Windeln gegen Leerstand

Über Wohnungsmangel wird in Deutschland viel diskutiert. Doch nicht überall stehen Wohnungssuchende Schlange. Mancherorts locken daher ausgefallene Geschenke oder gar dicke Prämien. Ein Überblick

Mit Windeln gegen Leerstand - es gibt viele Möglichkeiten, junge Familien anzulocken

„Es ist so gedacht, dass das Geld dem Kind zu Gute kommen soll: Die Eltern sollen damit etwas für ihr Kind finanzieren, was sie sich sonst nicht leisten könnten,“ sagt Ulrich Rank, der stellvertretende Kämmerer der Gemeinde. Aus Sicht der Kommune hat sich die Einführung dieser Eigenleistung bewährt. „Wir sind sehr zufrieden damit“, so Rank. „Das kommunale Erziehungsgeld ist einer der weichen Standortvorteile, den wir uns geschaffen haben.“ Zumal das Geld laut einem Rundschreiben aus dem bayerischen Finanzministerium auch noch steuerfrei ist. „Unsere Familienfreundlichkeit hat sich in der Region herumgesprochen“, sagt Rank. „Das ist eine gute Investition in die Zukunft und trägt sicher dazu bei, dass sich Menschen bewusst dafür entscheiden, nach Grünwald zu ziehen oder hier ihr Unternehmen anzusiedeln.“
Die Stadt Werdohl im Sauerland geht einen anderen Weg. „Im Kampf um Mieter brauchen wir pfiffige Angebote“, so der Geschäftsführer der dortigen Wohnungsbaugesellschaft, Ingo Wöste. Geboten werden unter anderem kostenlose Energieberatungen, DHL-Paketkästen im Haus und ein 24-Stunden-Hausmeisternotdienst. Auch die Bindung an die Nachbarschaft soll über Mietermagagzine und diverse Freizeitangebote erhöht werden. In Recklinghausen geht die örtliche Wohnungsbaugesellschaft mit „Windeln“ gegen den Leerstand vor. Bei Geburt eines Kindes erhalten Mieter eine „Babybox“ unter anderem mit Holzrasseln und Steckdosensicherungen.
Landauf, landab beliebt sind außerdem Kooperationen mit anderen Unternehmen – etwa Kabelfernseh- oder Pay-TV Gesellschaften oder auch Rabatte für den Möbelkauf bei Umzug in die entsprechende Stadt.
Wo Mieter noch mit günstigen Zusatzangeboten gelockt werden, greifen Kommunen bei potentiellen Häuslebauern meist noch deutlich tiefer in die Tasche. Das südbrandenburgische Großräschen, eine 8.700 Einwohner zählende Kleinstadt im Braunkohlerevier der Lausitz, zahlt ein Baukindergeld. „Wenn sich junge Leute im Stadtgebiet ein Haus bauen, sollen sie pro Kind einmalig 500 Euro als Dankeschönprämie bekommen“, sagt Bürgermeister Thomas Zenker. „Bei zwei Kindern kann man von diesem Geld dann schon das Kinderzimmer einrichten.“ Die Motivation dahinter ist ähnlich wie in Grünwald: Junge Familien sollen in der Stadt Wurzeln schlagen. „Für Familien, die eine Mietwohnung beziehen, gab es schon verschiedene Fördermöglichkeiten“, sagt Zenker. „Aber wer ein Haus baut, schlägt ja noch viel festere Wurzeln und bekennt sich zur Stadt und der Region.“ Denn ein eigenes Haus und ein im Eigentum befindliches Grundstück hätten nun einmal ein höhere Bindungswirkung als eine Mietwohnung.
500 Euro pro Kind ist dabei im Vergleich zu anderen Städten noch eine sehr kleine Summe. Denn nicht nur Großräschen bietet Bares. Der „Aktion pro Eigenheim“ zufolge, die auf ihren Internetseiten eine entsprechende Datenbank betreibt, vergeben in Deutschland mittlerweile insgesamt 730 Kommunen ein Baukindergeld oder ähnliche Fördermittel für zuzugswillige Familien. Auch die zehnfache Summe – also 5000 Euro pro Kind – sind keine Seltenheit. Ein Überbietungswettbewerb um junge Familien mit klarem geographischem Schwerpunkt im reichen Süden Deutschlands: Während im Postleitzahlbezirk 1, der Mecklenburg-Vorpommern, Teile Brandenburgs und Berlin umfasst, gerade einmal sieben Kommunen in der Datenbank der „Aktion Pro Eigenheim“ erfasst sind, sind es im Bezirk 7, dem Land Baden-Württemberg, über 200 Städte und Gemeinden, die junge Familien mit entsprechenden Prämien unterstützen. Der Zusammenhang zur wirtschaftlichen Leistungfähigkeit der Region ist offensichtlich. So hat die inzwischen unter 10.000 Einwohner zählende Stadt Wunsiedel, die über acht Jahre hinweg ein Baukindergeld von 5000 Euro je Kind für Häuslebauer zahlte, die Leistung aus Kostengründen wieder eingestellt. „630 Personen haben das Geld in Anspruch genommen“, so Stadtsprecherin Inge Schuster. Waren es im Jahr 2007 noch 16 Anträge, so wurden 2013 bereits 170 Anträge bewilligt. Doch Wunsiedel ist hochverschuldet und hat die Leistung daher wieder gestrichen. Großräschen hat das Projekt bis zum kommenden Jahr begrenzt und will dann Bilanz ziehen. Denn was ist, wenn die Familien plötzlich ein gutes Jobangebot aus Hamburg, Dresden oder Berlin erhalten, und weiterziehen wollen? „Dann muss man das respektieren“, sagt Zenker aus Großräschen. „Wer sich dafür entschieden hat, einen Kredit aufzunehmen, ein Haus zu bauen, und dort einzuziehen, der hat im Regelfall schon eine langfristige Planung – wenn sich daran durch einen neuen Arbeitsplatz oder andere Umstände etwas ändert, ist das meist nicht vorhersehbar gewesen.“ Das weiß auch die Stadt Kaufbeuren, ist aber dennoch mit ihrem Programm zufrieden. „Immer mehr junge Familien interessieren sich für das Leben in unserer Kommune und lassen sich hier nieder“, berichtet Peter Igel von der Stadtverwaltung Kaufbeuren.
Doch was die Unterstützer von Baukindergeldern meist verschweigen: Jede Entscheidung für eine Kommune ist auch immer eine Entscheidung gegen einen anderen Wohnort. Die freiwilligen Zusatzleistungen der Kommunen, die um die Gunst junger Familien buhlen, haben auch den Effekt, dass Familien mit Kindern anderswo wegziehen, weiß man beim Deutschen Städte- und Gemeindebund. „Grundsätzlich sind natürlich alle Maßnahmen, die dazu führen, dass Familien mit Kindern in eine Kommune ziehen, zu begrüßen“, sagt der Referatsleiter beim Städte- und Gemeindebund, Alexander Handschuh. Das gelte etwa für besonders gut ausgebaute Kindertagesstätten oder die Arbeit lokaler Bündnisse für Familie. „Wir wissen, dass in einer Reihe von Kommunen auch die Geldprämien geübte Praxis sind – aber das ist nichts, was wir besonders befürworten würden.“ Denn würden alle Kommunen solche Prämien zahlen, würde sich ein unguter Konkurrenzkampf zwischen Deutschlands Städte und Gemeinden entwickeln: „Kommunen, die über besonders hohe Steuereinnahmen verfügen, haben natürlich auch größere Summen für freiwillige Leistungen zur Verfügung“, sagt Handschuh. „Das verschärft dann perspektivisch die Spaltung zwischen den eher armen und eher reichen Kommunen: Was beim Geld beginnt, endet zum Schluss bei der Demographie.“ Arme Kommunen wären dann nicht nur arm, sondern auch überaltert, weil junge Familien dorthin zögen, wo es eben das beste Angebot gibt. „Wir würden da wohl sagen, dass das Geld, das die Kommunen heute an junge Familien auszahlen, mancherorts besser in einer guten Betreuungsinfrastruktur investiert wäre.“
Inzwischen gibt es übrigens einen noch neueren Trend. Nicht mehr nur Familien mit Kindern stehen im Fokus. Manche Kommune bemüht sich inzwischen auch, Senioren im Ort zu halten. So gibt es in Recklinghausen auch ein Programm mit rund 2000 seniorengerechten Wohnungen. Die Zielgruppe werde immer größer, heißt es bei der örtlichen Wohnungsbaugesellschaft, darauf müsse man reagieren. Zudem seien Senioren in der Regel sehr treue und zahlungswillige Mieter. „Stützstrümpfe statt Windeln“, soweit ging bisher jedoch noch keine Kommune – noch nicht.
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