Vater und Sohn lesen Zeitung auf der Couch.
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Informationen aus der Gemeinde

Zeitungssterben: Lokaljournalismus erhalten, Demokratie retten

9. November 2022
Wie wichtig der Lokaljournalismus für die Demokratie ist, zeigen der Oberbürgermeister von Bad Kissingen, Dirk Vogel, und Zukunftsforscher Daniel Dettling gemeinsam auf. Im Gastbeitrag erklären sie, wie die Lokalzeitungen mit GEZ und Google aus der Krise kommen können.

Früher war das Lesen einer Lokalzeitung eher eine nüchterne Angelegenheit. Berichte über die hiesigen Vereinssitzungen wechselten sich mit Verkehrsunfällen, häufig unter Wildbeteiligung, ab. Der schnöde Provinzalltag existiert in den Lokalmedien immer seltener. Der Bericht über die Gemeinderatssitzung weicht den zunehmenden Klagen über die Schließung des Traditionslokals, des Bäckers oder des Metzgers um die Ecke. Berichte über Baustellen werden ergänzt um Frusttiraden der Anwohnerschaft. Titelseiten werden nicht mehr an tagesaktuelle Anlässe, sondern an selbst recherchierte Themen vergeben. Die Zentrale gibt am Ende mit fetzigen Überschriften dem Onlineartikel noch den richtigen Dreh, damit er angeklickt und bezahlt wird. Der Trend scheint unaufhaltsam: Die Berichterstattung der Lokalpresse wird emotionaler.

Anzeigenschwund befördert das Zeitungssterben

Der Paradigmenwechsel ist Folge des nackten Überlebenskampfs einer schrumpfenden Branche. Vor allem der rapide Anzeigenschwund der Unternehmen macht dem Lokaljournalismus zu schaffen. Die Zahl der Vollzeitbeschäftigten in deutschen Medienhäusern ist mit 13.000 so niedrig wie noch nie. Zwischen 2013 und 2020 hat sich der Umsatz der Zeitungen mit Anzeigen von 2,4 Milliarden Euro auf 1,5 Milliarden Euro fast halbiert. Viele lokale und regionale Zeitungen müssen auch online aktiv sein: Der Kampf um Klicks und Posts steht im Wettbewerb zu privaten Posts um Aufmerksamkeit.

Kontroverse Debatten unerwünscht

Die Folgen sind längst in der Gesellschaft angekommen. Laut einer Allensbach-Befragung vom Juli ist jeder Zweite überzeugt, dass sich die Meinungen hierzulande unversöhnlich gegenüberstehen, in Ostdeutschland sind es sogar 57 Prozent. Und nur jeder Vierte in Westdeutschland nimmt die Gesellschaft als eine tolerante wahr, in Ostdeutschland ist es jeder Zehnte.  Das Interesse, sich mit anderen Meinungen und Positionen auseinanderzusetzen, ist in den letzten Jahren gesunken. Nur etwas mehr als jeder Dritte tauscht sich gerne mit Andersdenken aus; vor drei Jahren war es noch fast jeder Zweite. Fast ebenso viele glauben nicht, dass sich durch kontroverse Debatten Fortschritte und Kompromisse erzielen lassen.



 

Daniel Dettling
Zukunftsforscher Daniel Dettling

Vor allem Ostdeutsche und einkommensschwächere Schichten zweifeln am Wert der Debatte. Wir wissen seit langem durch die Studien des Bielefelder Soziologen Wilhelm Heitmeyer, dass gerade in Regionen mit einer hohen Abwanderung die Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit gegenüber Minderheiten anstieg. Hinzu kommt, dass immer mehr Bürger überprüfbare Fakten zur Ansichtssache erklären. Nicht einmal jeder Zweite ist der Auffassung, dass es bei vielen Themen nachweisbare Fakten gibt. Menschen, für die die Unterscheidung zwischen Fakten und Fiktion und zwischen wahr und falsch nicht existiert, hat Hannah Arendt 1951, wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg mit mehr als 60 Millionen Toten, als „ideale Untertanen totalitärer Herrschaft“ bezeichnet. Ohne Faktenorientierung und Bereitschaft zur kontroversen Debatte kann aber keine lokale Demokratie existieren.

Lokale Presse und Demokratie

Wir dürfen die Zukunft der lokalen Presse und Demokratie aber nicht den Propagandisten überlassen. Auch die Produzenten von Fake-News sollten nicht das Ruder übernehmen und wir sollten die Lokalpresse nicht weiter zu ökonomisch getriebenen Verstärkern einer polarisierten Gesellschaft werden lassen. Dafür braucht es mehr als Sonntagsreden und Absichtserklärungen. Gemeinwohlorientierte Medien vor Ort sind in Zukunft noch wichtiger als früher. Ähnlich wie Theater, Opernhäuser, Schulen und Schwimmbäder lassen sie sich offenkundig nicht ausreichend am Markt finanzieren. Lokaljournalismus ist Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge.

Dirk Vogel Oberbürgermeister Bad Kissingen
Dirk Vogel, Oberbürgermeister von Bad Kissingen

Mehr konstruktiven Journalismus

Wir brauchen einen konstruktiven Journalismus als Antwort auf den mancherorts zunehmenden destruktiven Journalismus, vor dem Ulrich Haagerup, der frühere Infochef des dänischen Rundfunks und Autor des Buches „Constructive News“, bereits vor Jahren warnte: „Unsere Nachrichten lassen die Menschen depressiv werden – oder sie wenden sich von den traditionellen Medien ab. Wir zeichnen eine Welt von Selbstmordattentätern, Kriminellen, politischem Streit, Problemen von Minderheiten und Interessengruppen, die vor den Übeln dieser oder jener Gesetzesinitiative warnen.

Guter Journalismus bedeutet aber, die Welt mit beiden Augen zu sehen.“ Konstruktiver Journalismus ist zuversichtlich und beschreibt auch eine bessere Zukunft, er setzt auf kooperatives Denken und Lösungen. Lokaljournalismus braucht ein Minimum an finanzieller Unterstützung, um das Marktversagen zumindest teilweise zu kompensieren. Bürger- und Leserforen könnten das Miteinander zwischen Politik und Öffentlichkeit verbessern und für. bessere Debatten und eine intelligentere Demokratie sorgen. Statt als Alibiveranstaltung fungieren diese Foren als dritte Akteure neben Herausgeber und Redaktion.

Zeitungstapel

Meinungs- und Pressefreiheit bewahren

Sie sind die beiden Seiten derselben Grundrechte: Meinungs- und Pressefreiheit. Beide leben von Voraussetzungen, die der Staat – und damit wir alle – garantieren müssen. Presse und Demokratie haben ihren Preis, vor allem dann, wenn der Markt es den Akteuren nicht ermöglicht, die demokratietheoretisch notwendige Funktion auch tatsächlich zu erfüllen. Statt die Beiträge für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abzuschaffen oder einzufrieren, wie es von vielen jetzt gefordert wird, geht es darum, diese auch auf der lokalen und regionalen Ebene für einen konstruktiven Journalismus zu verwenden. Warum nicht den Rundfunkbeitrag für das Minimum einer Finanzierung der lokalen Presse verwenden, sobald eine Unterversorgung festgestellt wird? Warum nicht digitale Werbeplattformen wie Facebook und Google zu einer Abgabe verpflichten, die lokalen, regionalen und gemeinwohlorientierten Presseerzeugnissen zugutekommt?

Demokratie braucht einen vielfältigen und konstruktiven Journalismus vor Ort, um das Dilemma der Wissensgesellschaft zu lösen: Wir haben so viele Informationen und so wenig Vertrauen in Politik und Journalismus wie nie zuvor. Aber ohne vertrauenswürdige Akteure und Absender und mehr Beteiligung geht eine Demokratie auf Dauer kaputt. Auch die deutsche.

Dirk Vogel ist Oberbürgermeister von Bad Kissingen. 

Daniel Dettling ist Trend- und Zukunftsforscher und leitet das von ihm gegründete Institut für Zukunftspolitik.