Stadtansicht Lindau
In der Stadt Lindau am Bodensee hat die Bürgerbeteiligung einen hohen Stellenwert.
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Pilotprojekt "Losland"

Politik gestalten mit dem Zukunftsrat

Wie können wir in unserer Kommune eine enkeltaugliche Zukunft schaffen? Das ist die Kernfrage des bundesweiten Pilotprojekts „Losland“, an dem auch die Stadt Lindau am Bodensee teilnimmt. Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren.

Ob Inflation, Klimawandel oder Energiekrise – die Kommunen stehen mit Blick auf die kommenden Jahrzehnte vor immensen Herausforderungen. Wie die Zukunft trotzdem enkeltauglich werden kann, erforscht das bundesweite Pilotprojekt „Losland“. Insgesamt zehn Kommunen wurden für das Vorreiter-Projekt in Sachen direkte Demokratie und Bürgerbeteiligung ausgewählt, in denen sogenannte Zukunftsräte Ideen sammeln für die Zukunft ihrer Kommune.

Zukunftsrat in Lindau

Eine der „Losland“-Kommunen ist die Stadt Lindau, die sich 2021 für das Projekt beworben hat. Dabei war eine der zentralen Voraussetzungen für die Teilnahme ein Beschluss des Stadtrats, die Empfehlungen des Zukunftsrats schließlich auch wirklich im Stadtrat zu behandeln, wie Alexandra Abbrederis, Mitarbeiterin bei der Projektstelle Bürgerbeteiligung erzählt. In Lindau wurde dieser politische Wille klar artikuliert, auch weil die Bürgerbeteiligung in Lindau schon lange einen hohen Stellenwert hat, wie Abbrederis berichtet. „Die direkte Einbindung der Bürger in den politischen Prozess ist ein wichtiges Thema bei uns in Lindau und soll kontinuierlich weiter ausgebaut werden. Die Menschen wollen zunehmend stärker eingebunden werden. Bürgerbeteiligung wird mehr gefordert und politisch auch mehr gesehen“.

Pilotprojekt für Stärkung der Bürgerbeteiligung

Konkret geht es beim Zukunftsrat in Lindau darum, Antworten auf die Frage zu finden, „wie der Lebensraum für das Miteinander heutiger und zukünftiger Generationen der Stadt bewahrt und gestaltet werden kann“, so Abbrederis. Neben Lindau sind am Projekt „Losland“ deutschlandweit noch neun weitere Kommunen beteiligt, die mit den Zukunftsräten ein bewährtes Format der Bürgerbeteiligung umsetzen. Neben der Stärkung des Demokratieverständnisses geht es dabei um die Entwicklung von ganz konkreten Ideen für eine enkeltaugliche Zukunft in der jeweiligen Region. Umgesetzt wird das Pilotprojekt vom Verein "Mehr Demokratie" aus Berlin. Dieser organisiert das Projekt „Losland“ mit Unterstützung der Bundeszentrale für politische Bildung, welche die Zukunftsräte in den teilnehmenden Kommunen mit insgesamt rund 470.000 Euro fördert.

Ausgangsfrage des Losland-Projekts
Die zentrale Frage des "Losland"-Projektes in Lindau

Wie läuft das Projekt konkret ab?

Das Besondere am Zukunftsrat ist seine ausgesprochen heterogene Zusammensetzung. Diese wird durch ein Losverfahren gewährleistet, das sich in Lindau konkret so dargestellt hat, dass zu Beginn jeder 20. Einwohner aus dem Melderegister angeschrieben wurde, was rund 1.200 Personen entsprach. Die angeschriebenen Bürger konnten sich in Folge für den Zukunftsrat bewerben – circa 100 haben das tatsächlich getan. Aus diesen 100 Personen wiederum wurden nun mittels Losverfahren 16 Teilnehmer ausgewählt, die im Herbst zusammentreffen und gemeinsam die Zukunft ihrer Heimat diskutieren werden. Zusätzlich zum tatsächlichen Rat gibt es bereits jetzt ein Begleitteam, das sich aus Stadtratsmitgliedern und Bürgern zusammensetzt und den gesamten Prozess mitbetreut.

Losverfahren für mehr Diversität

Das Besondere an einem Losverfahren, wie es zur Bildung des Zukunftsrats stattgefunden hat, ist laut Abbrederis, dass die Auswahl an Bürgern deutlich größer ist als bei anderen Formaten und erst einmal zufällig getroffen wird. Natürlich bilde auch ein derart entstandener Zukunftsrat keinen exakten Querschnitt der Bevölkerung ab, aber er verfüge über „eine viel größere Bandbreite und stärkere Diversität“ als bei einem offen zugänglichen Verfahren möglich, so Abbrederis. Dies zeigt sich deutlich beim Lindauer Zukunftsrat: das jüngste Mitglied ist 19 Jahre alt, das älteste 65, Frauen und Männer sind gut gemischt, mindestens 30 Prozent der Teilnehmer bringen migrationsgeschichtliche Erfahrungen mit, zudem sind Bürger aus neun verschiedenen Stadtteilen mit dabei.

Auslosung der Mitglieder des Zukunftsrats
Die Mitglieder des Zukunftsrats sind ausgelost - im Herbst treffen sie aufeinander, um Ideen für die Zukunft ihrer Heimat zu sammeln

Zusammentreffen des Zukunftsrats im Oktober

In Lindau wird der Zukunftsrat am 14. und 15. Oktober in der Kolping-Akademie zusammentreffen, wobei am Ende konkrete Handlungsempfehlungen stehen sollen. In Anschluss an die Tagung wird am 16. Oktober ein offen zugängliches Bürgerforum abgehalten, bei dem die Ergebnisse präsentiert werden und auch Bürger sich einbringen können, die nicht gelost wurden. Bevor die Empfehlungen des Zukunftsrats dann tatsächlich im Rahmen einer Stadtratssitzung im Dezember diskutiert und verhandelt werden, findet zur Vorbereitung ein offener Workshop mit dem Stadtrat statt. Bei diesem können sich interessierte Stadtratsmitglieder detailliert mit den Empfehlungen auseinandersetzen und findet ein „Formulierungsschliff“ statt, wie Abbrederis sagt, damit schließlich alles vorbereitet ist für den Übergang in die städtische Politik.

Bewährte Methodik

Die Gestaltung der Arbeit des Zukunftsrats ist nach Erfahrung von Abbrederis durch die strenge Methodik und stringente Moderation ausgesprochen zielführend und effizient angelegt. Eine besondere Qualität liegt aus Sicht der Mitarbeiterin in dem durchgehend wertschätzenden und konsensorientierten Miteinander der Zukunftsräte. „Im Bürgerrat sitzen Menschen wie Du und Ich, die aus ihrem Alltagswissen heraus eine ganz andere Perspektive einbringen in die Entscheidungsprozesse. Das macht dieses Format so vielfältig und gewinnbringend.“

Vorbereitungen laufen auf Hochtouren

Als Mitarbeiterin bei der Projektstelle Bürgerbeteiligung in der Stadt Lindau ist Alexandra Abbrederis federführend verantwortlich für die Organisation vor Ort, insbesondere den administrativen Teil der Arbeit. Das betrifft aktuell die Kommunikation und den Kontakt mit den Bürgern sowie die regionale Öffentlichkeitsarbeit. Dabei war es ein besonderes Anliegen, die Vorgehensweise im Vorfeld „so transparent wie möglich vorzustellen“ und über Presseaussendungen und Social Media für den Zukunftsrat zu werben. Moderiert und aufbereitet wird die Arbeit des Zukunftsrats durch das Team von „Losland“; ebenfalls in den Händen von „Losland“ liegt die überregionale Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung sowie die wissenschaftliche Begleitung.

Selbstwirksamkeit erfahren

Der große Mehrwert der direkten Bürgerbeteiligung liegt aus Sicht der Lindauer Mitarbeiterin darin, dass die Bürger ihre ganz unterschiedlichen Erfahrungen, Meinungen und Kenntnisse einbringen können in den politischen Prozess. „Das ist von großem Wert und verbessert nicht nur die Qualität der politischen Beschlüsse, sondern führt auch zu einer größeren Akzeptanz der getroffenen Entscheidungen.“ So würden die Bürger hierdurch eine enorme Selbstwirksamkeit erfahren und im Prozess selbst kein Gegen-, sondern ein konstruktives Miteinander erleben. Die bisherigen Erfahrungen in Lindau und darüber hinaus hätten gezeigt, dass die Bürger bei ihren Überlegungen „sehr schnell sehr konkret“ werden und „sehr konstruktive Vorschläge“ machen würden.

Große Erwartungen an den Zukunftsrat

In der Stadt Lindau blickt man dem Zukunftsrat im Herbst gespannt entgegen und hofft auf eine Fülle an Ideen und praktischen Vorschlägen. So stellt Abbrederis klar: „Der Zukunftsrat ist kein Selbstzweck. Vielmehr gibt es seitens der Politik den klaren Wunsch, dass vielfältige Ideen aus der Bürgerschaft kommen, die beim Zukunftsrat zu konkreten Empfehlungen gebündelt und dann im Stadtrat verhandelt werden“. Letztlich gehe es um die Entwicklung eines Zukunftsbilds für die Stadt, an dem alle Bürger mitarbeiten sollen. Entsprechend ist es der explizite Wunsch, dass der Zukunftsrat in seiner Arbeit auch intensiv nach außen wirkt und „die Lindauer Bürger auch generell über die Fragestellung diskutieren“, wie Abbrederis sagt. Schon jetzt gebe es Stimmen, die dafür plädieren, kontinuierlich einen Bürgerrat in Lindau zu etablieren. Ob es dazu kommt, bleibt abzuwarten – vorerst harren die Organisatoren und Bürger auf den Zukunftsrat im Oktober.

Weitere Informationen zum "Losland"-Pilotprojekt hier.

Fotocredits: Stadt Lindau