Außenansicht Universitätsschule
Der Neu- und Altbau der Universitätsschule in Dresden - hier werden neue Lernkonzepte erprobt.
© Universitätsschule Dresden

Schulversuch

Universitätsschule in Dresden stellt Schulsystem auf den Kopf

Angesichts des Lehrermangels stehen viele Regelschulen vor der Frage, wie es weitergehen soll. An der Universitätsschule in Dresden werden spannend andere Konzepte erprobt. "Noch ist es ein Schulversuch, doch viele Regelschulen interessieren sich dafür", sagt Schulleiterin Maxi Heß. „Wir haben ganz viele Anfragen von Schulen“, erzählt die Leiterin.

Angesichts des Lehrermangels stehen viele Regelschulen vor der Frage, wie es weitergehen soll. An der Universitätsschule in Dresden werden spannende andere Konzepte erprobt. "Noch ist es ein Schulversuch, doch viele Regelschulen interessieren sich dafür", sagt Schulleiterin Maxi Heß. „Wir haben ganz viele Anfragen von Schulen“, erzählt die Leiterin. Keine Noten, kein Frontalunterricht und variable Urlaubstage statt fixer Ferien: An der Universitätsschule in Dresden sind Dinge möglich, von denen Schüler und Lehrer andernorts nur träumen. Doch der Schulversuch soll auch Erkenntnisse für Regelschulen bringen. Die Nachfrage nach alternativen Modellen dort ist groß, ganz besonders angesichts des Lehrermangels.

Universitätsschule fördert Inklusion

„Inklusion statt Selektion, maximale Individualität statt homogener Gruppen“ – das sind laut der Schulleiterin Maxi Heß die Kernziele der 2019 gegründeten Universitätsschule in Dresden. Gelingende Inklusion bedeutet konkret: „Ich begleite jeden Schüler ausgehend von seiner Ausgangslage bestmöglich, ganz gleich, ob ein Autismus, eine Hochbegabung oder Trisomie 21 vorliegt oder ein Schüler unter Anführungszeichen normal ist“, sagt Heß. So seien die Gruppen an der Schule bewusst heterogen und die Schule grundsätzlich offen für Schüler mit jedem Hintergrund.

Zusammenarbeit von Landeshauptstadt und TU

Angelegt als gemeinsames Projekt der Landeshauptstadt Dresden und der Technischen Universität Dresden, ist die Universitätsschule eine öffentliche und kostenfreie Schule in städtischer Trägerschaft. Nachdem die Bildungseinrichtung im Schuljahr 2019/20 mit den Jahrgangsstufen 1, 2, 3 und 5 gestartet ist, ist seit dem Schuljahr 2022/23 eine Gemeinschaftsschule (Jahrgang 1 bis 12) im Aufbau. Aktuell lernen hier etwa 735 Kinder in den Klassenstufen 1 bis 9. Im Schuljahr 2023/24 legten die ersten Schülerinnen und Schüler die Hauptschulprüfung ab, auch der Realschulabschluss im aktuellen Schuljahr und später das Abitur sollen erreicht werden können. Rund 850 Schüler, 60 Lehrer und 15 Erzieherinnen werden im kommenden Schuljahr an der Schule aktiv sein, nach 15 Jahren soll die Universitätsschule eine Stadtteilschule werden, möglicherweise auch als ständige Versuchsschule der TU Dresden.

Schulversuch wird wissenschaftlich begleitet

Angehängt an die praktische Arbeit an der Universitätsschule ist ein aktuell für 15 Jahre genehmigter Schulversuch. Dieser ermöglicht laut Heß eine Langzeitbeobachtung der Arbeit durch die Technische Universität Dresden, wobei Forschung und Praxis „auf Augenhöhe stattfinden und in dauerndem Austausch“ sein sollen, wie Heß sagt. Eines der Hauptziele sei es dabei, trotz aller Individualisierung Prozesse und Material zu standardisieren und Erkenntnisse zu dokumentieren, die auch für andere Schulen von Nutzen sein können. Wie etwa funktioniert Projektarbeit am besten? Welche Kommunikationsstrukturen bewähren sich zwischen Lehrern, Schülern und Eltern? Wie laufen Konferenzen am effektivsten ab und wie sollten Räume eingerichtet sein, damit die Schüler bestmöglich und selbstständig darin lernen? All das sind laut Heß Fragen, auf die an der Universitätsschule möglicherweise neue Antworten gefunden werden sollen.

Schulleiterin Maxi Heß
Maxi Heß, die Schulleiterin der Universitätsschule Dresden

Fundamental anderer Ansatz

Aus Sicht der Schulleiterin handelt es sich bei der Grundstruktur der Universitätsschule um einen „fundamental anderen Ansatz“, für dessen Verwirklichung es wichtig gewesen sei, eine eigene Schule zu gründen. Die Andersartigkeit spiegelt sich in den verschiedensten Bereichen. So sind die Altersgruppen konsequent gemischt und werden die Klassen 1 bis 3, 4 bis 6, 7 und 8, 9 und 10, bald auch 11 und 12 jeweils gemeinsam unterrichtet, wobei die Schüler niveauübergreifend in den verschiedenen Lerngruppen zusammen sind. Die Lehrer und Erzieher fungieren dabei als Lernbegleiter, welche die Ausgangslage des Kindes ermitteln und in Teams zusammenarbeiten, in welchen gemeinsame Präsentationen und Material für Anreize und zur Vertiefung entwickelt wird. Auch Zensuren gibt es bis zur 9. Jahrgangsstufe keine, stattdessen gibt es verbale Rückmeldungen und Prozentangaben für erreichte Leistungsstände.

Digital und selbstständig organisiert

Ein Schlüsselwort an der Universitätsschule ist jenes der Selbstständigkeit. „Selbstorganisiertes Lernen aus Motivation statt mit Disziplinierung“ soll hier geschehen und so werden die Schüler von Beginn an darin geschult, sich selbst ihre Woche zu strukturieren und – begleitet von Paten und ihren Lernbegleitern – so auf ihrem jeweiligen Wissensstand aufzubauen. Ab der 4. Klasse erhält jeder Schüler einen Laptop mit einer schuleigenen Software. Laut Heß handelt es sich dabei hauptsächlich um ein digitales Organisationsmittel. „Die Schüler strukturieren dort selbst ihren Tag und haben einen hoch individualisierten Lernplan. Zudem werden hier die Rückmeldungen der Lernbegleiter und die erreichten Kompetenzen der Kinder auch für die Eltern einsehbar dokumentiert“.

Schulisches Arbeiten in Projekten

Das selbstständige Arbeiten setzt sich fort in den angeleiteten Einzelprojekten, die immer fachübergreifend und in Kleingruppen durchgeführt werden. „Wir arbeiten konsequent in Projekten“, sagt Heß. Fach- und Frontalunterricht gibt es keinen, stattdessen entwickeln die Kinder zu einem übergeordneten Thema ihre eigenen Forscherfragen und erlernen zusammen mit den Lernbegleitern die passende Methodik, um diesen auf den Grund zu gehen.

Jugendschule und Praktika sorgen für Praxisnähe

Die Schulräume selbst sind bei der Universitätsschule Dresden nur ein Teil der Umgebung, in der die Schüler lernen. So ist es zentraler Part des Schulversuchs, dass die Kinder regelmäßig auch „außerschulisches Umfeld entdecken, viel rausgehen und man Experten reinhole in die Schule“, wie Heß sagt. Zudem gibt es in den Klassenstufen 7 und 8 das Konzept der Jugendschule mit einem festen Praktikumstag pro Woche, um die Schüler früh mit der realen Arbeitswelt zu konfrontieren. Eine weitere Besonderheit: Die Schulzeit in den Klassen 7 und 8 verbringen die Kinder dann auch in der Alten Ziegelei, einem außerschulischen Lernort. Dabei handelt es sich um ein Gelände in der Natur, auf dem die Jugendlichen selbst und eigenverantwortlich mit bei der Verköstigung und Reinigung anpacken, handwerkliche Tätigkeiten ausüben und verschiedenste Outdoor-Erfahrungen sammeln. Es ist ein Ansatz, der sich bislang bewährt, wie Heß sagt. „Die Kinder haben durch die außerschulischen Erfahrungen und Lernorte schon früh einen Kontakt zur echten Arbeits- und Lebenswelt und sind extrem orientiert und fokussiert“, so die Leiterin. Zudem würde die in Regelschulen oft schwierige Phase der Pubertät so deutlich besser integriert.

Viele Schulen und Kommunen interessiert

Andere Schulen interessierten sich vor allem für die Prozesse des selbstorganisierten Lernens, der Jugendschule in der Alten Ziegelei oder der Einführung eines Praktikumstages. Einige hätten bereits ähnliche Ansätze bei sich übernommen. Aus Sicht von Schulleiterin Heß ist das grundsätzlich begrüßenswert. Es könnten einzelne Module auch kopiert werden. Allerdings stellt sie fest: „Viele suchen nur nach kurzfristigen Lösungen und möchten etwas überstülpen, womit sie die aktuell drängenden Probleme bewältigen können. Dabei ist jede Schule ein Mikrokosmos. Da gibt es nicht die eine Lösung und das eine Modul, das alles löst.“ Neu und anders denken bewährt sich, das zeigt sich laut Heß schon jetzt deutlich an der Universitätsschule in Dresden. Zwar gebe es auch hier noch Herausforderungen wie das häufig wechselnde Personal zu bewältigen, doch insgesamt würden der inklusive Ansatz und das Streben nach möglichst großer Selbstwirksamkeit der Kinder aufgehen.

Geht es um Veränderungen auch an Regelschulen, ist aus Erfahrung von Heß das Wichtigste der „Prozess der Schulentwicklung selbst“ und gar nicht so sehr die Übernahme von einzelnen Modulen. „Die Veränderung und Entwicklung sollten zu einer grundlegenden Kultur der Schule und nicht wie häufig nur an einem Projekttag thematisiert werden“, so die Leiterin. Die Lehrerkrise könnte hierbei eine große Chance für die Schulentwicklung sein. „Nun gibt es Offenheit auch für radikal neue Lösungen“, sagt Heß – da sei viel möglich.

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Fotocredits: Universitätsschule Dresden