Ringe und Schloss Zwangsverheiratet
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Trotz Kindereheverbots: Mädchen und auch Jungen zwangsverheiratet

Viele Mädchen und auch immer mehr Jungen werden zwangsverheiratet. Die meisten Eheschließungen finden im Heimatland der Eltern statt. Der Berliner Arbeitskreis gegen Zwangsverheiratung in Berlin startet jetzt eine neue Umfrage, um das Ausmaß von Zwangsverheiratungen in Berlin abzubilden. Schon jetzt zeichnet sich ab: Auch das Gesetz gegen Kinderehen in Deutschland kann dieses Leid nicht immer verhindern. Doch die Behörden in den deutschen Kommunen können durchaus handeln.

Es war ein wichtiger Schritt gegen Zwangsverheiratung: Mit dem 2017 bei uns beschlossenen Gesetz gegen Kinderehen werden auch im Ausland geschlossene Ehen von Minderjährigen in Deutschland nicht anerkannt. "Wir haben zwar das Zwangsverheiratungs-Bekämpfungsgesetz, das Problem ist aber, dass es trotzdem immer wieder zur Zwangsehe kommt", sagte die Vorsitzende des Arbeitskreises gegen Zwangsheirat in Berlin, Petra Koch-Knöbel zu KOMMUNAL.

Zwangsverheiratung: 16-Jährige heiratet Onkel

So wie im Fall eines 16-jährigen Mädchens aus Berlin, das in den Sommerferien vergangenen Jahres mit den Eltern wie so oft schon in den Urlaub nach Albanien reiste. Dieses Mal aber wartete dort bereits der ungewollte Bräutigam: der 46-jährige Onkel. Das Mädchen reiste verheiratet mit dem Onkel zurück nach Deutschland. "Der Mann wurde abgeschoben, die Ehe bei uns annulliert", berichtet die Politikwissenschaftlerin und Lehrerin. Auch in den diesjährigen Sommerferien drohe vielen ein solches Schicksal. Deshalb sollte das auch in den Schulen ein Thema sein.

Ohne Pass, Bargeld und Handy

Junge Frauen oder auch Jungen hätten häufig Angst, sich gegen die Eltern zu wenden und Anzeige zu erstatten. "Das machen daher ganz wenige", so Koch-Knöbel. Viele würden wegen des Ehrverlustes für die Familien ausgeschlossen oder bedroht. Viele Betroffene haben die deutsche Staatsbürgerschaft. Ihnen werden in der Ferne Pass, Bargeld und Handy abgenommen. Sie werden isoliert und kontrolliert und sind von jeder Möglichkeit, sich Hilfe zu suchen, abgeschnitten. Deutsche Botschaften sind oft nicht in der Nähe zu erreichen. In einem Schreiben an die Berliner Schulen und Freizeiteinrichtungen weist sie als Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte des des Berliner Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg zusammen mit der Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann und der  Bezirksstadträtin für Jugend, Familie und Gesundheit auf die Lage hin.

Zwangsheirat und Bedrohung

"Wir müssen gerade eine junge Frau und einen jungen Mann in einem anderen Bundesland unterbringen, berichtet Koch-Knölbel. "Sie sind hochgradig in Gefahr". Das junge Mädchen entstammt einer Clanfamilie.

Als kleinen politischen Erfolg wertet sie die Entwicklung der bundesweit ersten geschützten ersten "LSBTI*-Krisenwohnung. Träger ist die Arbeiterwohlfahrt Spree-Wuhle Berlin Mitte in Kooperation mit dem Lesben- und Schwulenverband Berlin. Darin finden Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung  oder der Geschlechtsidentität von Zwangsheirat oder von körperlicher und psychischer Gewalt gedroht sind, Zuflucht. Eine zweite Wohnung ist geplant.

Neue Umfrage zu Zwangsverheiratung

Allein in Berlin waren dem Arbeitskreis bei der letzten großen Umfrage für den Befragungszeitraum 2017 insgesamt 570 Fälle von Zwangsverheiratungen gemeldet worden. Ein Anstieg von gut 19 Prozent mehr als bei der letzten Befragung 2013, sagte die Vorsitzende. Damals waren es 460 Fälle. Insgesamt wurden 1164 Einrichtungen aus dem Antigewaltbereich sowie Jugendämter, die Polizei, Migrations- und Frauenprojekte, die Frauen- und Gleichstellungs- sowie Integrationsbeauftragten sowie sämtliche Berliner Schulen und Flüchtlingsunterkünfte befragt. 420 Einrichtungen hatten den Erhebungsbogen beantwortet. Danach sind auch immer mehr Jungen von Zwangsverheiratung betroffen. "Es geht darum, dass niemand erfahren soll, dass sie homosexuell sind", so Koch-Knöbel. "Die Zwangsehe mit einer jungen Frau soll die Ehre der Familie wieder herstellen oder den Schein wahren helfen." Jetzt beginnt eine neue Umfrage, die Aufschluss geben soll. "Wir fragen in Schulen, bei Antigewalt- und Migrationsprojekten, bei Einrichtungen für Geflüchtete und allen Institutionen nach, die mit dem Thema zu tun haben. Dazu gehören auch die Berliner Verwaltungen und die Polizei."

Bundesweite Studie zu Zwangsehen gefordert

Noch immer gibt es keine bundesweiten Erhebungen, obwohl sie seit Jahren gefordert werden. An deutschen Schulen hat  es 1847 Fälle von angedrohten oder vollzogenen Früh- und Zwangsverheiratungen gegeben. Das ergab nach aktuellen Angaben der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes eine bundesweite anonyme Online-Umfrage unter Lehrkräften und Sozialarbeitern, wie die Berliner Morgenpost jüngst berichtete.

Dem Arbeitskreis gegen Zwangsheirat, den Petra Koch-Knöbel seit 20 Jahren koordiniert, werden immer mehr Zwangsverheiratungen von syrischen Mädchen und Jungen bekannt und nicht mehr ganz so viele bei türkischen jungen Menschen. Auch in manchen Romafamilien gebe es noch Zwangsverheiratungen.

Kommunen bieten Informationen an

"Es geht ganz stark darum, präventiv zu arbeiten", betont die Expertin. Doch immer kann eine Zwangsverheiratung nicht verhindert werden. Viele Kommunen in Deutschland informieren auf ihren Webseiten über die rechtliche Situation und veröffentlichen Hilfsangebote. Die bayerische Stadt Nürnberg bietet Betroffene einen Überblick. Das hessische Mainz klärt in diesem Flyer über Hilfen bei drohender oder vollzogener Zwangsehe auf. Bad Säckingen in Baden-Württemberg bietet einen sehr klaren und gut verständlichen Überblick über die Verwaltungsleistungen und Hilfsangebote. Der erste Satz dazu auf der Homepage lautet: Zwangsverheiratung  ist in Deutschland eine Straftat." Informationen zum Thema Zwangsverheiratung in Berlin finden Sie hier und über diesen aktualisierten Flyer. Und hier ein bundesweit wichtiger Link.

Gesetz zur Bekämpfung der Zwangsheirat

Der Gesetzgeber hat bereits 2011 mit dem „Gesetz zur Bekämpfung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer aufenthalts- und asyl-rechtlicher Vorschriften“ einen eigenständigen Straftatbestand geschaffen. Es handelt sich um den § 237 Strafgesetzbuch (StGB), in dem die Zwangsheirat unter Strafe gestellt. Wer in Deutschland einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Eingehung der Ehe nötigt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Im Juli 2017 trat das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen in Kraft. Darin ist geregelt, dass niemand in Deutschland unter 18 Jahre staatlich heiraten darf. Das gilt ohne Ausnahme.

Rechtliche Lage: Was gilt wann

  "Wenn eine solche Ehegegen den Willen der jungen Frauen im Ausland geschlossen wurde, bekommen das Behörden in Deutschland in der Regel mit", sagt Petra Koch-Knöbel. Denn damit ändere sich ja der sogenannte Personenstand. In diesem Fall können sich die zwangsverheirateten Mädchen oder Jungen und jungen Frauen und jungen Männer Hilfe und Unterstützung suchen. Die Ehe werde dann annulliert. Werden gleichwohl Ehen von Minderjährigen nach ausländischem oder nach inländischem Recht geschlossen, sind diese unwirksam, wenn einer der Ehepartner jünger als 16 war. Diese Unwirksamkeit muss eine Behörde oder ein Familiengericht nicht feststellen. In den Fällen, in denen einer der Ehegatten zum Zeitpunkt der Eheschließung 16 oder 17 Jahre alt war, sind die Ehen durch Familiengerichte nach deutschem Recht aufzuheben. Eine ausführliche Handreichung des Bundesfamilienministeriums dazu.

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