Zukunftsboomer Rakete
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Ausblick

Zukunftsboomer Kommunen im Jahr 2034

Das 19. Jahrhundert war das Zeitalter der Weltreiche, das 20. Jahrhundert das Zeitalter der Nationalstaaten und das 21. Jahrhundert wird das Zeitalter der Kommunen sein (nach Wellington Webb, früherer Bürgermeister der Stadt Denver). Warum unsere Kommunen in Krisen auch Chancen sehen, beschreibt Zukunftsforscher Daniel Dettling.

Wer hat vor 10 Jahren, im Jahr 2014, mit der Flüchtlingskrise 2015/2016 gerechnet? Wer mit dem Ausbruch einer globalen Pandemie im Jahr 2020, wer mit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine 2022 und wer mit dem Anstieg des Rechtsextremismus in Europa und damit, dass heute rechtsextremistische Parteien wie die AfD und FPÖ bei Wahl stärkste Kraft werden? Manchmal hilft der Blick zurück. Der geburtenstärkste Jahrgang wird heute, im Jahr 2024, 60 Jahre. 1964 prognostizierten Forscher in einer groß angelegten Studie der US-Denkfabrik RAND bahnbrechende Innovationen für unsere heutige Zeit. Darunter das Aufhalten des Alters und die Verlängerung der Lebenserwartung um 50 Jahre. Bahnbrechende Innovationen hat es seit 1964 gegeben. Internet, Künstliche Intelligenz, Wasserstoff, erneuerbare Energien, autonome Fahrzeuge.

Schlechte Zeiten für Zukunftsoptimisten?

Das Vertrauen in Politik und die Parteien ist auf einem Tiefstmaß. Die Zeiten sind disruptiv und zerstörerisch. Die Gleichzeitigkeit der Krisen (Klima, Krieg, Wirtschaft) führt zu Verunsicherung und Polarisierung. Die Welt im Großen und im Kleinen scheint aus den Fugen, ihre Ordnung durcheinander. Geistige und politische Führung besteht darin, eine klare Vorstellung von der Zukunft zu entwickeln und dafür auch gegen eine anfängliche Mehrheit einzustehen. Das ist nicht nur das Erbe des im letzten Jahr verstorbenen Großmeisters der deutschen Politik Wolfgang Schäuble, sondern der Geist der deutschen Verfassung. Zuversicht ist das Ergebnis von begründetem Zukunftsoptimismus.

Kommunen sind die besseren Krisenmeister 

In Krisen auch Chancen sehen, das können Kommunen besser als Länder und Staaten. Im Zeitalter von Globalisierung und Digitalisierung identifizieren sich die Menschen mehr mit ihrer unmittelbaren Heimat als mit ihrer nationalen Herkunft. Der Vertrauensverlust ist auf lokaler Ebene geringer als gegenüber Bund und Ländern. Kommunen scheitern weniger an den großen Themen: Klimaschutz, Integration, Demokratie, Gesundheit, Bildung, Mobilität.

Während die Demokratie auf nationaler und supranationaler Ebene in der Krise steckt, gewinnt sie auf kommunaler und städtischer Ebene eine neue Vitalität. Zu den Akteuren des Wandels gehören die Kommunen und ihre Bürgermeisterinnen und Bürgermeister.

Der US-Politikwissenschaftler Benjamin Barber entfachte mit seinem 2013 erschienenen Bestseller „If Mayors Ruled the World“ eine neue Debatte über die Zukunft der Demokratie. Lokale Politik, so seine These, sei effektiver und zukunftsorientierter als nationale Politik. Die Funktionalität des Nationalstaates als politische Einheit sei angesichts der Herausforderungen und Probleme einer globalisierten Welt nicht mehr zeitgemäß: Da sich Staaten durch ihre Grenzen definieren, sind sie nicht in der Lage, die globalen Probleme zu lösen, die keine Grenzen kennen. Dazu gehören vor allem die beiden Großthemen Migration und Klimawandel.

Bester Bürgermeister der Welt

2017 wurde der liberale Politiker Bart Somers zum „besten Bürgermeister der Welt“ gewählt. Ein Jahr zuvor wurde die von ihm regierte Stadt Mechelen in die Top Ten „Europas Städte der Zukunft“ aufgenommen. Somers hat in der belgischen Stadt mit 86.000 Einwohnern aus mehr als 130 Nationen geschafft, was den meisten Städten mit sozialen Brennpunkten nur selten gelingt. Mit einem Mix aus „null Toleranz“ und unorthodoxen Integrationsideen hat er Mechelen zu einer der sichersten und saubersten Städte in Belgien gemacht. „Ohne Sicherheit kein bürgerschaftliches Engagement!“ lautet die Erfolgsformel

Das schönste Flüchtlingsheim Deutschlands liegt in Brandenburg

2014, vor dem Beginn der Flüchtlingskrise, sprach sich der damalige Bürgermeister der mittelgroßen Stadt Goslar, Oliver Junk, für eine Entlastung der Großstädte bei der Aufnahme der neuen Flüchtlinge aus. Goslar nahm mehr Flüchtlinge auf als es musste. Junk sieht die neue Zuwanderung positiv, auch aus demografischen Gründen. Vor allem der ländliche Raum und viele Regionen sind auf Zuwanderung angewiesen. „Erfolgreiche Flüchtlingsarbeit ist nicht abhängig vom Standort, sondern von der Haltung“, so Junk. Im kleinen Ort Schmerwitz im südlichen Brandenburg ist jeder dritte Bewohner ein Migrant. Dennoch hat das Dorf für eine weitere Unterkunft gestimmt, in der heute geflüchtete Journalisten in einem „Exile Media Hub“ leben.  Bürgermeister Marco Beckendorf sieht die Migranten als Baustein einer neuen Standortpolitik und setzt bereits länger auf Co-Working-Initiativen wie das „Ko-Dorf“ zum gemeinsamen Wohnen und Leben. Mit kreativen, gemeinwohlorientierten Produktionsstätten wirbt er um Zuzügler. „Wir haben jetzt das schönste Flüchtlingsheim Deutschlands“, sagt der gut gelaunte und energiegeladene junge Bürgermeister. Aus schrumpfenden Regionen werden 2034 vitale, wachsende Orte.

Public statt Shareholder Value beim Klimaschutz

Auch beim Klimaschutz sind kleinere Kommunen weiter. Mit ihren Stadtwerken setzen sie auf kommunalen Klimaschutz, durch den Ausbau erneuerbaren Energien entsteht eine stärkere Wertschöpfung in der Region. Die Antwort auf den Klimawandel sind dezentrale und nachhaltige Strom- und Wärmeversorger.   Statt auf „Shareholder Value“ setzen sie auf „Public Value“. So wie im brandenburgischen Feldheim, das auf Energieautarkie setzt und in diesem Jahr von Bundeskanzler Scholz besucht wurde. Die Wärme für die rund 50 Haushalte im Dorf kommt aus Roggen und Restholz, das in der Umgebung wächst. Bis 2034 beziehen die meisten Kommunen ihre Energie aus sauberen, CO₂-freien Quellen.

2034: Mehr kommunale Demokratie wagen!

Der frühere Chefökonom des IWF und Gouverneur der indischen Zentralbank Raghuram Rajan fordert in seinem Buch „Die dritte Säule“ einen „inklusiven Lokalismus“. Technologischer Fortschritt und Globalisierung gefährden immer mehr Regionen und Kommunen. Abgehängte Regionen sind für Rajan die zentrale Ursache für den neuen Populismus und Extremismus. Die Wahlergebnisse in diesem Jahr geben ihm recht. 

Zu den Antworten auf die technologische globale Revolution und die neue nationale Unzufriedenheit gehört auch die Devolution von Kompetenzen und Ressourcen in Richtung Kommunen. Städte und Gemeinden als dritte Orte und Ebene des Staates benötigen Experimentierräume und sollten von Gesetzen und Rechtsverordnungen (zeitlich befristet) abweichen können. Instrumente wie Bürgerdialoge und Referenden ergänzen und stärken die parlamentarische (Parteien-)Demokratie. Strittige Fragen wie der Ausbau von Radwegen, der Bau von Unterkünften für Geflüchtete oder der Umbau von Büros in altersgerechte Wohnungen könnten auf diese Weise diskutiert und vorbereitet werden.

„Mehr kommunale Demokratie wagen!“ wird zum Motto einer neuen Bewegung für starke und zukunftsorientierte Kommunen im Jahr 2034. Es hängt von uns ab, ob die 30er zu einem Jahrzehnt des Zukunftsbooms werden. Zukunft fällt nicht vom Himmel, sie ist unser Humus, der Boden, auf dem unsere Füße stehen. Machen wir mehr daraus!