Kinder tragen die Europaflagge
© adobeStock

Ukraine-Hilfe

Partnerstädte stärken das kommunale Europa

Deutsche Partnerstädte übernehmen viel Verantwortung. Besonders deutlich zeigt sich das in diesen Tagen in der Hilfe für die Ukraine. Ein vereintes Europa geht nur mit den Kommunen.

Die Menschen in Pullach erleben den Krieg in der Ukraine seit Wochen hautnah mit. Denn der Kreis Baryschiwka und die kreisfreie Stadt Beresan liegen in der Ukraine,  sind die Partnerstadt und der Partnerkreis von Pullach. Eine Region nur einige Kilometer östlich von Kiew, seit Ende Februar steht sie unter Dauerbeschuss durch Raketen und Bomben. Und in Pullach im Isartal, einer gut 9.000 Einwohner zählenden Gemeinde südlich von München, saßen die Menschen entsetzt vor den Fernsehern. Seit mehr als 30 Jahren gibt es die lebendige Städtepartnerschaft zwischen der Kommune in Bayern und dem Landkreis und der kreisfreien Stadt in der Ukraine.

Städtepartnerschaft mit Ukraine und Freundschaften

„Wir sind seit 1990 im stetigen Kontakt“, berichtet die Pullacher Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund. Jahr für Jahr kamen 20 Kinder aus der Ukraine zu Besuch nach Pullach. Die Sportvereine pflegen Partnerschaften, die Feuerwehr unterstützte die ukrainischen Kameraden mit gebrauchten Fahrzeugen. Zwischen den örtlichen Schulen gab es einen Lehreraustausch und Schülerprojekte. Die Krankenhäuser der Region erhielten Unterstützung aus Pullach, und Ärzte aus der Ukraine wurden im Isartal in neue medizinische Gerätschaften eingewiesen. „Ich habe selbst zwei gebrauchte Krankenwagen aus Deutschland dorthin gefahren“, erinnert sich Tausendfreund. Zwischen den Menschen in Bayern und jenen in der Ukraine entstanden Freundschaften: „Wir waren eigentlich immer privat untergebracht“, sagt die Bürgermeisterin. „Man lernte sich kennen und schätzen.“

Pullach hilft Menschen nach Angriff Putins in Ukraine

Und dann kam der verhängnisvolle 24. Februar 2022. Der Tag, an dem Russlands Präsident Wladimir Putin die Ukraine überfiel. Seitdem glühendie Telefondrähte zwischen Pullach, Baryschiwka und Beresan. „Wir haben sofort gefragt: Was könnt Ihr brauchen, wie können wir Euch helfen“, sagt Tausendfreund. Noch in den ersten Kriegstagen machten sich Menschen aus Pullach auf den Weg. „Wir haben Hilfsgüter hintransportiert: Unsere Feuerwehrler sind mit zwei gebrauchten Krankenwagen zur polnisch-ukrainischen Grenze gefahren.“ Die Fahrzeuge waren mit Medikamenten vollgeladen, mit moderner Technik ausgestattet, dazu fuhr ein weiterer Feuerwehr-LKW mit Verbandsmaterial, Lebensmitteln und warmer Kleidung zur Außengrenze der Europäischen Union. Dort übernahmen dann Kameraden aus der Partnergemeinde Fahrzeuge und Fracht.

Kriegs-Vertriebene kommen gezielt in Partnerstadt

Das alles freilich hört man in diesen Tagen tausende Male in Deutschland. Wohl in jeder Kommune, in der es irgendwelche Kontakte in die Ukraine gibt, werden Geld- und Sachspenden gesammelt und zur Grenze gefahren. Was die Pullacher Partnerschaft mit Baryschiwka und Beresan auszeichnet, ist etwas anderes: Einwohner der ukrainischen Partnergemeinden, die sich auf die Flucht vor dem Krieg begeben, kommen gezielt nach Pullach. Mittlerweile sind knapp 80 Menschen aus den Partnergemeinden im Isartal angekommen. „Bei mir wohnen zwei Mütter mit ihren Töchtern, die ich schon lange kenne, und bei denen ich in der Ukraine selbst übernachtet habe“, sagt Tausendfreund. „Da war völlig klar: Wenn die die Flucht schaffen, kommen sie natürlich zu mir.“

Kommunale Partnerschaften tragen zum Weltfrieden bei.“

Susanna Tausendfreund, Bürgermeisterin in Pullach



Eine der Frauen hat in ihrer ukrainischen Heimat als Deutschlehrerin gearbeitet. „Sie ist in Kontakt mit den Menschen aus den Partnergemeinden, die sich auf den Weg gemacht haben“, sagt Tausendfreund. „Wir wissen, wann wer wo ankommt, können die Menschen abholen und gezielt bei uns in Pullach unterbringen.“ Warum sich die Gemeinde derartig engagiert? „Es ist doch gerade Sinn und Zweck der Partnerschaft, dass wir gegenseitigen Austausch und Unterstützung haben“, sagt Tausendfreund. „Jetzt ist in der Ukraine der Ernstfall eingetreten – da zeigen wir, dass wir uns aufeinander verlassen können.“ Die Bürgermeisterin aus Bayern jedenfalls ist überzeugt: „Je mehr Partnerschaften wir auf der kommunalen Ebene haben, umso mehr kann man zum Frieden und zur Einheit in Europa beitragen, weil man einfach die andern Menschen kennt.“

Kommunale Partnerschaften tragen zum Weltfrieden bei

Kommunale Partnerschaften „tragen zum Weltfrieden bei“, ist die Bürgermeisterin überzeugt. Ganz ähnlich würde das wohl auch Heiner Klemp sagen. Der Landtagsabgeordnete aus Brandenburg ist Mitglied in einem der wichtigsten kommunalen Gremien Europas: Dem Kongress der Gemeinden und Regionen Europas. Dem unter der Ägide des Europarats 1957 in Straßburg gegründeten Gremium gehören über 300 Delegierte aus allen 47 Mitgliedsstaaten des Europarats an. „Es sind alle Länder Europas Mitglied im Europarat – außer Belarus, das es noch nie war, und Russland, dass der Europarat kürzlich ausgeschlossen hat“, sagte Klemp. Für den Abgeordneten ist der Kongress ein Gremium, das den europäischen Gedanken auf der Ebene der Kommunen und Regionen sichtbar werden lässt. „Europa wird hier besonders stark spürbar“, sagt Klemp. Was das konkret heißt?

Auch Klemp erläutert es an Hand der unterschiedlichen Reaktionen auf den Ukraine-Konflikt. So unterstützt der Kongress etwa die „Schneeflocke“-Aktion österreichischer Bürgermeister: Stadtoberhäupter, die eine russische Partnergemeinde haben, sollen dorthin schreiben und ihre Verärgerung über den Angriffskrieg in der Ukraine zum Ausdruck bringen. Mit Hilfe des Kongresses wird die Aktion in ganz Europa bekannt. „Auch mein eigener Bürgermeister in Brandenburg wird sich nun daran beteiligen.“

Plattform von Städten, Gemeinden und Regionen

Oder eine Initiative, die die deutsche Delegation mit nach Straßburg brachte: Auf Vorschlag des Oberbürgermeisters von Sindelfingen, Bernd Vöhringer, und unter der Schirmherrschaft des Kongresses der Gemeinden und Regionen Europas entstand die Plattform Cities4Cities auf der Städte aus ganz Europa ihr Know-How und ihre Hilfsangebote vernetzen können. „Bürgermeister, Kommunal- und Regionalpolitiker sind die ersten Ansprechpartner für die Bürger, insbesondere in Kriegs- und Krisenzeiten“, sagt Vöhringer. Die Berichte der ukrainischen Delegation im Kongress – einer der ukrainischen Bürgermeister war Klemp zufolge sogar per Videokonferenz aus einem Luftschutzkeller zugeschaltet -, aber auch die Berichte aus der Sindelfinger Partnerstadt Chelm hätten klar gemacht, dass ein Bedarf an Koordination und Aktion auf lokaler Ebene bestehe.

Die Vernetzung der Städte wird es uns erleichtern, die Kollegen in der Ukraine zu unterstützen.“

Bernd Vöhringer, Oberbürgermeister von Sindelfingen

„So entstand die Idee, unter der Schirmherrschaft des Kongresses der Gemeinden und Regionen Europas, eine Plattform ins Leben zu rufen, um ukrainische und andere europäische Städte zusammenzubringen“, sagt Vöhringer. Da der Kongress der Gemeinden und Regionen selbst so eine Plattform aber nicht betreiben kann, habe die Stadt Sindelfingen dies erarbeiten lassen. Die Plattform „Cities4Cities“ soll ein Ort für einen unkomplizierten Austausch mit Bürgermeistern aus der Ukraine sein, um diesen schnellstmöglich und vor allem bedarfsgerecht Hilfe zukommen zu lassen. „Dies kann eine Lebensmittellieferung, oder auch einfach ein Austausch zum Wissenstransfer sein“, sagt Vöhringer. „Die Vernetzung ukrainischer Städte mit anderen Städten in Europa über die Plattform wird es uns erleichtern, unsere Kollegen in der Ukraine zu unterstützen.“ Damit sende man ein starkes Signal der Solidarität und zeige, dass der Europarat geschlossen hinter der Ukraine und den ukrainischen Städten und Gemeinden stehe.

Über Landesgrenzen hinweg kooperieren

Vor allem aber zeigen solche Initiativen eines: Europa lebt an der Basis von seinen Städten und Gemeinden. Oder, wie es der frühere Präsident des Rates der Gemeinden und Regionen Europas, der Oberbürgermeister von Karlsruhe, Frank Mentrup, anlässlich seiner Verabschiedung im Februar sagte: "Die Städte, Kreise und Gemeinden sind die Ebene, die den Bürgerinnen und Bürgern am nächsten ist: Als Fundament der Demokratie wird es eine erfolgreiche Zukunft für Europa nur dann geben, wenn die Kommunen bei allen europäischen Vorhaben, die sie betreffen, substanziell eingebunden sind." Und in der Hilfe für die Ukraine zeigt sich beispielhaft, wie leistungsfähig Kommunen sein können, wenn sie erfolgreich über Landesgrenzen hinweg kooperieren.