"Wir müssen mehr Milei und Musk wagen" - deren Methoden aber ins Deutsche überseetzen, fordert Christian Erhardt effektiven Bürokratieabbau
"Wir müssen mehr Milei und Musk wagen" - deren Methoden aber ins Deutsche überseetzen, fordert Christian Erhardt effektiven Bürokratieabbau
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Leitartikel

Zwischen Bürokratie-Monster und Kettensägen-Wahnsinn

DOGE – so heißt das neue Ministerium für Regierungseffizienz in den USA, eine Art Schlankheitskur für den Staat. Vorbild für den Kampf gegen Bürokratie auch in Deutschlands Rathäusern? „Die Idee, mehr Musk und Milei zu wagen ist gut, aber Kettensäge und Massenentlassungen bringen uns nicht weiter“, meint Christian Erhardt-Maciejewski.

„Die Kettensäge wirkt“ titelte selbst die nicht gerade als neoliberal geltende „Zeit“ vor wenigen Tagen über die Erfolge von Präsident Javier Milei. Der erste Teil der Schocktherapie in Argentinien ist offenbar gelungen, Inflation bei Null und Wirtschaftswachstum von fast 10 Prozent. Zahlen, die auch US-Präsident Donald Trump tief beeindrucken und so setzt auch er nun auf Politik-Außenseiter, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen und die Bürokratie einzudämmen. Der reichste Mann der Welt, Elon Musk, soll die Bundesverwaltung in den USA radikal verkleinern. Und schon entfacht auch in Deutschland die Diskussion, ob ein Frank Thelen oder doch eher ein Dieter Bohlen in der Lage wären, mal so richtig durchzufegen durch den bürokratischen Muff der Republik.

Kachel 1

Bürokratieabbau ja - aber auf diese Art und Weise geht es in Deutschland daneben!

Nun darf man jemanden wie mir, der begeisterter Fahrer eines Computers auf Rädern aus dem Hause von Elon Musk ist, vorwerfen, an der Stelle nicht ganzobjektiv zu sein. Musk hat nach der Übernahme von X (früher Twitter) 80 Prozent seiner Mitarbeiter rausgeworfen. Und trotzdem läuft die App heute besser und stabiler als vorher. Das weckt Erwartungen.

Aber ein tieferer Blick lässt dann doch Zweifel aufkommen, ob eine solche Radikalkur für Deutschlands Rathäuser wirklich zu empfehlen ist. Was das DOGE- Ministerium unter der Führung von Elon Musk bisher angekündigt hat, ist der Versuch, so schnell wie möglich Mitarbeiter aus den Ministerien zu ekeln, um keine Abfindungen zahlen zu müssen.Das wäre in Deutschland schon mit dem Kündigungsschutz undenkbar. Wichtiger aber die Frage: Wer geht denn freiwillig? Natürlich die besten und flexibelsten im Team! Ein solch willkürlicher Abbau über alles hinweg macht definitiv keine Behörde effizienter. Der Radikal-Umbau soll in den USA bis zum Jahr 2026 abgeschlossen sein – gäbe man in Deutschland jemandem so wenig Zeit, er hätte definitiv keine Zeit für Aufgabenkritik oder eine saubere Analyse. Rasenmäher-Methoden bringen Deutschland nichts. Das würde zudem voraussetzen, dass alle Abteilungen etwa im örtlichen Rathaus gleich „unwichtig“ sind – aber sind sie das?

Digitalisierung ist nur ein Schlüsselwort beim Bürokratieabbau

Stichwort Digitalisierung: Für so ziemlich jede Angelegenheit müssen Bürger in Deutschland noch in die Stadtverwaltung. Mitarbeiter, die den vorher vom Bürger ausgedruckten Anmeldezettel vom Vordruck abtippen, ins System übertragen und wohlmöglich anschließend noch einmal zur Ablage ausdrucken, benötigt tatsächlich niemand. In den Niederlanden ist eine Ummeldung des Wohnsitzes etwa schon lange rein digital machbar. In Deutschland gibt es hier immerhin erste Feldversuche. Die Mitarbeiter aber, die diese Prozesse auf digitale Formate umstellen, werden sehr wohl benötigt. Wenn also Ineffizienz in Behörden angeprangert wird, hat das auch viel damit zu tun, dass die versprochene Digitalisierung der Verwaltung im europäischen Vergleich bei uns miserabel ist. Oder um es im Sinne von Elon Musk zu sagen: Die Menschheit macht sich auf den Weg zum Mars. In Deutschland machen wir uns auf den Weg zum Einwohnermeldeamt.

Sozialdemokraten haben in Deutschland bereits vorgemacht, wie es funktionieren kann...

Darum macht es Sinn, dass Deutschland sich genau ansieht, was in Argentinien und den USA aktuell passiert. Der letzte Wirtschaftsführer, der in Deutschland im Auftrag der Regierung Politik betrieb, war Peter Hartz seinerzeit für Gerhard Schröder mit der Agenda 2010. Die Wirkung war bekanntlich tiefgreifend, auch wenn die Früchte auf dem Arbeitsmarkt erst die Nachfolgeregierung unter Angela Merkel ernten konnte. Ganz offensichtlich ist es also ein Erfolgsmodell, wenn Unternehmer von außen statt Verwaltungsfachleute unvoreingenommen auf das Thema Bürokratie-Abbau schauen. Denn alle Versuche von Berufspolitikern, diese einzudämmen sind gescheitert. Als die EU-Kommission einen Leiter zum Abbau von Bürokratie einstellte, war es der langjährige Berufspolitiker Edmund Stoiber. Das Ergebnis: Am Ende seiner Amtszeit war die Zahl der Beamten in Brüssel erheblich höher als vor Amtsantritt.

Ruft ein Politiker heute "Bürokratieabbau" besteht die reale Gefahr neuer Bürokratie

Das neue Bürokratieentlastungsgesetz – ein Wortungetüm mit 27 Buchstaben - hat 173 Seiten. Nichts ist dadurch einfacher oder effizienter geworden. Im Jahr 2022 gab es knapp 1800 Bundesgesetze mit rund 51.000 Einzelnormen. Im Jahr 2010 waren es 1600 Gesetze mit 43.000 Normen. Wenn ein Politiker „Bürokratieabbau“ ruft, besteht die reale Gefahr neuer Bürokratie.

Wir brauchen eine Roßkur, kein Schaukelpferd: In diesem Sinne – schauen wir kritisch aber auch interessiert in andere Länder und ahmen wir nach, was dort erfolgreich ist. Unabhängig davon, ob uns die handelnden Personen sympathisch sind oder nicht.