Amts-Ethos statt "Fachidioten" - Christian Erhardt wirbt für einen neuen Typus Verwaltungsmitarbeiter
Amts-Ethos statt "Fachidioten" - Christian Erhardt wirbt für einen neuen Typus Verwaltungsmitarbeiter
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Leitartikel

Verwaltung braucht einen neuen Amts-Ethos!

Wenn Verwaltung strikt nach Vorschrift arbeitet, wird sie in kürzester Zeit arbeitsunfähig sein. Vom „überforderten Bürokratiemonster Deutschland“ ist oft die Rede. Das eigentliche Problem jedoch: „Fachliche Entscheidungen werden zu oft dem politischen Kalkül geopfert. Deutschlands Rathäuser dürfen ausschließlich dem Bürger verpflichtet sein, fordert Christian Erhardt.

Wie soll sich das mit einem Amts-Ethos vertragen? Anfang Dezember erklärte die Friedhofsverwaltung in Berlin-Mitte, sie habe „aus technischen Gründen“ von Mitte Dezember bis Anfang Januar geschlossen. Selbst Tote müssen nun also schon auf Termine warten, war meine erste Reaktion. Nun handelt es sich mal wieder „nur“ um die Verwaltung im „Hauptstadtslum“, der Stadt in der auch Schulen zu Baracken der Bildung verkommen, in der Schultoiletten eher einem biologischen Kampfmittel-Labor gleichen, der Stadt, die nur noch mit den Achseln zuckt, wenn mir mein Fahrrad gestohlen wird. Kurzum: Wenn Behördenversagen einen Namen hat, dann heißt es Berlin.

Doch je weiter man auf die lokale Ebene heruntergeht, desto besser funktioniert dieses Land bekanntlich noch. Die freiwillige Feuerwehr im Ort putzt noch regelmäßig ihre Fahrzeuge, im „Hofladen um die Ecke“ zahlen die Menschen noch ordentliche Preise für ihre Kartoffeln, ohne nach dem nächsten „Mega-Preisdeal“ Ausschau zu halten. Und doch ist auch die lokale Ebene gefährdet, trauen dem Rathaus vor Ort immer mehr Menschen nicht mehr viel zu. Denn Menschen sehen das Versagen vor allem auf den oberen Ebenen, sehen die Kaltschnäuzigkeit, mit der sich Behörden wegen „Nichtzuständigkeit“ herausreden und sie ahnen was passiert, wenn sie selbst mal Hilfe benötigen.

Amts-Ethos trifft auf Zettelwirtschaft und Nichtzuständigkeit

Welche Probleme Verwaltung auch vor Ort hat, zeigte sich in der Corona-Krise nur zu deutlich. Als ich vergangenen Sommer in meinem Lieblingsrestaurant zur Nachverfolgung einen Zettel mit Namen und Anschrift ausfüllen musste, bevor ich mein Glas Wein bestellte, dann war mir klar: „Unser Gesundheitsamt wird in der Zettelwirtschaft bald ertrinken“. Die Daten werden zwar erfasst, doch an Technik und Personal fehlt es bekanntlich an allen Ecken und Enden. Das Musterland in Sachen Disziplin und Ordnung verheddert sich in Details. Wenn ein neues Baugebiet geplant wird, dauert das Verfahren Jahre. Der übliche Ablauf: Ausweisung, Bürgerbeteiligung, Klage, Abweisung, Umplanung, Aufgabe. Doch woran liegt das?

Meine These: Behörden fühlen sich zu oft der Politik verpflichtet und nicht nur dem Bürger. Keine Frage: Verwaltung braucht politische Kontrolle, fachliche Entscheidungen dürfen aber niemals dem politischen Kalkül geopfert werden. Nur weil etwas politisch gewollt ist, heißt das nicht, dass Verwaltung alles tun muss, um es umzusetzen. Drastisches und tödliches Beispiel dafür war die Love-Parade. Politisch gewollt musste Verwaltung unter Zeitdruck prüfen und handeln, als Ergebnis wäre alles andere als eine Genehmigung nicht durchsetzbar gewesen. Nun funktioniert – und das ist ein Grundpfeiler in der Demokratie – Verwaltung aber nur aus der Bürgerorientierung heraus. Anders als in der Privatwirtschaft ist  der Zugang zu Behörden ist nicht frei handelbar, Verwaltung wird nicht nach Preisen bewertet. Darum ist Verwaltung auch niemals von einer Insolvenz bedroht. Verwaltung ist weder dem Markt noch der Politik verpflichtet, sondern nur demjenigen, der sie bezahlt und beauftragt: Dem Bürger!

Wir sollten die "Skills" unserer Mitarbeiter überdenken - Amts-Ethos statt "Fachidiot" 

Natürlich hat das in den vergangenen Jahrzehnten auch zu den Herausforderungen geführt, vor denen Verwaltung heute steht. Jede Abteilung will logischerweise, dass der eigene Etat wächst, das Budget ist auch Indikator für die Wichtigkeit und nicht zuletzt die Bezahlung der Führungskraft. Hier liegt das Problem: Führung in der Verwaltung verlangt nicht in erster Linie nach einer „politischen Orientierung“, sondern nach einem Amts-Ethos! Nicht das Finanzwissen ist der wichtigste „Skill“ des Verwaltungsmitarbeiters. Größere Entscheidungsbefugnisse müssen mit großem Urteilsvermögen verbunden sein. Die menschliche, persönliche Eignung ist weit wichtiger als das Fachwissen.

Die Fragmentierung von Zuständigkeiten in der Verwaltung hat dazu geführt, dass oft unklar ist, wer für was verantwortlich ist. So stiehlt sich jeder aus der Verantwortung. Wir brauchen nicht nur „Fachwissen“ sondern vor allem „Generalisten mit Eigenverantwortung“! Das verstehe ich unter einem Berufs-Ehtos, genau darum macht auch die Verbeamtung von Mitarbeitern im Rathaus Sinn. Natürlich muss Verwaltung mechanisch arbeiten, ohne Ansehen einer Person, trotzdem muss sie auch dem Einzelfall gerecht werden. Und der ist im Zweifel komplizierter als die Vorschriften. Wenn Verwaltung – wie auf höheren Ebenen immer mehr üblich – rein nach Vorschrift arbeitet, ist sie in kürzester Zeit arbeitsunfähig. Die Fähigkeit, eigenverantwortlich zu handeln und Vorschriften auszulegen, hat eben viel mit Berufs-Ethos zu tun!

Am Ende beurteilen die Bürger ihre Verwaltung nach der Frage: „Kümmern die sich um mich?“ Wenn mir also das Fahrrad gestohlen wird, dann erwarte ich Handlungsfähigkeit und nicht die Ansage, dass die Aufklärungsquote ohnehin nahe Null Prozent liegt. In diesem Sinne: Kümmern wir uns um die Menschen!