Randale zu Silvester in Berlin - die Kommunenvertreter fordern "das verschämte Wegschauen über die Herkunft der Täter" zu beenden
Randale zu Silvester in Berlin - die Kommunenvertreter fordern "das verschämte Wegschauen über die Herkunft der Täter" zu beenden.
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Vollzugsprobleme vor allem in Berlin

Silvesternacht: Der Rechtsstaat muss seine Möglichkeiten nutzen

"Die Grenzen sind erreicht". Dieser Satz fiel in der Rede des neuen Präsidenten des Städte- und Gemeindebundes, Uwe Brandl, am Mittwoch in Berlin gleich zwei Mal. Zum einen in Bezug auf die Silvesternacht, zum anderen in Bezug auf die Unterbringung von Flüchtlingen in Kommunen. Und wohl auch für beide gilt sein Zitat: "Die gesellschaftliche Akzeptanz droht gefährdet zu werden".

Nach den Ausschreitungen in der Silvesternacht hat der Deutsche Städte- und Gemeindebund Forderungen nach härteren Strafen kritisiert. Es gebe vielmehr ein Vollzugsproblem, so ihr Präsident Uwe Brandl. Die bereits vorhandenen Möglichkeiten würden nur zögerlich ausgeschöpft. "Ich bin erschüttert, dass alle 145 in Berlin Festgenommenen schon wieder auf freiem Fuß sind", sagte Brandl. Er kritisierte gleichzeitig die Berichterstattung vieler Medien scharf, die die Identität der mutmasslichen Täter nicht genannt hätten. "Das verschämte Wegschauen bringt uns keinen Schritt weiter. Die Entgleisungen sind eindeutig zuzuordnen", so Brandl. Für strengere Gesetze hingegen sehe er keinen Bedarf.

Fachkräftemangel wird in den Kommunen zum Hauptproblem

Brandl und der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, äusserten sich in Berlin zur Bilanz ihres Verbandes im vergangenen Jahr und zu ihrem Ausblick auf die Kommunen in diesem Jahr. "Die zentrale Herausforderung der nächsten Jahre wird der Fachkräftemangel auch in den Kommunen sein", so Landsberg. 30 Prozent aller Mitarbeiter in den Rathäusern würden in den kommenden Jahren in Rente gehen, prognostiziert der Verband. Gleichzeitig erwarteten die Bürger immer mehr Leistungen. Einen Ausweg sieht der Verband unter anderem in der Digitalsierung und im "politischen Willen" von dem Landsberg mehrfach sprach. "An jeder Ecke steht ein Geldautomat. Warum sollen wir über diese Automaten nicht auch Bürgerleistungen anbieten", so Landsberg. "Das geht, wenn die Politik das auch will".

Politikverdrossenheit entgegenwirken

Trotz aller kreativer Maßnahmen müsse Deutschland wegkommen von der "Wunsch-Erfüllungspolitik", wie Brandl es nannte. Die Anspruchshaltung und die Nichterfüllbarkeit vieler Ansprüche sorge im Ergebnis für Politikverdrossenheit. Als Beispiel nannte er das Recht auf die Ganztagsbetreuung ab dem Jahr 2026 in den Grundschulen. "Das Versprechen der Politik ist wegen fehlender Räume und fehlenden Personals fläschendeckend bis dahin nicht nicht erfüllbar", so der Präsident. Eine Umsetzung des Rechtsanspruchs sei daher "beim besten Willen" nicht möglich. Das führe im Ergebnis zu Enttäuschungen bei den Bürgern. Dafür wären aus seiner Sicht 300.000 zusätzliche Stellen nötig. "Wir wären froh, wenn wir die durch Verrentung wegfallenden Mitarbeiter überhaupt ersetzen könnten", so Brandl. Solche "Leistungsversprechen" gegenüber den Bürgern seien bei näherer Betrachtung unerfüllbar und führten zwangsläufig zu Politikverdrossenheit. Schuld daran seien aber Bund und Länder, die solche Versprechen machen ohne sich um die Umsetzung kümmern zu müssen.

Mega-Herausforderung Flüchtlinge

Breiten Raum nahm auch der Flüchtlingsstrom aus der Ukraine ein. Hintergrund ist, dass heute in der Bild-Zeitung vier Landräte aus vier unterschiedlichen Regionen Deutschlands Alarm geschlagen haben uns sagen: "Die Migration überfordert das Land - und die Bundesregierung lässt uns im Stich". 

Landrat Stefan Frey aus dem Landkreis Starnberg sagte etwa zu Bild: "Frau Innenministerin Faeser kann bei uns gerne ein Praktikum machen, dann würde sie sehen, was hierzulande abläuft". Sein Landkreis habe aktuell mehr Flüchtlinge als im Jahr 2015. Die Unterkünfte seien schon jetzt knapp. Der Landrat warnt: "Das Verständnis der Leute nimmt ab". 

Ähnlich hatte sich vor wenigen Wochen auch schon die Bürgermeisterin von Coesfeld, Eliza Diekmann, in einem Gespräch mit KOMMUNAL geäussert. Sie warnte "im Moment ist die Stimmung in Coesfeld noch gut. Aber wir spüren: Es steht auf der Kippe". 

Landrat Olaf Gericke aus dem Kreis Warendorf in NRW fügt heute nun in der Bild-Zeitung hinzu: "Unsere 13 Städte und Gemeinden geraten ans Limit". Erste Turnhallen wurden in seinem Kreis bereits geräumt, um sie als Unterkünfte für Flüchtlinge zu nutzen. 

Landrat Michael Geisler aus dem Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge macht auf ein weiteres Problem aufmerksam: "Es gibt Asylbewerber, die nur zur Auszahlung von Leistungen in den Landkreis kommen, sich sonst hier nicht aufhalten". Er fordert die Bundesregierung auf, "ausreisepflichtige Asylbewerber müssen endlich auch abgeschoben werden. Wir haben locker 530 davon. Das sind 500 Plätze, die mir fehlen". Das Problem sei seit dem Jahr 2015 ungelöst. 

Der Präsident des Städte- und Gemeindebundes sieht in den Flüchtlingen eine langfristige Aufgabe für die Kommunen: "40 Prozent von ihnen sagen, sie wollen dauerhaft in Deutschland bleiben", sagte Brandl. Ihnen müssten durch Deutschkurse und die Anerkennung ihrer Berufsabschlüsse rasch Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt eröffnet werden - schon mit Blick auf den Fachkräftemangel. Allein die fast 200.000 zusätzlichen Kinder in den Schulen seien eine enorme Chance für die Integration. "Wir müssen durch schnelle Nachqualifikationen ermöglichen, dass Berufsabschlüsse schneller anerkannt werden", so Brandl. Als Beispiel nannte er erneut die Probleme bei der Umsetzung der Ganztagsbetreuung in den Grundschulen. "Sachsen hat Lehrer Assistenten eingestellt, viele von Ihnen Flüchtlinge aus der Ukraine", so sein Beispiel. Denn unter den Flüchtlingen seien durchaus Lehrer, sie könnten aber beispielsweise kein Referendariat nachweisen, weil es das im dortigen System nicht gebe, so Brandl.