Böblingen hat kostenlose Corona-Schnelltests eingeführt und ist erfolgreich.
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Massentests

Das Wunder von Böblingen

Kostenlose Corona-Schnelltests für Alle. Für das Ziel hat der Landkreis Böblingen früh auf eigene Kosten fünf Schnelltestzentren geschaffen und massenhaft Schnelltests eingekauft. Der Erfolg: Innerhalb von drei Wochen sank der Inzidenzwert trotz massiv steigender Testungszahlen unter den Wert von 35. KOMMUNAL-Exklusiv-Interview mit dem Macher, Landrat Roland Bernhard.

Mitte Februar hatte der Landrat in Böblingen ein Projekt gestartet, das es bis dahin in Deutschland noch nicht gab. Auf die Idee

brachten ihn einige Ärzte und Apotheker im Ort. Ihr Ziel: Möglichst viele Schnelltests an die Bürger zu verteilen. Denn getestet wurde - so ihre Einschätzung - meist erst, wenn es vermeintlich zu spät ist, sprich: Wenn es einen Verdacht auf das Corona-Virus gibt. Das Problem: Die Kosten der Schnelltests, so lange sie nur in geringen Stück- zahlen in den Apotheken verkauft werden. So überzeugten sie den Landrat, die Kosten zu übernehmen und jedem Bürger ein Angebot zu machen, sich mehrmals in der Woche testen zu lassen. Fünf Zentren richtete der Landkreis ein, immer angebunden an eine Arztpraxis. Per Handy konnte jeder Interessierte Termine vereinbaren - die Wartezeit: weniger als vier Minuten. Schlägt der Schnelltest an, folgt zur Sicherheit ein sicherer PCR-Test. Das Ergebnis: Nur eine Woche nach dem Start der Testphase war der Inzidenzwert im Landkreis von 46 auf 31 gesunken. Die Preise für Schnelltests sanken rapide.

Wir haben mit dem Landrat, Roland Bernhard gesprochen:  

Herr Bernhard, ihr Landkreis hat sich entschieden eine eigene Teststrategie als Pilotprojekt zu starten – Was hat Sie dazu bewegt?

Das ist ganz einfach: Wir haben schnell begriffen, dass das frühzeitige Testen ein Schlüssel für die Öffnung ist. Die Impfungen laufen zu langsam und solange das so ist, müssen wir mit dem Testen schneller werden. Das haben wir dann einfach umgesetzt, ohne groß zu fragen.

Kurz vor Weihnachten haben wir das erste Testzentrum in Holzgerlingen geöffnet. Der Erfolg hat uns in der Entscheidung bestärkt, das Angebot flächendeckend auf den Kreis auszudehnen. Wir haben in der Folge vier  weitere Testzentren aufgebaut. Mit Eröffnung des 5. Testzentrums am  8. Februar haben wir die Tests dann kostenfrei angeboten.

Hatten Sie dabei keine Angst, dass das die Inzidenzzahlen in die Höhe treiben könnte?

Das Risiko besteht natürlich. Aber was ist die Alternative? Wenn man weniger testet und so auch weniger Corona-Infizierte isoliert, steigen die Zahlen vielleicht erst später, dafür aber noch viel stärker.

Und wie haben sich die Inzidenzzahlen entwickelt, seit sie die Tests kostenlos anbieten?

Zunächst war die Entwicklung positiv. Kurz bevor wir die kostenlosen Tests angeboten haben, lag unsere 7-Tage-Inzidenz bei 47. Eine Woche danach waren wir runter bis auf 31 – ein großer Erfolg.

Zuletzt sind unsere Zahlen leider wiedernach oben gegangen. Wir haben Ausbrüche in drei Pflegeheimen,. In einem Heim mussten wir die Erstimpfung verschieben, weil es bereits zu viele Fälle gab, in einem weiteren Heim haben wir die brititsche Mutation festgestellt.  . Das hat unsere Inzidenz jetzt natürlich nach oben getrieben, aber sie wird  auch schnell wieder sinken, weil wir kein diffuses Infektionsgeschehen haben, sondern die Ausbrüche benennen können. Die hohen Zahlen haben auch nichts mit unserer Teststrategie zu tun.

Auch in Böblingen gab es Probleme - vor allem in Pflegeheimen 

Wie kommt es, dass in den Pflegeheimen noch so viele Senioren ungeimpft waren?

Es war nur ein Heim, in dem die Erstimpfung noch nicht gelaufen war. Wir reden hier immer noch von einer Mangelverwaltung beim Impfstoff.. Deshalb war unser Landkreis auch der einzige, der sein Kreisimpfzentrum drei Wochen später geöffnet hat. Wir haben uns dazu entschieden, den knappen Impfstoff zunächst in die Mobilen Teams und damit in die Altenpflegeheime zu geben. Trotzdem waren wir teilweise zu spät; das bedaure ich sehr.

Zurück zur Teststrategie: Was kostet die Strategie den Landkreis?

Wir haben als Kreis ursprünglich eine Summe von 250.000 Euro veranschlagt. Das sollte die Kosten für das einmonatige Pilotprojekt vom 8. Februar bis zum 8. März decken. Nun ist es aber so, dass der Bund ab dem 1. März kostenlose Schnelltests bereitstellt. Die Kosten werden also geringer sein. Nach der ersten Woche, in der für den Landkreis rund 2.500 Tests à 18 Euro angefallen sind, waren wir bei Kosten von 45.000 Euro für die Tests.

Wie viele Menschen haben sich kostenlos testen lassen?

In der ersten Woche haben sich 3.100 Menschen testen lassen. 600 von ihnen fielen unter die Bundestestverordnung, die übrigen 2.500 wären vorher Selbstzahler gewesen, für die der Kreis nun die Kosten übernimmt. Das sind Menschen, die asymptomatisch waren und trotzdem sichergehen wollten. Insgesamt konnten wir in unseren Schnelltestzentren seit Beginn am 21.12.2020  123 Menschen rausziehen, die keine Symptome hatten und trotzdem positiv auf das Coronavirus getestet wurden. Das klingt nicht nach einer großen Zahl, aber wir haben da an 123 Stellen Infektionsketten unterbrochen. Das ist eine wichtige Leistung und zeigt, dass unsere Strategie erfolgreich ist.

Schnelltests sind in Böblingen gar kein Problem - die Beschaffung klappt reibungslos, der Markt ist voll...

Haben Sie Probleme dabei ausreichend Schnelltests vorzuhalten?

Nein, Tests sind auf dem Markt ausreichend vorhanden.

Kann der Bedarf an Schnelltests auch personell gut bedient werden?

In den Schnelltestzentren arbeitet jeweils pharmazeutisches Personal mit vielen Ehrenamtlichen der jeweiligen DRK-Ortsverbände. Da haben wir eine sehr gute Kooperation.

Was müssten aus Ihrer Sicht Bund und Land tun, um die Testungen stärker zu unterstützen?

Wir hatten zwei Anliegen, von denen der Bund nun eins umgesetzt hat: Das war die kostenlose Testung. Wir haben allerdings ein weiteres Anliegen, bei dem bisher noch nichts passiert ist. Wir brauchen verlässliche Rahmenbedingungen für das Testen. Es gibt bisher keine gesetzlich geregelten Zuständigkeiten. Wer hat den Hut auf? Die kassenärztliche Vereinigung? Landkreise? Städte und Gemeinden? Wie das Testen dann konkret vor Ort umgesetzt wird, sollte Sache der Kreise, Städte und Gemeinden sein. Aber es muss klar sein, wie die Verantwortlichkeiten geregelt sind. Um schnell und flächendeckend testen zu können, müssen Personal und Räume gefunden werden. Die nötigen Strukturen existieren noch nicht und das ist ein Problem. Es wäre ein Irrglaube anzunehmen, dass man alle Bürger in Apotheken und Arztpraxen testen kann.