Analyse
Wo die Sehnsuchsorte zum Wohnen liegen
Die neue Lust aufs Land ist nicht mehr wegzudiskutieren. "In den meisten Fällen werden die hohen Wohnungspreise als Erklärung herangezogen. Als weiterer Push-Faktor gilt die stetig wachsende Dichte der großen Städte mit all ihren Nebenwirkungen wie mehr Verkehr, stärker frequentierten öffentlichen Räumen oder überlasteter Infrastruktur", sagt Peter Jakubowski, Leiter Abteilung Raum- und Standentwicklung im Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). "Aktuelle Umfragen zeigen, dass junge Menschen im Anschluss an ihre Ausbildung lieber suburban als urban leben möchten." Das Institut ist jetzt in einer aktuellen spannenden Analyse der Frage nachgegangen: Was reizt am Wohnen auf dem Land oder zumindest in kleineren Städten?"
Landleben: Entscheidung rational bewertet
Wie gingen die Experten vor? Die Wissenschaftler haben untersucht, wie das Leben außerhalb der großen Städte ganz rational bewertet werden. Sie taten das über einen Attraktivitätsindex, über den sie die Attraktivität von Städten und Gemeinden verglichen haben. Dieser Index ergibt sich aus 23 Indikatoren, die sieben Dimensionen zugeordnet sind: Wohnkosten absolut, Wohnkosten relativ in Differenz zu teuren Großstädten, digitale Infrastruktur, Wohnstandorteigenschaften, wohnortnahe Versorgungsqualität, überörtliche Versorgungsqualität, Freizeit und Kultur.
In Befragungen wurden zudem Wohnwünsche oder Präferenzen benannt, die Fakten wie zum Beispiel hohe Preisniveaus zunächst ausblenden. "Nur so ist zu erklären, dass Hamburg als beliebteste Großstadt unter den zehn größten Städten direkt von München gefolgt wird", so die Experten.
Die Untersuchungen zeigen, dass es die kleinen Sehnsuchtsorte außerhalb der großen Städte durchaus gibt, bei denen alles vorhanden ist, was Wohnstandorte attraktiv macht. So gehören beispielsweise Städte wie Dingolfing, Donauwörth, Günzburg und Lauingen unter den kleinen Mittelstädten bundesweit zu den Spitzenreitern in Sachen Wohnattraktivität. Doch es gibt noch viel mehr solcher Kommunen, die als Wohnort punkten können.
München als Wohnort unattraktiv
Unter allen zehn Städte weist München mit Abstand den niedrigsten Indexwert auf. Die hohen Wohnkosten machen nicht nur die Stadt selbst, sondern mittlerweile auch ihr direktes Umland als Wohnstandort unattraktiv. So finden sich erst in weiterer Entfernung zu München Städte und Gemeinden mit überdurchschnittlichen Indexwerten, vor allem östlich und westlich der Großstadtregion.
Für Stuttgart wurde der zweitniedrigste Indexwert ermittelt und auch innerhalb der Großstadtregion gibt es nur wenige Orte, die hohe Werte erreichen, beispielsweise Pforzheim. Doch es gibt außerhalb der Großstadtregion viele Städte und Gemeinden in Ostwürttemberg und im Schwarzwald, die beim Indexwert einen deutlichen Abstand zur Landeshauptstadt Stuttgart zeigen.
Frankfurt und Düsseldorf weisen ähnlich niedrige Indexwerte auf wie Stuttgart. Während im Rhein-Main-Gebiet nur wenige näher gelegene Klein- oder Mittelstädte einen hohen Indexwert erzielen, sind es in der Umgebung von Düsseldorf nicht unbedingt kleinere Orte, die einen hohen Attraktivitätswert erzielen, sondern vor allem die nahegelegenen Großstädte an der Ruhr.
Dabei sind Essen und Duisburg die beiden großen Großstädte mit dem höchsten Indexwert, also am attraktivsten als Wohnstandort. Sie verfügen über weit überdurchschnittliche Werte bei der Versorgungsqualität. Die Städte an der Ruhr haben allerdings trotz jahrzehntelanger Kampagnen noch immer ein Imageproblem und keine kategorisch geringeren Umweltbelastungen oder niedrigere Werte für die (soziale) Dichte als Düsseldorf, so die Experten in ihrem Bericht.
Brandenburg an der Havel und Neuruppin im Kommen
Berlin und Hamburg schneiden dagegen in der Gesamtbewertung deutlich besser ab. Rund um Berlin finden sich allerdings erst in weiterer Entfernung Städte in der zweithöchsten Attraktivitätskategorie. Darunter sind einige Städte des sogenannten Berliner Städtekranzes Brandenburg an der Havel, Eberswalde und Neuruppin. Außerhalb der Großstadtregion sind es Frankfurt (Oder) und Cottbus.
Sehr attraktiv zum Wohnen: Städte wie Stade und Quickborn
Im direkten Hamburger Umland weisen einige große Kleinstädte und kleine Mittelstädte wie Quickborn und Barmstedt in Schleswig-Holstein oder Buchholz in Niedersachsen einen hohen Attraktivitätsindex auf. Auch am äußeren Rand der Großstadtregion bieten sich einige Mittelstädte wie Itzehoe, Neumünster, Lüneburg und Stade als attraktive Wohnstandorte an.
Im weiteren Hamburger Umland fällt zudem die Kleinstadt Boizenburg/ Elbe in Mecklenburg-Vorpommern mit einem überdurchschnittlichen Indexwert auf. Niedrige Wohnkosten, eine leistungsfähige digitale Infrastruktur und gute Versorgungsmöglichkeiten stehen hier einer starken Hochwassergefährdung mit entsprechenden Einschränkungen der baulichen Flächenentwicklung.
Lauenburg an der Elbe als Kleinstadtperle
Auch Lauenburg/ Elbe in Schleswig-Holstein kann punkten, als „60-Minuten-Stadt“, in der die Angebote schnell erreichbar sind. Der Ort zieht durch neue Baugebiete Familien an. Dennoch, so die Forscher, erfülle Lauenburg die gewählten Attraktivitätskriterien nur durchschnittlich. Dafür punktet es bei der digitalen Infrastruktur und wird bei Insidern als kleinstädtische Perle im weiteren Umland von Hamburg (max. 60 Pkw-Fahrminuten) gehandelt.
Düren und Siegburg unter den Attraktivitäts-Siegern
Köln erzielt beim Gesamtindex als Wohnstandort ein ähnliches Ergebnis wie Berlin. Hier sind es starke Mittelstädte im weiteren Umland wie Euskirchen, Düren, Gummersbach oder Siegburg, die sehr hohe Indexwerte aufweisen. Vor allem Familien wandern ins Grüne ab. Als Gründe werden vorrangig hohe Mieten und Wohnungsmangel angeführt. Nachbargemeinden wie Bergisch Gladbach,Pulheim, Hürth und Leverkusen profitieren davon am meisten.
Leipzig ist die achtgrößte Stadt Deutschlands und erlangt unter den zehn größten Städten den dritthöchsten Indexwert.
Innerhalb der Großstadtregion weisen nur wenige Städte und Gemeinden einen höheren Wert auf, und auch außerhalb der Großstadtregion haben die meisten Orte einen niedrigeren Indexwert als die Kernstadt Leipzig. Für Mittelstädte wie Wittenberg und Dessau-Roßlau in weiterer Entfernung wurden dagegen deutlich überdurchschnittliche Werte als Wohnstandorte ermittelt.
Diese Faktoren sind wichtig für die Entscheidung, wo die Menschen leben wollen:
- Die angespannten Wohnungsmärkte, vor allen in den Großstädten, erhöhen die Attraktivität preisgünstigerer Standorte. Dazu werden die kommunalen Angebotsmieten sowohl als absoluter als auch als relativer Preis – Differenz zum Preis in der teuersten Kernstadt, die in 90 Minuten mit dem Pkw erreicht werden kann – zugrunde gelegt. Ein passendes Angebot an Wohnungen und Bauland ist also wichtig.
- Die Baulandpreise. SIe wurden bei der Bewertung für den Index zweifach berücksichtigt. Sie decken sich zwar grob mit den Angebotsmieten, haben sich im Laufe der 2010er-Jahre jedoch nochmal stärker verteuert als die Preise für Häuser und Wohnungen, die wiederum stärker als die Angebotsmieten neu zu vermietender Wohnungen stiegen
- Eine leistungsfähige digitale Infrastruktur wird zu einem Faktor für die Zukunftsfähigkeit von städtischen und ländlichen Standorten.
- Die Möglichkeiten einer wohnortnahen Versorgung ist ein essentieller Bestandteil von Lebensqualität.Dazu werden üblicherweise etwa zehn Minuten Fußweg oder 500 bis 1.000 Meter als Zielvorgabe angesehen, um Güter des täglichen Bedarfs zu kaufen. Neben Lebensmittelmärkten wurden auch Apotheken, Hausärzte, Grundschulen und der Zugang zum öffentlichen Verkehr als Angebote des täglichen Bedarfs betrachtet.
- Bei der Wohnortwahl spielen Preise eine Rolle, aber auch Freiräume oder die Angebote zum individuellen Wohnen in Einfamilienhäusern. Diese Einflussfaktoren sind vor allem für jüngere Menschen relevant. Ebenfalls sind die klassischen Erreichbarkeiten von Bedeutung, wie zum Beispiel Wege zur Nahversorgung oder zu weiterführenden Schulen.
"Die Untersuchungen zeigen, dass es sie gibt, die kleinen Sehnsuchtsorte außerhalb der großen Städte, bei denen alles vorhanden ist, was Wohnstandorte attraktiv
macht", so der Abteilungsleiter des BBSR, Peter Jakubowski. "Es sind aber längst nicht alle kleineren Städte und Gemeinden gleichermaßen attraktiv. Und das gilt schon gar nicht pauschal für das „Land“ außerhalb der Großstadtregionen. Umgekehrt sind große Städte – wenig überraschend – nicht durchweg unattraktiv."
Was zum guten Wohnen gehört
Der Experte des Instituts gibt zu bedenken: "Ob die hier ermittelten attraktiven Wohnstandorte dann tatsächlich wachsen, wer dort hinzieht oder dort aus Überzeugung bleibt, hängt von einer Fülle weiterer Faktoren ab: An erster Stelle steht dabei ein passendes Angebot an Wohnungen und Bauland." Zusätzlich spielen Qualitäten eine Rolle, die eng mit der – teils verklärten – Sehnsucht auf ein gutes Wohnen verbunden sind: eine funktionierende Nachbarschaft oder ein passendes Image der neuen Umgebung. "Darauf haben Kommunen zwar nur begrenzt Einfluss, aber ohnmächtig sind sie nicht", betont Jakubowski. Er rät: "Sie könnten versuchen, neue Wege zu gehen, indem sie jenseits der Standardangebote zum Beispiel Wohnprojekte fördern, die engere Nachbarschaften kreieren und imagefördernde Akzente setzen."
Die Analyse des BBSR als PDF