der Effekt deutlich geringer - die Forscher kommen hier auf ein Minus bei der kommunalen Identität von rund 6 Prozent. Wurden Gemeinden fusioniert, ergab das ein Minus bei der kommunalen Identität von rund 10 Prozent.

Die Studienergebnisse fasst Dirk Assmann wie folgt zusammen: "Menschen mit kommunaler Identität gehen häufiger zur Kommunalwahl, haben häufiger Interesse an Politik, sind öfter Befürworter des demokratischen Systems, wählen seltener Parteien des rechten und linken Randes und engagieren sich deutlich öfter ehrenamtlich."

Umfrage

Dramatisches Urteil der Deutschen über Einflussmöglichkeiten in der Kommune

Neu in der Studie im Vergleich zu früheren Umfrageergebnissen ist aber die Frustration der Bürgerinnen und Bürger über die Einflussmöglichkeiten der Kommune und welche Rolle sie als Bürger dabei spielen. Eine überwältigende Mehrheit  ist der Meinung, sie habe nur sehr wenig Einfluss auf Entscheidungen in der Kommune. Lediglich jeder zehnte Bürger glaubt, zumindest einen gewissen (eher viel Einfluss) auf Entscheidungen vor Ort zu haben. Wobei die Bürger hier nicht allein der Kommunalpolitik die Schuld geben. Denn gleichzeitig stimmt eine große Mehrheit der Aussage zu: "Meine Kommune hat durch die bürokratischen Aufgaben keine Zeit, die wichtigen Probleme zu lösen". Studienleiter Dirk Assmann kommt beim Blick auf die  verschiedenen Aussagen zu einem klaren Fazit: "Der Wunsch der Bürger ist klar: Erstens wollen sie mehr Einfluss auf kommunale Entscheidungen nehmen. Demnach sollen mehr Entscheidungen zurück ins Dorf oder in die Stadt geholt, und nicht auf Bundes- oder Landesebene getroffen werden. Zweitens sollen den Kommunen bürokratische Aufgaben abgenommen werden, um die wichtigen Probleme vor Ort lösen zu können. Beide Wünsche lassen sich auch als Ruf nach einer Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung interpretieren – in den Kommunen sollen mehr und bessere Entscheidungen getroffen werden."

Umfrage 2

Fazit - die Forderungen der Studienmacher 

Im weiteren Verlauf setzen sich die Studienmacher der FDP-nahen Stiftung anhand der Ergebnisse mit der Frage auseinander, wie sich die Verbundenheit der Bürger mit ihrem Wohnort weiter erhöhen lässt. Als wichtigste Handlungsfelder definieren sie "Kooperationen statt Gebietsreformen". Wörtlich heißt es: "Gebietsreformen auf Kreis- und insbesondere Gemeindeebene führen zu einer signifikanten Beeinträchtigung der lokalen Verbundenheit. Deutlich schonender sind hingegen freiwillige und punktuelle Kooperationen in ausgewählten Themenbereichen, z. B. bei Bereitstellung bestimmter Dienstleistungen, bei der Erstellung von Entwicklungsplänen oder bei der Umsetzung von Verkehrsinfrastrukturprojekten. Diese Kooperationen können die gleichen Effizienzgewinne realisieren, ohne dabei die lokale Verbundenheit im gleichen Maße zu schädigen wie Gebietsreformen." 

Weiter fordern sie eine stärkere Bürgerbeteiligung, betonen aber auch: Die Entscheidungen sollten in den Gremien getroffen werden. Auf dem Weg zur Entscheidung müsse die Beteiligung aber besser sichergestellt werden. Als konkretes Beispiel nennt die Stiftung die Einbindung repräsentativer Umfragen, um ein Meinungsbild der Bevölkerung zu aktuellen Problemen einzuholen. Wie dies funktionieren kann, haben wir bei KOMMUNAL in unserem Beitrag "Traue keiner Statistik..." anhand von acht Tipps für Kommunen dargestellt. 

Tipps

Weitere Handlungsempfehlungen der Stiftung: "Die kommunale Selbstverwaltung stärken" und das Ehrenamt stärker ehren. Konkrete Vorschläge: "sei es durch Auszeichnungen, mediale Berichterstattung, Abendveranstaltungen, öffentlichen Danksagungen oder durch die Einrichtung eines Programms zur Auszeichnung des ehrenamtlichen Helfers des Monats oder des Jahres". 

Zudem erinnert die Studie an die Notwendigkeit von Treffpunkten im Ort.  "In vielen Orten mangelt es heutzutage an Treffpunkten, an denen sich die gesamte lokale Bevölkerung zusammenfinden kann. Hierbei kann es sich um Gemeindezentren, Parks, öffentliche Plätze oder Cafés handeln. Treffpunkte dieser Art fördern soziale Interaktionen, sie geben die Möglichkeit, unterschiedliche Meinungen auszutauschen, und sie bieten Raum für Veranstaltungen und gemeinsame Aktivitäten. Gerade im Hinblick auf die lokale Verbundenheit der Bevölkerung sind diese Orte von unschätzbarem Wert." heißt es in der Studie, die Sie unter beistehendem Link kostenfrei herunterladen können (PDF, 0,8 MB).

Hinweis: Einzelne Umfrageergebnisse wurden per Online-Tool von einem Start-Up für die Stiftung erhoben, gelten daher als nicht repräsentativ nach den Methoden der Sozialforscher. Wir haben daher statt konkreter Zahlen in unserem Bericht lediglich Trends genannt, die auch von anderen, repräsentativen Umfragen gedeckt sind.