Hilfe bei Überschuldung - eine freiwillige Leistung der Kommune und doch Teil der Daseinsvorsorge
Hilfe bei Überschuldung - eine freiwillige Leistung der Kommune und doch Teil der Daseinsvorsorge

Schuldnerberatung

Wie Kommunen Hilfe bei Überschuldung bieten

In der Krise haben sie Hochkonjunktur. Die Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen. Während die einen vom Land organisiert werden, sind die anderen in den meisten Bundesländern eine freiwillige Leistung der Kommunen. Das könnte sich bald ändern.

Allein im ersten Halbjahr 2021 verzeichneten die gemeinnützigen Schuldnerberatungsstellen in Deutschland im Vergleich zum Aufkommen vor der Pandemie einen deutlichen Anstieg der Anfragen nach Beratung. Wie eine Umfrage der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände ergab, erhöhte sich die Anzahl der Anfragen im Vergleich zum Zeitraum vor der Pandemie bei mehr als zwei Dritteln der  befragten Beratungsstellen. Knapp ein Fünftel der Einrichtungen beobachtete sogar eine Zunahme des Beratungsbedarfs um mehr als 30 Prozent.

„Wir haben mittlerweile wahnsinnige Wartezeiten“, sagt Ines Moers. Sie ist Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung. „Eigentlich müssten wir den Anstieg der Beratungen ja begrüßen: Endlich kommen die Menschen.“ Denn schon seit Jahren gelten in Deutschland rund sieben Millionen Menschen als überschuldet. Doch von den Beratungsstellen wurden sie oft nicht erreicht. Und auch die Situation der Schuldnerberatung insgesamt sei eher unbefriedigend, sagt Moers. Denn während die Insolvenzberatung, mit deren Hilfe Menschen Privatinsolvenz beantragen können, Ländersache sei, sei die allgemeine Schuldnerberatung Sache der Kommunen. „Die Kommunen sind bundesweit generell für die Schuldnerberatung zuständig“, sagt Moers. „Aber es gibt für den Einzelnen kein Recht auf Schuldnerberatung, es gibt keinen gesetzlichen Anspruch darauf.“ Ihr Verband fordere das, bis heute sei das aber nicht umgesetzt. „Deswegen ist jede Kommune frei darin, wie sie es gestaltet, ob sie es anbietet oder keinen Bedarf dafür sieht.“

In Bayern ist die Hilfe für überschuldete Menschen besonders effektiv organisiert 

Das Ergebnis sei ein völliger Flickenteppich. „Wenn Klaus Meier in Castrop-Rauxel Probleme mit Schulden hat, kann es sein, dass er in seiner Heimatstadt ein völlig anderes Beratungsangebot vorfindet, als ich in Hamburg“, sagt Moers. Dabei könnte auch die kommunale Schuldnerberatung vielen Menschen weiterhelfen. „Oft heißt das: Existenzsicherung klären, Unterlagen sortieren, Pfändungschutzkonto beantragen.“ Doch in vielen Fällen gehe die Schuldnerberatung dann recht schnell in eine Insolvenzberatung über, die nach Landesrecht finanziert werde. „Viele Beratungsstellen sind deswegen beides“, sagt Moers. „Insolvenz- und Schuldnerberatungen – denn fachlich macht es auch keinen Sinn, das beides voneinander zu trennen.“ Doch die Finanzierung läuft in den meisten Bundesländern noch getrennt.

In Bayern ist das anders. Hier hat das Land die Kommunen vor einiger Zeit auch mit der Insolvenzberatung beauftragt, sagt Andreas Rein. Er ist Professor für Recht der Sozialen Leistungen an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft in Ludwigshafen und beschäftigt sich aktuell mit der Finanzierung der Schuldnerberatungen. „Zudem hat man die Förderung des Landes fast verdoppelt.“ Das macht sich in der Praxis durchaus bemerkbar, sagt Michael Weinhold. Er leitet die Schuldnerberatung des „Institut für Soziale und Kulturelle Arbeit“ in Nürnberg. Zudem ist er einer der beiden Sprecher der „Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände“. Oft werde Schuldnerberatung nur für ALG-II-Empfänger angeboten, beobachtet Weinhold. Damit aber würde man einen Großteil der Hilfsbedürftigen ausschließen: Aus Sicht des Praktikers kämen nämlich auch Empfänger von Arbeitslosengeld I, in der Coronakrise strauchelnde Soloselbständige und unter Kurzarbeit leidende Arbeitnehmer für solch eine Beratung in Frage – und zwar möglichst, bevor ihr Problem ihnen über den Kopf wächst. „Da ist die Praxis in den Kommunen sehr unterschiedlich“, sagt Weinhold. „Manche machen es, manche machen es nicht.“

Überschuldung ist nicht nur ein Problem in Corona-Zeiten - macht es aber zur besonderen Herausforderung 

In Nürnberg dürften die beiden Beratungsstellen alle Interessenten beraten, die sich melden: Dies sei eine freiwillige soziale Leistung der Stadt. „Damit wird Menschen in einer Krisensituation geholfen, die sonst keinen anderen Ausweg mehr aus der Situation finden würden“, sagt Weinhold. Oft gebe es Schuldner, die nicht pfändbar sind, und dennoch Gelder an Gläubiger abzahlten. Damit würden sie dann aber an anderen Stellen in ihrem begrenzten Budget Lücken aufreißen. „Wichtig ist, dass man im Rahmen der Prävention Perspektiven gibt und Arbeitsplätze stabilisiert“, sagt Weinhold. „Wer mit seinen Problemen klarkommt, wird weniger oft krank und sieht für sich eine Perspektive.“ Wer dagegen im Chaos versinke, werde der Stadt häufig noch an vielen anderen Stellen zur Last fallen. Kommunen, die einen offenen Zugang zur Schuldnerberatung gewährten, hätten am Ende davon deswegen nur Vorteile, ist Weinhold überzeugt. „Wenn die Menschen erst einmal ihre Arbeit verloren haben, sind die Städte schließlich genauso betroffen.“

Ein besonderes Problem sieht auch Weinhold in der Coronakrise. „Es wird nach Corona die Schuldnerberatung deutlich stärker erforderlich sein, als bisher“, sagt Weinhold. Schon heute ist die Arbeitslosikgkeit einer der großen Treiber von Verschuldung. Doch auch Erkrankungen führen dazu, dass Menschen mit ihren Finanzen nicht mehr klarkommen: „Nehmen Sie eine Corona-Erkrankung mit Quarantäne“, sagt Weinhold. „Oder Sie sind nicht geimpft und können deswegen in ihrem Beruf nicht mehr arbeiten.“ Dann wird das Gehalt gekürzt. „Das ist ein erheblicher Einschnitt, wenn die Menschen sowieso knapp bei Kasse sind oder auf Kurzarbeit waren.“ Dazu würden auch psychische Erkrankungen zunehmen. „Wenn man in einem bestimmten Zeitrahmen erheblich weniger Einkommen hat, kann man bestimmte Kreditraten vielleicht nicht mehr leisten“, sagt Weinhold. Dazu kämen Mieten und steigende Energiepreise als Treiber der Verschuldung. „Deswegen braucht es hier tragfähige Konzepte für die Zukunft.“

Hilfe bei Überschuldung: Besonders für verschuldete Kommunen ein Problem 

Aber wer soll so etwas künftig finanzieren? Schließlich sind auch viele Kommunen knapp bei Kasse. Freiwillig weitere Sozialleistungen übernehmen können wohl die Wenigsten. Der Ludwigshafener Wissenschaftler Rein hebt noch einmal die Vorzüge des bayerischen Modells hervor: Denn dort, wo die Insolvenz- und die Schuldnerberatung aus einem Guß angeboten werden, entstehen keine Abrechnungsprobleme, wenn eine Schuldnerberatung in die Insolvenzberatung übergeht. Und die Landeszuschüsse für die Insolvenzberatung sichern letztlich auch die kommunale Schuldnerberatung mit ab. „Generell hat sich die Einzelfallfinanzierung gerade in der Corona-Zeit als problematisch herausgestellt“, sagt der Ludwigshafener Wissenschaftler. Denn oft hätten die Kontaktbeschränkungen in der Krise dazu geführt, dass Beratungen nicht zu Ende geführt werden konnten. Persönliche Treffen seien nur schwer möglich gewesen – überall dort, wo es am Ende um Unterschriften ging, hätten sich Probleme ergeben. Nachgedacht wird über das bayerische Modell derzeit auch in Nordrhein-Westfalen. „Man muss aber darauf achten, dass man bestehende Strukturen nicht kaputt macht, wenn man dem Land ein neues Modell überstülpen will“, sagt Rein. „Denn NRW ist heute schon beim Thema Insolvenzberatung gut versorgt – in Bayern gab es weiße Flecken, bevor man die Beratungsstellen zusammengelegt hatte.“

Im Augenblick allerdings hoffen die Vertreter der Schuldnerberatungen noch auf etwas ganz Anderes. Denn die neue Bundesregierung widmet sich in ihrem Koalitionsvertrag auch ihrem Thema. „Wir wollen die Schuldner- und Insolvenzberatung ausbauen“, heißt es darin. „Das ist zwar nur ein einziger Satz, aber die neue Koalition setzt damit ein enorm wichtiges und erfreuliches Signal!“, sagt Ines Moers. Denn in der Schuldnerberatung gebe es für die Beratungsstellen, den Bund und die Kommunen auch weiter viel zu tun.