Leitartikel
Keine Angst vorm Shitstorm
Nein, früher war nicht alles besser. Aber der Mut und die Entscheidungsfreude von Städten und Gemeinden war doch höher. Da wurde ein Bebauungsplan aufgestellt und zum Zwecke der Anwohnerbeteiligung natürlich auch ausgelegt. Wer sich also informieren wollte, musste sich zum Rathaus bequemen um Einsicht zu nehmen. Heute ist der Plan online und über die angeblich so sozialen Medien schon weit früher verfügbar. So kann der unzufriedene Bürger bequem beim Bier auf dem heimischen Sofa sitzen bleiben und mit Einwendungen seinem Unmut gehörig Luft verschaffen.
Das sind die Folgen des Shitstorm in Kommunen
Das Ergebnis ist nachvollziehbar: Politik und Verwaltung sind deutlich vorsichtiger geworden mit dem, was sie planen. Schon viel früher wird überlegt, welche Bevölkerungsgruppen möglicherweise Einwände gegen die Pläne haben, wem man möglicherweise auf die Füße tritt. So findet manche Beteiligungsrunde und die zusätzliche Diskussionsrunde oft schon viel früher und vor allem weit über das gesetzlich notwendige Maß hinaus statt. Grundsätzlich ist Bürgerbeteiligung in einer parlamentarischen Demokratie ein hohes Gut. In den Kommunen führt es aber häufig auch dazu, dass Politik und Verwaltung auf kleine Gruppen hören, die sich vor allem durch neue Medien Gehör verschaffen. So haben diese Gruppen jedoch leider einen überproportional großen Einfluss auf Entscheidungen. Die angeblich sozialen Medien bauen Fronten auf, die es sonst nicht gab. Zwischen diese Fronten will keiner geraten, der Shitstorm wird nicht ausbleiben. Und so bleibt der Mut, so bleibt die Bereitschaft, auch Entscheidungen zu treffen, die eventuell angreifbar sind oder gar kassiert werden, auf der Strecke.
Wenn der befürchtete Shitstorm eine ganze Stadt lahmlegt
Die Auswirkungen einer solch mutlosen Politik sind gravierend. Das beste Beispiel ist der politische Elfenbeinturm Berlin. Nein, ich mache keine neuen Witze über den BER, auch wenn es dazu noch einiges zu sagen gäbe. Schauen wir uns mal das sogenannte Tempelhofer Feld an. Da war früher der legendäre Flughafen Tempelhof (Rosinenbomber). Die Stadt entschied, den Flughafen dicht zu machen mit dem Ziel, in dieser guten Innenstadtlage dringend benötigte Wohnungen zu bauen. Das führte aber zu Protesten, so dass sich das Land nicht mehr traute zu handeln. Im Ergebnis ist dieses Filetstück im Berliner Westen heute ein Hundeauslaufgebiet – mitten auf Beton mit wenig Grünflächen, wenig ansehnlich, aber zumindest haben Politik und Verwaltung seither Ruhe, mussten sich nicht mit Entscheidungen in die Nesseln setzen oder gar Niederlagen vor Verwaltungsgerichten wegen ihrer Bebauungspläne fürchten. So traurig ist heute die Hauptstadt-Variante von Politik.
Haben Sie mehr Mut! Die Mehrheit wird es Ihnen danken!
Nun läuft der Hase in kleineren Kommunen glücklicherweise noch etwas anders. Die Auswirkungen der „Vogel-Strauß-Politik“ sind aber auch hier nur zu schmerzlich zu spüren. Die Bebauungspläne sind oft gar nicht das Problem, eher die Fachplanung, also Themen wie Natur- oder Denkmalschutz. Da droht wohlmöglich einem einzelnen Frosch laut Naturschutz der traurige Tod. Um nun diesen Frosch zu retten, gerät das ganze System ins Stocken. Das hat nichts mehr mit Augenmaß zu tun. Das grenzt an De-industrialisierung!
Neben vielen anderen Gründen ist auch das ein Baustein, warum Kommunen immer häufiger auf ihren Ausschreibungen sitzen bleiben. Wenn Berlin den Bau von 35 Kitas ausschreibt und sich keine einzige Firma bewirbt, muss das Gründe haben. Ja, volle Auftragsbücher der Unternehmen, extrem formale Ausschreibungskriterien (warum werden die Lose eigentlich immer so groß gewählt, dass europaweite Ausschreibungen nötig sind, statt so auszuschreiben, dass sich mittelständische Firmen vor Ort beteiligen können), komplizierte Abrechnungssysteme und vieles mehr. Aber der Hauptgrund ist ein anderer: Das Vertrauen der Firmen in die Chaos-Verwaltung Berlin ist gleich Null! Weil Beschlüsse x mal auf den Prüfstand kommen, weil es keine Planungssicherheit gibt, weil Politik und Verwaltung hier hasenfüßig sind.
Ich bitte Sie in den 11.000 kleineren Kommunen in Deutschland, sich an diesem Elfenbeinturm kein Beispiel zu nehmen. Beweisen Sie Mut, ertragen Sie notfalls auch einen Shitstorm. Der geht meist von einer kleinen, aber lautstarken Minderheit aus. Die Mehrheit dankt ihnen für ihr mutiges Handeln! Wenn auch im Stillen!